„Der Rebell ist letztes Jahr gestorben“
Der rote Bezirksfunktionär Nikolaus Kowall hat Babler die Tür zum Parteivorsitz geöffnet – wie er sagt. Jetzt will er ins Parlament einziehen. Um seine Chancen zu erhöhen, hat er eine Vorzugsstimmenkampagne gestartet.
Herr Kowall, es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass Sie für den Parteivorsitz kandidiert und das wieder zurückgezogen haben. War das rückblickend die richtige Entscheidung?
Nikolaus Kowall: Das war die absolut richtige Entscheidung. Ich habe jetzt ein Dreivierteljahr Andi Bablers Einstieg in die Spitzenpolitik beobachtet und bin sehr froh, dass er sich das angetan hat.
Sind Sie mit seiner Performance als Parteichef zufrieden?
Die inhaltliche Ausrichtung der SPÖ ist so, wie ich mir das vorstelle. Das Gesamtbild, das die SPÖ abgibt, ist nicht so, wie ich es mir vorstelle. Das liegt aber viel weniger an Andi Babler als an den anderen. Manche verstehen nicht, dass man Babler zur Entfaltung bringen muss. Er ist nämlich ein potenzieller Anti-Establishment-Kandidat.
Sie meinen, so wie Kickl?
Eher wie Kay-Michael Dankl oder Elke Kahr. Salzburg und Graz sind aus meiner Sicht Indizien dafür, dass Anti-Establishment-Kandidaten bei einem Politikbetrieb, der nicht den besten Ruf hat, gar nicht so schlecht angeschrieben sind. Babler hat hier viel zu bieten: Er ist unmittelbar, redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und er hat Vorschläge, die nicht allen Leitartiklern gefallen, aber im Interesse sehr vieler Menschen sind. Diese Qualitäten sollte man zur Geltung bringen und nicht aus staatsmännischer oder sonstiger Panik immer dazwischenfunken. Man muss verstehen, dass Babler eine wertvolle Rolle hat. Er hilft uns im Dreieck mit Neos und Hellschwarzen nicht allzu viel. Viel wichtiger ist aber das Dreieck mit Nichtwählern und Blau-Wählern. Da schwächelt die SPÖ seit Langem, und er ist ein unkonventionelles Gegenangebot.
Sind Sie auch ein Anti-Establishment-Kandidat?
Je älter ich werde, umso ruhiger, umso weniger großmäulig und umso gesettelter werde ich beruflich und familiär. Ich bin jetzt 41, mich als jugendlichen Aufrührer zu stilisieren wäre ein bisschen lächerlich. Aber ich komme nicht aus dem politischen Establishment. Ich habe mich ganz bewusst hauptberuflich bisher nicht am politischen Geschehen beteiligt.
Warum wollen Sie das jetzt doch?
Ich habe mich beruflich und inhaltlich gut aufgestellt. Die Partei ist in die Richtung gegangen, in der ich sie mir gewünscht habe. Ganz klar, Babler hat diese Abstimmung mit seiner beherzten Kampagne gewonnen. Aber ich habe sozusagen die Tür geöffnet. Jetzt möchte ich an dem Projekt mitwirken.
Ist die Partei ausreichend zur Ruhe gekommen?
Nein, ist sie nicht. Und ich mache darauf aufmerksam, dass diese Wahlen gemeinsam gewonnen und gemeinsam verloren werden. Jetzt haben wir als SPÖ auf Babler gesetzt. Alle, die jetzt Richtungsstreitigkeiten vom Zaun brechen, bringen das Projekt, im Herbst erfolgreich zu sein, in Gefahr.
Sie sagen, Sie haben Babler die Tür geöffnet, trotzdem sind Sie in Wien auf einem recht aussichtslosen Listenplatz gelandet.
Zum Liebling des Parteiapparats werde ich einfach nicht mehr in diesem Leben.
Früher zu großmäulig gewesen?
Ja. Und ich spiele nach anderen Regeln. Das ist halt so. Aber ich habe auch schon über 1000 Mitglieder in die SPÖ gebracht. Und ich habe Netzwerke und Verbindungen über Wien hinaus.
Nach welchen Regeln spielen Sie?
Nach einer Überzeugungslogik und nicht nach einer Machtlogik.
Gefällt Ihnen die Zuschreibung eines Parteirebellen?
Nein. Der Rebell ist letztes Jahr gestorben. Ich will jetzt eine konstruktive Rolle. Babler hat begonnen, mit dem Transformationsfonds die Leitlinien für eine sozialökologische Wende unserer Wirtschaft aufzuzeigen. Ich möchte daran mitwirken, das zu konkretisieren.
Verstehen Sie sich als Angebot an enttäuschte Grüne?
Das möchte ich so nicht ausdrücken, weil mir das Grünen-Bashing auf die Nerven geht. Aber ich bin ein Angebot für Leute, die eine Person wollen, die sich in ökonomischen Fragen auskennt, die eine Vorstellung hat, wie man die ökologische Transformation unter sozialen Gesichtspunkten schaffen kann, und obendrein ein Sturmgeschütz für die Demokratie und die offene Gesellschaft ist.
Josef Cap hat 1983 auch eine Vorzugsstimmenkampagne gestartet. Gefällt Ihnen der Vergleich?
Diesen Vergleich lehne ich zu tausend Prozent ab. Cap war 31 und Jugendfunktionär. Ich bin älter und habe einen Beruf. Das heißt, ich kann in die Politik wechseln, muss aber nicht. Cap hat alles auf eine Karte gesetzt und dann alle Kapriolen in den Achtzigern und Neunzigern mitmachen müssen. Auch inhaltlich war das damals anders. Die Kommunistische Partei Italiens war sehr erfolgreich, es gab in Europa die Stimmung, über die Sozialdemokratie nach links hinauszukommen. Damals haben sie Gramsci gelesen und sind dann im Neoliberalismus aufgewacht. Sie hatten überhaupt keine Vorstellungen und Instrumente, um mit ihrer Realität umzugehen. Ich bin ein Kind des Neoliberalismus. Ich habe viel realpolitischere und nüchternere Vorstellungen von dem, was Sozialdemokratie machen kann.
Aber auch Sie haben Gramsci gelesen?
Ich kenne die Sachen, aber begeistert hat mich Keynes – oder Bernstein. Bernstein ist der Begründer des sozialdemokratischen Reformismus. Ich bin sozusagen ein rebellischer Reformist. Vom Stil her aufmüpfig, inhaltlich Reformist.
Sie schreiben auf Twitter, Sozialdemokratie sei eigentlich keine Hexerei. Warum ist sie dann europaweit in der Defensive?
Das hat auch mit Europa selbst zu tun. Solang der Nationalstaat funktionstüchtig war, als die Wirtschaft national strukturiert war und der Außenhandel eine geringe Rolle gespielt hat, als ein erheblicher Teil der Wirtschaft verstaatlicht war, da hatte die Sozialdemokratie unfassbar viele Instrumente. Mit weniger Globalisierung hat man auch bessere Kapitalverkehrskontrollen, man hat Handelsbeschränkungen und die Möglichkeit, Dumping einzudämmen. Sobald du einen EUBinnenmarkt hast, einen von WTO-Regeln gestalteten Weltmarkt, fallen diese wirtschaftspolitischen Instrumente weg. Das heißt, du bist dann sozusagen eine globalisierte Volkswirtschaft, die die Steuerungsmöglichkeiten, die die Sozialdemokratie aufgebaut hat, nicht mehr hat.
Sind Sie also ein Fan der Europäischen Union oder nicht?
Ich bin ein Megafan der EU. Aus einer Steuerungsperspektive ist sie unser neuer Nationalstaat. Die EU hat eine Geschlossenheit des Binnenmarkts wie ein größerer europäischer Nationalstaat in den Sechzigerjahren. Das heißt, die EU ist das stärkste potenzielle Instrument, um eine sozialdemokratische Politik wiederherzustellen. Das Drama ist, dass das viele Sozialdemokraten immer noch nicht begriffen haben. Sie verstehen nicht, dass das die Ebene ist, auf der man mit den Konzernen auf Augenhöhe ist. Wenn man Waffengleichheit herstellen will, zwischen Demokratie und Kapital, kann man nicht mit Österreich anfangen. Dann braucht man Europa.
Der designierte Salzburger Bürgermeister, Bernhard Auinger, hat gesagt, die Bundes-SPÖ soll nicht weiter nach links rücken. Wie sehen Sie das?
Die einen meinen das wirtschaftspolitisch, die anderen meinen das Migrationsthema, die Dritten meinen das Verkehrsthema. Also, das ist eine Aussage ohne klaren Inhalt. Ich bin nicht gegen Zwischenrufe, aber es wäre gut, wenn der Zwischenruf so konkret ist, dass man darauf replizieren kann.
Sind Sie nach wie vor für die Vermögensteuer?
Das ist seit 2012 Parteilinie, ich war einer der lautesten Lobbyisten dafür. Ich glaube nicht, dass sich all unsere Wünsche damit finanzieren lassen, und ich glaube, dass die Erbschaftssteuer für Millionenerben das gesellschaftspolitisch weitreichendere Instrument ist, weil sie das Dynastische unterbrechen kann. Aber ja, ich denke, dass man die Vermögensteuer etwa gegen eine geringere Besteuerung auf Arbeit super abgleichen könnte.