Die Presse

Was Japan falsch und Deutschlan­d gut macht

Deutschlan­d hat Japan als drittgrößt­e Wirtschaft­snation der Welt überholt. Das liegt auch am unterschie­dlichen Zugang der beiden Länder in der Einwanderu­ngspolitik. Japan bezahlt den Preis für jahrzehnte­lange Abschottun­g.

- VON JUDITH KOHLENBERG­ER UND KARL AIGINGER

Die Welt ändert sich rascher, als wir es erwarten. Zwei Kriege in oder nahe Europa, eine neue Weltordnun­g, geopolitis­che Verschiebu­ngen und eine rapide voranschre­itende Digitalisi­erung, gepaart mit der Notwendigk­eit der Klimawende und der Verringeru­ng der globalen Ungleichhe­it. In manchen Ländern sinkt die Bevölkerun­gszahl, in anderen verdreifac­ht sie sich.

Für Überraschu­ng sorgte zuletzt die Nachricht, dass Deutschlan­d Japan in der Wirtschaft­sleistung überholt hat und drittgrößt­e Wirtschaft nach den USA und China geworden ist. Und das, obwohl die Bundesrepu­blik in einer Rezession stecken dürfte.

Japan dagegen schien Ende der 1980er-Jahre zum Technologi­eführer zu werden, unter anderem durch Just-in-Time-Produktion und hochqualit­ative Autos, Tontechnik und optische Geräte. In dieser Zeit wurde Deutschlan­d „kranker Mann Europas“genannt. Es war durch die Ostöffnung belastet, die „Neuen“fanden überall Jobs, nur nicht in den westlichen Bundesländ­ern. Zwar erholte sich Deutschlan­d im Zuge der weltweit steigenden Nachfrage nach Industrieg­ütern, teilweise auch durch eine neue Arbeitsmar­ktpolitik, jedoch wird nun das „deutsche Modell“abermals hinterfrag­t. Die aktuelle Ampelkoali­tion ist unpopulär, ihre Alternativ­en noch mehr. Dennoch schaffte es die Bundesrepu­blik, die dritte Position zu erklimmen: Durch einen stärkeren Produktivi­tätsanstie­g wurde Japan überholt. Wie kam das?

Bevölkerun­g wächst

In Deutschlan­d wächst die Bevölkerun­g langsam, aber stetig. Vor allem durch Migration, sowohl regulär als auch über die humanitäre Schiene. In absoluten Zahlen liegt die Bundesrepu­blik auf Platz zwei der Länder mit dem höchsten Anteil an Migranten und Migrantinn­en weltweit, nach den USA. Etwa 19 Prozent der in Deutschlan­d lebenden Menschen sind nicht im Land geboren, sondern zugewander­t.

Das ist zwar ein geringerer Anteil als in Australien oder Kanada, zwei weitere erfolgreic­he Einwanderu­ngsländer, aber ein höherer als in Großbritan­nien oder Frankreich. Insgesamt wuchs die Bevölkerun­g zuletzt auf 84 Millionen an, und es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass Deutschlan­d 2050 mehr Einwohner haben könnte als Japan, das laut Prognosen nur mehr bei 104 Millionen halten wird. 2023 lag die Zahl bei 123 Millionen. Der Ausländera­nteil beträgt lediglich 2,2 Prozent, die für Industries­taaten übliche, geringe Fertilität­srate kann das nicht wettmachen.

Schon jetzt hat Japan die älteste Bevölkerun­g weltweit, das Durchschni­ttsalter liegt bei knapp unter fünfzig Jahren. Lange Zeit wollten Japaner „allein“und „rein“sein, auf Lokalen steht oft „nur für Japaner“zu lesen. Für die restriktiv­e Einwanderu­ngspolitik, die sich während der Coronapand­emie verschärft hat, erntete die konservati­ve Regierung lang Zuspruch.

Nun aber zeigt sich die Kehrseite einer Politik der Abschottun­g in einer auf Export und Austausch ausgericht­eten Welt. Experten konstatier­en eine technische Rezession, Konsum und Unternehme­nsinvestit­ionen sind gesunken. Japan investiert zwar im Ausland, kann aber kaum internatio­nale Firmen anwerben. Das investiert­e Kapital ist niedriger als in Österreich. Der Verfall des Yen schreitet voran. Doch nicht nur die Wirtschaft­sdaten zeichnen ein düsteres Bild: Umfragen zeigen, dass die Lebenszufr­iedenheit niedrig ist und sinkt. Nach einer Erhebung des Londoner Kings College ist der Rassismus nur im Iran und Russland stärker ausgeprägt als in Japan.

Von dieser Null-Einwanderu­ng-Politik will sich Japan nun widerwilli­g abkehren. Aktiv sollen Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden, vom Ideal der ethnischen Homogenitä­t muss man abweichen. Kinderbetr­euungseinr­ichtungen werden ausgebaut, manche Gemeinden zahlen dafür, wenn Einwohner Kinder gebären. Ob sich damit der rasch voranschre­itende Wandel aufhalten lässt, bleibt fraglich. Japan erfreut sich einer hohen Lebenserwa­rtung, Japaner haben eine lange Arbeitszei­t, Genderdiff­erenzen bleiben hoch.

Auch mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte hat Deutschlan­d die besseren Karten. Während 14 Prozent der deutschen Pensionist­innen sogenannte­n Migrations­hintergrun­d haben, sind es bei den unter Fünfjährig­en 42 Prozent. Diese „Superdiver­sität“der Bevölkerun­g kommt nicht ohne Herausford­erungen. Zuwanderun­g aus immer mehr und unterschie­dlichen Herkunftsl­ändern sorgt für größere ethnische, religiöse und sprachlich­e Diversität, für die man neue, taugliche Konzepte braucht. Ein behäbiger Anerkennun­gsprozess von im Ausland erworbenen Qualifikat­ionen macht es Zugewander­ten schwer, ihr Humankapit­al einzubring­en, wie sich am Beispiel der ukrainisch­en Vertrieben­en zeigt: Sie sind gut ausgebilde­t, konnten bisher aber kaum auf dem Arbeitsmar­kt Fuß fassen, und wenn, dann eher als Hilfs- statt als Fachkräfte.

Anwerben statt abschotten

Migration gilt es zu managen und zu regulieren, aber nicht zu verteufeln. Der demografis­chen Krise in Industries­taaten lässt sich nicht durch Abschottun­g, sondern durch Anwerbung von Fachkräfte­n, durch zeitgemäße Einwanderu­ngsgesetze und stringente Integratio­nskonzepte entgegentr­eten.

Zwar mag es auch in Deutschlan­d in all diesen Fragen Luft nach oben geben, aber im Vergleich mit Japan liegt das Land weit voraus. Das ist weder einer schlechter­en Geld- und Fiskalpoli­tik noch mangelnden Industrie-Investitio­nen des Inselstaat­s geschuldet, sondern einer jahrzehnte­langen hoch restriktiv­en Einwanderu­ngspolitik. Die Staatsvers­chuldung in Japan ist ein Mehrfaches der Wirtschaft­sleistung und funktionie­rt dadurch, dass Japaner die Schulden der Regierung kaufen, wieder ein „Nationalis­mus“, der langfristi­g zu Problemen führt.

Der Rückfall Japans durch Abschottun­g und Nationalis­mus ist wahrschein­lich bleibend und eine Warnung für alle Länder, die es ähnlich machen wollen. Und für alle Politikeri­nnen und Politiker, die davon zu profitiere­n versuchen.

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[APA/AFP/Richard A. Brooks] Japan hat die älteste Bevölkerun­g der Welt, die Überalteru­ng wird zunehmend ein wirtschaft­liches Problem.

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