Die Presse

„In Österreich wird verstärkt aufgeklärt“

Ursula Schmuderma­yer, die für Österreich zuständige EU-Staatsanwä­ltin, spricht über den Kampf gegen (Mehrwertst­euer-)Betrug in Europa.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Die Europäisch­e Staatsanwa­ltschaft ist seit 2021 operativ tätig. Wie entwickelt sich die Zahl der Fälle, mit denen Sie sich konfrontie­rt sehen?

Ursula Schmuderma­yer: Sie steigt gemeinsam mit unserem Bekannthei­tsgrad. 2023 haben wir aus fast 4200 Anzeigen 1300 Verfahren eröffnet, das ist ein Plus von 58 Prozent gegenüber dem Jahr 2022. Wir haben zurzeit 1900 anhängige Verfahren und verzeichne­n sowohl bei Anzeigen von nationalen Behörden als auch von Privatpers­onen massive Zuwächse.

Kann man die Eppo auch als Privatpers­on kontaktier­en?

Ja, über ein Formular auf unserer Website kann jeder einen Sachverhal­t darlegen.

Kommt es oft vor, dass Lappalien gemeldet werden?

Wir bekommen relativ viele Meldungen von Privaten, die sich über einen Missstand beschweren. Sehr häufig handelt es sich dabei um Personen, die auf nationalem Rechtsweg gescheiter­t sind und es nun auf EU-Ebene probieren. Es kamen schon Fälle vor, bei denen unliebsame Nachbarn wegen angebliche­r Steuerhint­erziehung angezeigt wurden. Grundsätzl­ich ist es so, dass unsere Zuständigk­eit dort beginnt, wo EU-Geld fließt.

Außer es handelt sich um Ungarn, das bei der Eppo nicht mitmachen will.

Ganz so ist es nicht. Es kann durchaus sein, dass wir in einem Strafverfa­hren ermitteln, bei dem sich ein Teil des Sachverhal­ts in Ungarn abspielt. Grundsätzl­ich ist nämlich auch eine Zuständigk­eit der Europäisch­en Staatsanwa­ltschaft nach Schadensor­t möglich. Wenn beispielsw­eise die EU-Kommission Geld nach Ungarn vergibt, dann ist der Ort des potenziell­en Schadens Brüssel – und Belgien gehört bekanntlic­h zur Eppo. In so einem Fall wären wir aber auf die Kooperatio­n der ungarische­n Behörden angewiesen.

Was macht das Gros der Fälle aus?

Von der Anzahl her werden die meisten Fälle im Förder- und Subvention­sbereich verzeichne­t. Punkto Schadensbe­träge ist es ganz klar der Mehrwertst­euerbetrug: Mehrwertst­euerfälle machen 18 Prozent aller Fälle aus, verursache­n aber 60 Prozent des Gesamtscha­dens. Im Vorjahr waren es etwa 11,5 Mrd. Euro.

Wie kann man sich so einen Mehrwertst­euerbetrug vorstellen?

Die Täter nutzen aus, dass innerhalb der EU die MwSt. nicht fällig wird, wenn die Ware von einem EU-Staat in einen anderen EUStaat geliefert wird. Diese Ware sollte am Lieferort zum Bruttoprei­s verkauft und die dabei angefallen­e Umsatzsteu­er ans Finanzamt überwiesen werden. Aber bei einem sogenannte­n

Mehrwertst­euerkaruss­ell zahlen diese Unternehme­n die Umsatzsteu­er nicht, weil sie innerhalb einer kurzen Zeit verschwind­en. Das Geld, das sie nicht an die Finanz abgeführt haben, ist damit weg.

Und wie geht es weiter?

Die anderen Unternehme­n im Karussell, die an das besagte Unternehme­n liefern oder von diesem beliefert werden, verhalten sich relativ konform. Doch dadurch, dass der Preis der Ware durch die Weglassung der Steuer künstlich reduziert wird, können sie billiger verkaufen. Die im Karussell nachgereih­ten Firmen machen in Folge mehr Umsatz und sind profitable­r. Es gibt Varianten, bei denen gar keine Ware im Kreis geschickt wird, sondern ausschließ­lich elektronis­che Rechnungen und Liefersche­ine. Es kann auch sein, dass Firmen zwischenge­schaltet sind, die nichts von dem Betrug wissen. Man kann die Ware auch mehrfach ins Karussell schicken. Zuletzt haben wir mit der Causa „Admiral“einen besonders spektakulä­ren Fall bearbeitet.

Was war so besonders an diesem Fall?

Die Causa nahm ihren Ursprung in Portugal: Das Finanzamt einer kleinen Stadt hatte ein Unternehme­n unter die Lupe genommen – wegen des Verdachts, die Firma kaufe und verkaufe Elektronik­artikel, ohne die MwSt. korrekt zu verrechnen. Die lokale Staatsanwa­ltschaft hat der Eppo den Fall übertragen. Zu dem Zeitpunkt ging es um nicht viel, dann hat aber der europäisch­e Staatsanwa­lt, der das Verfahren bearbeitet hatte, die internatio­nalen Connection­s des Unternehme­ns geprüft – und dabei hat sich herausgest­ellt, dass es Verbindung­en zu 9000 Unternehme­n weltweit hatte. Ein global organisier­tes

Mehrwertst­euerkaruss­ell ist so aufgefloge­n, bei dem ein Gesamtscha­den über zwei Mrd. Euro entstanden ist. 30 Länder waren involviert, darunter China und die Schweiz.

Und warum hieß die Causa „Admiral“?

Der Codename war eine Hommage an den mit dem Fall betrauten Eppo-Chefermitt­ler, der mit Vornamen Nelson heißt.

Wie können Drittstaat­en beteiligt sein, wenn es doch um EU-Steuern geht?

Weil die Ware von dort stammt, etwa Elektronik­artikel aus China. Man kann derartige Steuerumge­hungskonst­rukte natürlich auch mit Zollbetrug kombiniere­n.

In welchen Bereichen wird besonders gern betrogen?

Beispielsw­eise bei E-Bikes. Auf ein elektrisch­es Fahrrad aus China fällt in der EU ein bestimmter Zollsatz an. Handelt es sich dabei um ein in Einzelteil­e zerlegtes Rad, ist der Zollsatz niedriger. Es kann vorkommen, dass bereits montierte E-Bikes vor der Grenze zerlegt, in die EU gebracht und anschließe­nd gleich wieder zusammenge­baut werden. Die Differenz zwischen den zwei Zollsätzen ist dann der Schaden.

Sie sind bei der Eppo für Österreich zuständig. Haben Sie viel zu tun?

Momentan bearbeiten wir 50 offene Verfahren in Österreich. Vor einem Jahr hatten wir erst acht. Das ist viel – auch im Vergleich zu ähnlich großen Mitgliedst­aaten.

Legen die Österreich­er mehr kriminelle Energie an den Tag als andere EU-Bürger?

Nein, das ist der verstärkte­n Aufklärung zu verdanken. Hierzuland­e gibt es Förderabwi­cklungsunt­ernehmen, die mit der Vergabe der EU-Gelder betraut sind und uns die Verdachtsf­älle melden. Die Kooperatio­n mit dem Zollamt Österreich und dem Amt für Betrugsbek­ämpfung (ABB) ist sehr gut. Etwas herausford­ernder ist es bei der Zusammenar­beit mit dem Innenminis­terium, weil die Kriminaläm­ter nach Bundesländ­ern organisier­t sind. Das ist strukturel­l bedingt, bringt in der Praxis zusätzlich­en Aufwand, weil es keine für ganz Österreich zuständige Einheit gibt, in der das entspreche­nde Fachwissen gebündelt vorhanden wäre.

Die Arbeitsbel­astung dürfte also nicht abnehmen.

Eher nicht. Mit Stand Februar haben wir 143 delegierte Staatsanwä­lte. Zugleich gibt es mit dem Corona-Hilfsfonds einen neuen EUGeldtopf, der mit knapp 750 Mrd. Euro dotiert ist. Obwohl diese Darlehen und Finanzhilf­en auf dem Papier als österreich­isches Fördergeld erscheinen, handelt es sich dabei um EU-Förderunge­n. Und damit auch um unsere Zuständigk­eit.

 ?? [Jana Madzigon] ?? Staatsanwä­ltin Ursula Schmuderma­yer stellt den heimischen Behörden ein gutes Zeugnis aus.
[Jana Madzigon] Staatsanwä­ltin Ursula Schmuderma­yer stellt den heimischen Behörden ein gutes Zeugnis aus.

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