„In Österreich wird verstärkt aufgeklärt“
Ursula Schmudermayer, die für Österreich zuständige EU-Staatsanwältin, spricht über den Kampf gegen (Mehrwertsteuer-)Betrug in Europa.
Die Europäische Staatsanwaltschaft ist seit 2021 operativ tätig. Wie entwickelt sich die Zahl der Fälle, mit denen Sie sich konfrontiert sehen?
Ursula Schmudermayer: Sie steigt gemeinsam mit unserem Bekanntheitsgrad. 2023 haben wir aus fast 4200 Anzeigen 1300 Verfahren eröffnet, das ist ein Plus von 58 Prozent gegenüber dem Jahr 2022. Wir haben zurzeit 1900 anhängige Verfahren und verzeichnen sowohl bei Anzeigen von nationalen Behörden als auch von Privatpersonen massive Zuwächse.
Kann man die Eppo auch als Privatperson kontaktieren?
Ja, über ein Formular auf unserer Website kann jeder einen Sachverhalt darlegen.
Kommt es oft vor, dass Lappalien gemeldet werden?
Wir bekommen relativ viele Meldungen von Privaten, die sich über einen Missstand beschweren. Sehr häufig handelt es sich dabei um Personen, die auf nationalem Rechtsweg gescheitert sind und es nun auf EU-Ebene probieren. Es kamen schon Fälle vor, bei denen unliebsame Nachbarn wegen angeblicher Steuerhinterziehung angezeigt wurden. Grundsätzlich ist es so, dass unsere Zuständigkeit dort beginnt, wo EU-Geld fließt.
Außer es handelt sich um Ungarn, das bei der Eppo nicht mitmachen will.
Ganz so ist es nicht. Es kann durchaus sein, dass wir in einem Strafverfahren ermitteln, bei dem sich ein Teil des Sachverhalts in Ungarn abspielt. Grundsätzlich ist nämlich auch eine Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft nach Schadensort möglich. Wenn beispielsweise die EU-Kommission Geld nach Ungarn vergibt, dann ist der Ort des potenziellen Schadens Brüssel – und Belgien gehört bekanntlich zur Eppo. In so einem Fall wären wir aber auf die Kooperation der ungarischen Behörden angewiesen.
Was macht das Gros der Fälle aus?
Von der Anzahl her werden die meisten Fälle im Förder- und Subventionsbereich verzeichnet. Punkto Schadensbeträge ist es ganz klar der Mehrwertsteuerbetrug: Mehrwertsteuerfälle machen 18 Prozent aller Fälle aus, verursachen aber 60 Prozent des Gesamtschadens. Im Vorjahr waren es etwa 11,5 Mrd. Euro.
Wie kann man sich so einen Mehrwertsteuerbetrug vorstellen?
Die Täter nutzen aus, dass innerhalb der EU die MwSt. nicht fällig wird, wenn die Ware von einem EU-Staat in einen anderen EUStaat geliefert wird. Diese Ware sollte am Lieferort zum Bruttopreis verkauft und die dabei angefallene Umsatzsteuer ans Finanzamt überwiesen werden. Aber bei einem sogenannten
Mehrwertsteuerkarussell zahlen diese Unternehmen die Umsatzsteuer nicht, weil sie innerhalb einer kurzen Zeit verschwinden. Das Geld, das sie nicht an die Finanz abgeführt haben, ist damit weg.
Und wie geht es weiter?
Die anderen Unternehmen im Karussell, die an das besagte Unternehmen liefern oder von diesem beliefert werden, verhalten sich relativ konform. Doch dadurch, dass der Preis der Ware durch die Weglassung der Steuer künstlich reduziert wird, können sie billiger verkaufen. Die im Karussell nachgereihten Firmen machen in Folge mehr Umsatz und sind profitabler. Es gibt Varianten, bei denen gar keine Ware im Kreis geschickt wird, sondern ausschließlich elektronische Rechnungen und Lieferscheine. Es kann auch sein, dass Firmen zwischengeschaltet sind, die nichts von dem Betrug wissen. Man kann die Ware auch mehrfach ins Karussell schicken. Zuletzt haben wir mit der Causa „Admiral“einen besonders spektakulären Fall bearbeitet.
Was war so besonders an diesem Fall?
Die Causa nahm ihren Ursprung in Portugal: Das Finanzamt einer kleinen Stadt hatte ein Unternehmen unter die Lupe genommen – wegen des Verdachts, die Firma kaufe und verkaufe Elektronikartikel, ohne die MwSt. korrekt zu verrechnen. Die lokale Staatsanwaltschaft hat der Eppo den Fall übertragen. Zu dem Zeitpunkt ging es um nicht viel, dann hat aber der europäische Staatsanwalt, der das Verfahren bearbeitet hatte, die internationalen Connections des Unternehmens geprüft – und dabei hat sich herausgestellt, dass es Verbindungen zu 9000 Unternehmen weltweit hatte. Ein global organisiertes
Mehrwertsteuerkarussell ist so aufgeflogen, bei dem ein Gesamtschaden über zwei Mrd. Euro entstanden ist. 30 Länder waren involviert, darunter China und die Schweiz.
Und warum hieß die Causa „Admiral“?
Der Codename war eine Hommage an den mit dem Fall betrauten Eppo-Chefermittler, der mit Vornamen Nelson heißt.
Wie können Drittstaaten beteiligt sein, wenn es doch um EU-Steuern geht?
Weil die Ware von dort stammt, etwa Elektronikartikel aus China. Man kann derartige Steuerumgehungskonstrukte natürlich auch mit Zollbetrug kombinieren.
In welchen Bereichen wird besonders gern betrogen?
Beispielsweise bei E-Bikes. Auf ein elektrisches Fahrrad aus China fällt in der EU ein bestimmter Zollsatz an. Handelt es sich dabei um ein in Einzelteile zerlegtes Rad, ist der Zollsatz niedriger. Es kann vorkommen, dass bereits montierte E-Bikes vor der Grenze zerlegt, in die EU gebracht und anschließend gleich wieder zusammengebaut werden. Die Differenz zwischen den zwei Zollsätzen ist dann der Schaden.
Sie sind bei der Eppo für Österreich zuständig. Haben Sie viel zu tun?
Momentan bearbeiten wir 50 offene Verfahren in Österreich. Vor einem Jahr hatten wir erst acht. Das ist viel – auch im Vergleich zu ähnlich großen Mitgliedstaaten.
Legen die Österreicher mehr kriminelle Energie an den Tag als andere EU-Bürger?
Nein, das ist der verstärkten Aufklärung zu verdanken. Hierzulande gibt es Förderabwicklungsunternehmen, die mit der Vergabe der EU-Gelder betraut sind und uns die Verdachtsfälle melden. Die Kooperation mit dem Zollamt Österreich und dem Amt für Betrugsbekämpfung (ABB) ist sehr gut. Etwas herausfordernder ist es bei der Zusammenarbeit mit dem Innenministerium, weil die Kriminalämter nach Bundesländern organisiert sind. Das ist strukturell bedingt, bringt in der Praxis zusätzlichen Aufwand, weil es keine für ganz Österreich zuständige Einheit gibt, in der das entsprechende Fachwissen gebündelt vorhanden wäre.
Die Arbeitsbelastung dürfte also nicht abnehmen.
Eher nicht. Mit Stand Februar haben wir 143 delegierte Staatsanwälte. Zugleich gibt es mit dem Corona-Hilfsfonds einen neuen EUGeldtopf, der mit knapp 750 Mrd. Euro dotiert ist. Obwohl diese Darlehen und Finanzhilfen auf dem Papier als österreichisches Fördergeld erscheinen, handelt es sich dabei um EU-Förderungen. Und damit auch um unsere Zuständigkeit.