Was Japan falsch und Deutschland gut macht
Deutschland hat Japan als drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt überholt. Das liegt auch am unterschiedlichen Zugang der beiden Länder in der Einwanderungspolitik. Japan bezahlt den Preis für jahrzehntelange Abschottung.
Die Welt ändert sich rascher, als wir es erwarten. Zwei Kriege in oder nahe Europa, eine neue Weltordnung, geopolitische Verschiebungen und eine rapide voranschreitende Digitalisierung, gepaart mit der Notwendigkeit der Klimawende und der Verringerung der globalen Ungleichheit. In manchen Ländern sinkt die Bevölkerungszahl, in anderen verdreifacht sie sich.
Für Überraschung sorgte zuletzt die Nachricht, dass Deutschland Japan in der Wirtschaftsleistung überholt hat und drittgrößte Wirtschaft nach den USA und China geworden ist. Und das, obwohl die Bundesrepublik in einer Rezession stecken dürfte.
Japan dagegen schien Ende der 1980er-Jahre zum Technologieführer zu werden, unter anderem durch Just-in-Time-Produktion und hochqualitative Autos, Tontechnik und optische Geräte. In dieser Zeit wurde Deutschland „kranker Mann Europas“genannt. Es war durch die Ostöffnung belastet, die „Neuen“fanden überall Jobs, nur nicht in den westlichen Bundesländern. Zwar erholte sich Deutschland im Zuge der weltweit steigenden Nachfrage nach Industriegütern, teilweise auch durch eine neue Arbeitsmarktpolitik, jedoch wird nun das „deutsche Modell“abermals hinterfragt. Die aktuelle Ampelkoalition ist unpopulär, ihre Alternativen noch mehr. Dennoch schaffte es die Bundesrepublik, die dritte Position zu erklimmen: Durch einen stärkeren Produktivitätsanstieg wurde Japan überholt. Wie kam das?
Bevölkerung wächst
In Deutschland wächst die Bevölkerung langsam, aber stetig. Vor allem durch Migration, sowohl regulär als auch über die humanitäre Schiene. In absoluten Zahlen liegt die Bundesrepublik auf Platz zwei der Länder mit dem höchsten Anteil an Migranten und Migrantinnen weltweit, nach den USA. Etwa 19 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen sind nicht im Land geboren, sondern zugewandert.
Das ist zwar ein geringerer Anteil als in Australien oder Kanada, zwei weitere erfolgreiche Einwanderungsländer, aber ein höherer als in Großbritannien oder Frankreich. Insgesamt wuchs die Bevölkerung zuletzt auf 84 Millionen an, und es ist nicht ausgeschlossen, dass Deutschland 2050 mehr Einwohner haben könnte als Japan, das laut Prognosen nur mehr bei 104 Millionen halten wird. 2023 lag die Zahl bei 123 Millionen. Der Ausländeranteil beträgt lediglich 2,2 Prozent, die für Industriestaaten übliche, geringe Fertilitätsrate kann das nicht wettmachen.
Schon jetzt hat Japan die älteste Bevölkerung weltweit, das Durchschnittsalter liegt bei knapp unter fünfzig Jahren. Lange Zeit wollten Japaner „allein“und „rein“sein, auf Lokalen steht oft „nur für Japaner“zu lesen. Für die restriktive Einwanderungspolitik, die sich während der Coronapandemie verschärft hat, erntete die konservative Regierung lang Zuspruch.
Nun aber zeigt sich die Kehrseite einer Politik der Abschottung in einer auf Export und Austausch ausgerichteten Welt. Experten konstatieren eine technische Rezession, Konsum und Unternehmensinvestitionen sind gesunken. Japan investiert zwar im Ausland, kann aber kaum internationale Firmen anwerben. Das investierte Kapital ist niedriger als in Österreich. Der Verfall des Yen schreitet voran. Doch nicht nur die Wirtschaftsdaten zeichnen ein düsteres Bild: Umfragen zeigen, dass die Lebenszufriedenheit niedrig ist und sinkt. Nach einer Erhebung des Londoner Kings College ist der Rassismus nur im Iran und Russland stärker ausgeprägt als in Japan.
Von dieser Null-Einwanderung-Politik will sich Japan nun widerwillig abkehren. Aktiv sollen Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden, vom Ideal der ethnischen Homogenität muss man abweichen. Kinderbetreuungseinrichtungen werden ausgebaut, manche Gemeinden zahlen dafür, wenn Einwohner Kinder gebären. Ob sich damit der rasch voranschreitende Wandel aufhalten lässt, bleibt fraglich. Japan erfreut sich einer hohen Lebenserwartung, Japaner haben eine lange Arbeitszeit, Genderdifferenzen bleiben hoch.
Auch mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte hat Deutschland die besseren Karten. Während 14 Prozent der deutschen Pensionistinnen sogenannten Migrationshintergrund haben, sind es bei den unter Fünfjährigen 42 Prozent. Diese „Superdiversität“der Bevölkerung kommt nicht ohne Herausforderungen. Zuwanderung aus immer mehr und unterschiedlichen Herkunftsländern sorgt für größere ethnische, religiöse und sprachliche Diversität, für die man neue, taugliche Konzepte braucht. Ein behäbiger Anerkennungsprozess von im Ausland erworbenen Qualifikationen macht es Zugewanderten schwer, ihr Humankapital einzubringen, wie sich am Beispiel der ukrainischen Vertriebenen zeigt: Sie sind gut ausgebildet, konnten bisher aber kaum auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, und wenn, dann eher als Hilfs- statt als Fachkräfte.
Anwerben statt abschotten
Migration gilt es zu managen und zu regulieren, aber nicht zu verteufeln. Der demografischen Krise in Industriestaaten lässt sich nicht durch Abschottung, sondern durch Anwerbung von Fachkräften, durch zeitgemäße Einwanderungsgesetze und stringente Integrationskonzepte entgegentreten.
Zwar mag es auch in Deutschland in all diesen Fragen Luft nach oben geben, aber im Vergleich mit Japan liegt das Land weit voraus. Das ist weder einer schlechteren Geld- und Fiskalpolitik noch mangelnden Industrie-Investitionen des Inselstaats geschuldet, sondern einer jahrzehntelangen hoch restriktiven Einwanderungspolitik. Die Staatsverschuldung in Japan ist ein Mehrfaches der Wirtschaftsleistung und funktioniert dadurch, dass Japaner die Schulden der Regierung kaufen, wieder ein „Nationalismus“, der langfristig zu Problemen führt.
Der Rückfall Japans durch Abschottung und Nationalismus ist wahrscheinlich bleibend und eine Warnung für alle Länder, die es ähnlich machen wollen. Und für alle Politikerinnen und Politiker, die davon zu profitieren versuchen.