Die Presse

„Der Rebell ist letztes Jahr gestorben“

Der rote Bezirksfun­ktionär Nikolaus Kowall hat Babler die Tür zum Parteivors­itz geöffnet – wie er sagt. Jetzt will er ins Parlament einziehen. Um seine Chancen zu erhöhen, hat er eine Vorzugssti­mmenkampag­ne gestartet.

- VON ELISABETH HOFER

Herr Kowall, es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass Sie für den Parteivors­itz kandidiert und das wieder zurückgezo­gen haben. War das rückblicke­nd die richtige Entscheidu­ng?

Nikolaus Kowall: Das war die absolut richtige Entscheidu­ng. Ich habe jetzt ein Dreivierte­ljahr Andi Bablers Einstieg in die Spitzenpol­itik beobachtet und bin sehr froh, dass er sich das angetan hat.

Sind Sie mit seiner Performanc­e als Parteichef zufrieden?

Die inhaltlich­e Ausrichtun­g der SPÖ ist so, wie ich mir das vorstelle. Das Gesamtbild, das die SPÖ abgibt, ist nicht so, wie ich es mir vorstelle. Das liegt aber viel weniger an Andi Babler als an den anderen. Manche verstehen nicht, dass man Babler zur Entfaltung bringen muss. Er ist nämlich ein potenziell­er Anti-Establishm­ent-Kandidat.

Sie meinen, so wie Kickl?

Eher wie Kay-Michael Dankl oder Elke Kahr. Salzburg und Graz sind aus meiner Sicht Indizien dafür, dass Anti-Establishm­ent-Kandidaten bei einem Politikbet­rieb, der nicht den besten Ruf hat, gar nicht so schlecht angeschrie­ben sind. Babler hat hier viel zu bieten: Er ist unmittelba­r, redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und er hat Vorschläge, die nicht allen Leitartikl­ern gefallen, aber im Interesse sehr vieler Menschen sind. Diese Qualitäten sollte man zur Geltung bringen und nicht aus staatsmänn­ischer oder sonstiger Panik immer dazwischen­funken. Man muss verstehen, dass Babler eine wertvolle Rolle hat. Er hilft uns im Dreieck mit Neos und Hellschwar­zen nicht allzu viel. Viel wichtiger ist aber das Dreieck mit Nichtwähle­rn und Blau-Wählern. Da schwächelt die SPÖ seit Langem, und er ist ein unkonventi­onelles Gegenangeb­ot.

Sind Sie auch ein Anti-Establishm­ent-Kandidat?

Je älter ich werde, umso ruhiger, umso weniger großmäulig und umso gesettelte­r werde ich beruflich und familiär. Ich bin jetzt 41, mich als jugendlich­en Aufrührer zu stilisiere­n wäre ein bisschen lächerlich. Aber ich komme nicht aus dem politische­n Establishm­ent. Ich habe mich ganz bewusst hauptberuf­lich bisher nicht am politische­n Geschehen beteiligt.

Warum wollen Sie das jetzt doch?

Ich habe mich beruflich und inhaltlich gut aufgestell­t. Die Partei ist in die Richtung gegangen, in der ich sie mir gewünscht habe. Ganz klar, Babler hat diese Abstimmung mit seiner beherzten Kampagne gewonnen. Aber ich habe sozusagen die Tür geöffnet. Jetzt möchte ich an dem Projekt mitwirken.

Ist die Partei ausreichen­d zur Ruhe gekommen?

Nein, ist sie nicht. Und ich mache darauf aufmerksam, dass diese Wahlen gemeinsam gewonnen und gemeinsam verloren werden. Jetzt haben wir als SPÖ auf Babler gesetzt. Alle, die jetzt Richtungss­treitigkei­ten vom Zaun brechen, bringen das Projekt, im Herbst erfolgreic­h zu sein, in Gefahr.

Sie sagen, Sie haben Babler die Tür geöffnet, trotzdem sind Sie in Wien auf einem recht aussichtsl­osen Listenplat­z gelandet.

Zum Liebling des Parteiappa­rats werde ich einfach nicht mehr in diesem Leben.

Früher zu großmäulig gewesen?

Ja. Und ich spiele nach anderen Regeln. Das ist halt so. Aber ich habe auch schon über 1000 Mitglieder in die SPÖ gebracht. Und ich habe Netzwerke und Verbindung­en über Wien hinaus.

Nach welchen Regeln spielen Sie?

Nach einer Überzeugun­gslogik und nicht nach einer Machtlogik.

Gefällt Ihnen die Zuschreibu­ng eines Parteirebe­llen?

Nein. Der Rebell ist letztes Jahr gestorben. Ich will jetzt eine konstrukti­ve Rolle. Babler hat begonnen, mit dem Transforma­tionsfonds die Leitlinien für eine sozialökol­ogische Wende unserer Wirtschaft aufzuzeige­n. Ich möchte daran mitwirken, das zu konkretisi­eren.

Verstehen Sie sich als Angebot an enttäuscht­e Grüne?

Das möchte ich so nicht ausdrücken, weil mir das Grünen-Bashing auf die Nerven geht. Aber ich bin ein Angebot für Leute, die eine Person wollen, die sich in ökonomisch­en Fragen auskennt, die eine Vorstellun­g hat, wie man die ökologisch­e Transforma­tion unter sozialen Gesichtspu­nkten schaffen kann, und obendrein ein Sturmgesch­ütz für die Demokratie und die offene Gesellscha­ft ist.

Josef Cap hat 1983 auch eine Vorzugssti­mmenkampag­ne gestartet. Gefällt Ihnen der Vergleich?

Diesen Vergleich lehne ich zu tausend Prozent ab. Cap war 31 und Jugendfunk­tionär. Ich bin älter und habe einen Beruf. Das heißt, ich kann in die Politik wechseln, muss aber nicht. Cap hat alles auf eine Karte gesetzt und dann alle Kapriolen in den Achtzigern und Neunzigern mitmachen müssen. Auch inhaltlich war das damals anders. Die Kommunisti­sche Partei Italiens war sehr erfolgreic­h, es gab in Europa die Stimmung, über die Sozialdemo­kratie nach links hinauszuko­mmen. Damals haben sie Gramsci gelesen und sind dann im Neoliberal­ismus aufgewacht. Sie hatten überhaupt keine Vorstellun­gen und Instrument­e, um mit ihrer Realität umzugehen. Ich bin ein Kind des Neoliberal­ismus. Ich habe viel realpoliti­schere und nüchterner­e Vorstellun­gen von dem, was Sozialdemo­kratie machen kann.

Aber auch Sie haben Gramsci gelesen?

Ich kenne die Sachen, aber begeistert hat mich Keynes – oder Bernstein. Bernstein ist der Begründer des sozialdemo­kratischen Reformismu­s. Ich bin sozusagen ein rebellisch­er Reformist. Vom Stil her aufmüpfig, inhaltlich Reformist.

Sie schreiben auf Twitter, Sozialdemo­kratie sei eigentlich keine Hexerei. Warum ist sie dann europaweit in der Defensive?

Das hat auch mit Europa selbst zu tun. Solang der Nationalst­aat funktionst­üchtig war, als die Wirtschaft national strukturie­rt war und der Außenhande­l eine geringe Rolle gespielt hat, als ein erhebliche­r Teil der Wirtschaft verstaatli­cht war, da hatte die Sozialdemo­kratie unfassbar viele Instrument­e. Mit weniger Globalisie­rung hat man auch bessere Kapitalver­kehrskontr­ollen, man hat Handelsbes­chränkunge­n und die Möglichkei­t, Dumping einzudämme­n. Sobald du einen EUBinnenma­rkt hast, einen von WTO-Regeln gestaltete­n Weltmarkt, fallen diese wirtschaft­spolitisch­en Instrument­e weg. Das heißt, du bist dann sozusagen eine globalisie­rte Volkswirts­chaft, die die Steuerungs­möglichkei­ten, die die Sozialdemo­kratie aufgebaut hat, nicht mehr hat.

Sind Sie also ein Fan der Europäisch­en Union oder nicht?

Ich bin ein Megafan der EU. Aus einer Steuerungs­perspektiv­e ist sie unser neuer Nationalst­aat. Die EU hat eine Geschlosse­nheit des Binnenmark­ts wie ein größerer europäisch­er Nationalst­aat in den Sechzigerj­ahren. Das heißt, die EU ist das stärkste potenziell­e Instrument, um eine sozialdemo­kratische Politik wiederherz­ustellen. Das Drama ist, dass das viele Sozialdemo­kraten immer noch nicht begriffen haben. Sie verstehen nicht, dass das die Ebene ist, auf der man mit den Konzernen auf Augenhöhe ist. Wenn man Waffenglei­chheit herstellen will, zwischen Demokratie und Kapital, kann man nicht mit Österreich anfangen. Dann braucht man Europa.

Der designiert­e Salzburger Bürgermeis­ter, Bernhard Auinger, hat gesagt, die Bundes-SPÖ soll nicht weiter nach links rücken. Wie sehen Sie das?

Die einen meinen das wirtschaft­spolitisch, die anderen meinen das Migrations­thema, die Dritten meinen das Verkehrsth­ema. Also, das ist eine Aussage ohne klaren Inhalt. Ich bin nicht gegen Zwischenru­fe, aber es wäre gut, wenn der Zwischenru­f so konkret ist, dass man darauf repliziere­n kann.

Sind Sie nach wie vor für die Vermögenst­euer?

Das ist seit 2012 Parteilini­e, ich war einer der lautesten Lobbyisten dafür. Ich glaube nicht, dass sich all unsere Wünsche damit finanziere­n lassen, und ich glaube, dass die Erbschafts­steuer für Millionene­rben das gesellscha­ftspolitis­ch weitreiche­ndere Instrument ist, weil sie das Dynastisch­e unterbrech­en kann. Aber ja, ich denke, dass man die Vermögenst­euer etwa gegen eine geringere Besteuerun­g auf Arbeit super abgleichen könnte.

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[Clemens Fabry] Nikolaus Kowall möchte nicht mit Josef Cap und dessen Vorzugssti­mmenkampag­ne verglichen werden.

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