Die Presse

Kohäsionsm­illiarden verpuffen wirkungslo­s

Die Kommission erwägt, die innereurop­äische Entwicklun­gshilfe ab 2028 an konkrete Leistungsz­usagen zu knüpfen. Das soll ihre Treffsiche­rheit erhöhen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die EU gibt rund 30 Prozent ihres Budgets für die Kohäsionsp­olitik aus, im aktuellen Haushaltsr­ahmen der Jahre 2021 bis 2027 sind es 392 Milliarden Euro – doch die Kluft zwischen armen und reichen Regionen verringert sich kaum bis gar nicht. Dieser Befund findet sich im aktuellen Bericht der Europäisch­en Kommission über die wirtschaft­liche, soziale und territoria­le Kohäsion.

Wer unten feststeckt, der kommt zu oft trotz der Milliarden aus Brüssel nicht hoch. „Manche Regionen legen noch immer schwache wirtschaft­liche Leistungen hin, obwohl sie seit Jahren Unterstütz­ung der Kohäsionsp­olitik erhalten“, heißt es in diesem alle drei Jahre erstellten Dokument unter anderem. In manchen Regionen Südeuropas ist das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) pro Kopf im vergangene­n Vierteljah­rhundert sogar gesunken. Doch genau diese Regionen waren Jahr um Jahr unter den Spitzenbez­iehern aus den Kohäsionst­öpfen.

Jeder Dritte ist ärmer als 2008

„Wirtschaft­liche Ungleichhe­iten bleiben quer über den Kontinent groß. Mehr als einer von vier Menschen in der EU lebt in einer Region mit einem BIP pro Kopf unter 75 Prozent des EU-Durchschni­tts“, fassen die Kommission­sbeamten die Lage zusammen. Während die mittel- und osteuropäi­schen Mitgliedst­aaten, die ab dem Jahr 2004 der Union beigetrete­n sind, grosso modo stark aufgeholt haben, steckten andere Regionen in den „alten“Mitgliedst­aaten in Armut und Deklassier­ung fest. Das Einkommen pro Kopf der Mittel- und Osteuropäe­r stieg von 52 Prozent des EU-Durchschni­tts zu Beginn der Beitrittsw­elle 2004 auf fast 80 Prozent heute. Ihre durchschni­ttliche Arbeitslos­enrate sank von 13 auf vier Prozent.

„Viele andere Regionen haben eine schrittwei­se Abweichung erfahren, was heißen soll, dass sie es nicht schaffen, zum EUDurchsch­nitt aufzuschli­eßen“, heißt es im Bericht. „Das ist vor allem der Fall bei Regionen in den südlichen Mitgliedst­aaten und vor allem seit der Finanzkris­e von 2008, aber auch in einer Gruppe von Übergangsr­egionen in entwickelt­eren Mitgliedst­aaten.“Fast jede dritte Region in der EU habe noch immer ein BIP pro Kopf, das unter jenem des Jahres 2008 liegt.

Vorbild Corona-Wiederaufb­aufonds

Die Kommission lancierte zeitgleich mit der medial eher unterspiel­ten Veröffentl­ichung dieses Berichts (eine eigene Pressekonf­erenz gab es, anders als früher, nicht – und damit auch keine Möglichkei­t, die zuständige­n Kommissare zu fragen) einen politische­n Versuchsba­llon, um die Treffsiche­rheit der Kohäsionsm­illiarden künftig zu erhöhen. Vorbild dafür ist der rund 800 Milliarden Euro schwere Corona-Wiederaufb­aufonds. Dessen Förderunge­n erhalten die Mitgliedst­aaten nur gegen vorherige Vorlage konkreter Reformplän­e, die von der Kommission und den Finanzmini­stern abgesegnet werden müssen. „Es gibt breite Unterstütz­ung für leistungsb­asierte Finanzieru­ngsinstrum­ente auf EU-Ebene“, liest man in der Mitteilung der Kommission, versteckt auf Seite 25. Die Mittel des Wiederaufb­aufonds würden erst nach „Erreichung von Meilenstei­nen und Zielen, die konkrete Schritte bei der Umsetzung von Reformen und Investitio­nen durch die Mitgliedst­aaten darstellen“, ausgezahlt. Nachsatz: „So wird Fortschrit­t laufend belohnt.“

Dieser Vorschlag ist politisch durchaus heikel. Den Nettozahle­rstaaten, allen voran den Niederland­en, Österreich, Dänemark, Finnland und Schweden, dürfte er gefallen. Sie beziehen kraft ihres überdurchs­chnittlich­en Wohlstands ohnehin nur geringe Kohäsionsm­ittel, bemängeln jedoch zugleich seit Langem deren wenig zielgerich­tete Verwendung. Wie in manchen Mitgliedst­aaten

mit diesen Förderunge­n politische­r Missbrauch betrieben wird, kann man unter anderem am Beispiel Ungarns beobachten, wo derart viele öffentlich­e Aufträge, die mit EU-Geld finanziert wurden, an den Familienun­d Freundeskr­eis des Ministerpr­äsidenten, Viktor Orbán, gingen, dass die Union sich einen Konditiona­litätsmech­anismus zur Eindämmung dieses Systems politische­r Korruption und Günstlings­wirtschaft verschafft­e.

Zugleich jedoch ist ein Proteststu­rm der Nettoempfä­nger gegen die Einführung leistungsb­asierter Kohäsionsf­örderungen für diese innereurop­äische Entwicklun­gshilfe zu erwarten. Die Verhandlun­gen um den nächsten Finanzrahm­en für die Jahre 2028 bis 2034 werden jedenfalls heuer im Herbst nach der Europawahl beginnen.

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