Kohäsionsmilliarden verpuffen wirkungslos
Die Kommission erwägt, die innereuropäische Entwicklungshilfe ab 2028 an konkrete Leistungszusagen zu knüpfen. Das soll ihre Treffsicherheit erhöhen.
Die EU gibt rund 30 Prozent ihres Budgets für die Kohäsionspolitik aus, im aktuellen Haushaltsrahmen der Jahre 2021 bis 2027 sind es 392 Milliarden Euro – doch die Kluft zwischen armen und reichen Regionen verringert sich kaum bis gar nicht. Dieser Befund findet sich im aktuellen Bericht der Europäischen Kommission über die wirtschaftliche, soziale und territoriale Kohäsion.
Wer unten feststeckt, der kommt zu oft trotz der Milliarden aus Brüssel nicht hoch. „Manche Regionen legen noch immer schwache wirtschaftliche Leistungen hin, obwohl sie seit Jahren Unterstützung der Kohäsionspolitik erhalten“, heißt es in diesem alle drei Jahre erstellten Dokument unter anderem. In manchen Regionen Südeuropas ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im vergangenen Vierteljahrhundert sogar gesunken. Doch genau diese Regionen waren Jahr um Jahr unter den Spitzenbeziehern aus den Kohäsionstöpfen.
Jeder Dritte ist ärmer als 2008
„Wirtschaftliche Ungleichheiten bleiben quer über den Kontinent groß. Mehr als einer von vier Menschen in der EU lebt in einer Region mit einem BIP pro Kopf unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts“, fassen die Kommissionsbeamten die Lage zusammen. Während die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten, die ab dem Jahr 2004 der Union beigetreten sind, grosso modo stark aufgeholt haben, steckten andere Regionen in den „alten“Mitgliedstaaten in Armut und Deklassierung fest. Das Einkommen pro Kopf der Mittel- und Osteuropäer stieg von 52 Prozent des EU-Durchschnitts zu Beginn der Beitrittswelle 2004 auf fast 80 Prozent heute. Ihre durchschnittliche Arbeitslosenrate sank von 13 auf vier Prozent.
„Viele andere Regionen haben eine schrittweise Abweichung erfahren, was heißen soll, dass sie es nicht schaffen, zum EUDurchschnitt aufzuschließen“, heißt es im Bericht. „Das ist vor allem der Fall bei Regionen in den südlichen Mitgliedstaaten und vor allem seit der Finanzkrise von 2008, aber auch in einer Gruppe von Übergangsregionen in entwickelteren Mitgliedstaaten.“Fast jede dritte Region in der EU habe noch immer ein BIP pro Kopf, das unter jenem des Jahres 2008 liegt.
Vorbild Corona-Wiederaufbaufonds
Die Kommission lancierte zeitgleich mit der medial eher unterspielten Veröffentlichung dieses Berichts (eine eigene Pressekonferenz gab es, anders als früher, nicht – und damit auch keine Möglichkeit, die zuständigen Kommissare zu fragen) einen politischen Versuchsballon, um die Treffsicherheit der Kohäsionsmilliarden künftig zu erhöhen. Vorbild dafür ist der rund 800 Milliarden Euro schwere Corona-Wiederaufbaufonds. Dessen Förderungen erhalten die Mitgliedstaaten nur gegen vorherige Vorlage konkreter Reformpläne, die von der Kommission und den Finanzministern abgesegnet werden müssen. „Es gibt breite Unterstützung für leistungsbasierte Finanzierungsinstrumente auf EU-Ebene“, liest man in der Mitteilung der Kommission, versteckt auf Seite 25. Die Mittel des Wiederaufbaufonds würden erst nach „Erreichung von Meilensteinen und Zielen, die konkrete Schritte bei der Umsetzung von Reformen und Investitionen durch die Mitgliedstaaten darstellen“, ausgezahlt. Nachsatz: „So wird Fortschritt laufend belohnt.“
Dieser Vorschlag ist politisch durchaus heikel. Den Nettozahlerstaaten, allen voran den Niederlanden, Österreich, Dänemark, Finnland und Schweden, dürfte er gefallen. Sie beziehen kraft ihres überdurchschnittlichen Wohlstands ohnehin nur geringe Kohäsionsmittel, bemängeln jedoch zugleich seit Langem deren wenig zielgerichtete Verwendung. Wie in manchen Mitgliedstaaten
mit diesen Förderungen politischer Missbrauch betrieben wird, kann man unter anderem am Beispiel Ungarns beobachten, wo derart viele öffentliche Aufträge, die mit EU-Geld finanziert wurden, an den Familienund Freundeskreis des Ministerpräsidenten, Viktor Orbán, gingen, dass die Union sich einen Konditionalitätsmechanismus zur Eindämmung dieses Systems politischer Korruption und Günstlingswirtschaft verschaffte.
Zugleich jedoch ist ein Proteststurm der Nettoempfänger gegen die Einführung leistungsbasierter Kohäsionsförderungen für diese innereuropäische Entwicklungshilfe zu erwarten. Die Verhandlungen um den nächsten Finanzrahmen für die Jahre 2028 bis 2034 werden jedenfalls heuer im Herbst nach der Europawahl beginnen.