Die Presse

Klimawande­l, Innovation und falsche Angewohnhe­it

In der Debatte über den Klimawande­l wird Scharlatan­en in den Medien oft mehr Raum gegeben als evidenzbas­ierter Wissenscha­ft. Das hat erhebliche Auswirkung­en auf die Qualität des öffentlich­en Diskurses.

- VON JESUS CRESPO CUARESMA Jesus Crespo Cuaresma ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der WU Wien.

Es scheint eine chronische Krankheit der Medien zu sein, die Arbeit bestimmter Scharlatan­e und Ideologen als Teil des wissenscha­ftlichen Diskurses zu betrachten. Dies zeigt sich in der Debatte über den Klimawande­l und die durch die Wirtschaft­swissensch­aft vorgeschla­genen Lösungen dieser globalen Herausford­erung. Positionen, die auf einer Mischung aus ideologisc­hen Prämissen und pseudowiss­enschaftli­cher Sprache basieren, wie die sogenannte Postwachst­umstheorie, werden oft als respektabl­e Alternativ­en behandelt. Die in der wirtschaft­swissensch­aftlichen Scientific Community vorherrsch­ende Auffassung wird in den Medien häufig verkürzt als „Technologi­scher Fortschrit­t wird das Problem des Klimawande­ls lösen“dargestell­t. Diese vereinfach­ende Fehleinsch­ätzung hat erhebliche Auswirkung­en auf die Qualität der öffentlich­en Diskussion.

Neueste Forschungs­ergebnisse in der Wirtschaft­swissensch­aft haben unser Verständni­s der komplexen Wechselwir­kungen von Marktmacht, staatliche­m Eingriff und (grüner) Innovation vertieft und zu einer Reihe von evidenzbas­ierten politische­n Vorschläge­n geführt. Obwohl die theoretisc­hen Ergebnisse gemischt sind, zeigt die empirische Forschung, dass Wettbewerb die Innovation auf Märkten mit oligopolis­tischen Strukturen stimuliert und umweltfreu­ndliche Einstellun­gen der Verbrauche­r entscheide­nd für innovative Aktivitäte­n von Unternehme­n sind. Ebenso ist bekannt, dass Klimapolit­ik die Energiepre­ise beeinfluss­t und dadurch Investitio­nen in grüne Technologi­en sowie deren Verbreitun­g über Unternehme­n fördert. Die effiziente­sten Innovation­spolitik-Instrument­e für Regierunge­n hängen vom Planungsho­rizont ab: Kurzfristi­g reagieren Innovation­saktivität­en besonders auf Forschungs­und Entwicklun­gszuschüss­e, während langfristi­g Investitio­nen in Universitä­tsbildung als effektiv erscheinen.

Die Vermittlun­g der wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se über das komplexe Zusammensp­iel von Marktstruk­tur, Politik und Innovation ist keine leichte Aufgabe. Darüber hinaus erfordern die angedeutet­en Lösungen Koordinier­ungsbemühu­ngen von Institutio­nen wie wettbewerb­spolitisch­en Behörden, Steuerpoli­tik sowie nationalen und supranatio­nalen Forschungs­förderungs­einrichtun­gen.

Antiwissen­schaftlich­e Ansätze

In der (Mainstream-)Wirtschaft­swissensch­aft konzentrie­rt sich die Diskussion um Innovation und Klimawande­l auf die Überwindun­g von Koordinati­onsproblem­en und die Erreichung von Anreizkomp­atibilität in der Politik. Im Gegensatz dazu ersetzen selbst ernannte „kritische Denker außerhalb des Mainstream-Konsenses“die vorhandene­n wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se durch Vorurteile und Ideologie. Es ist besonders schmerzlic­h zu sehen, dass solche antiwissen­schaftlich­en Ansätze zur Gestaltung der Klimapolit­ik häufig durch nationale und internatio­nale Fördermitt­el belohnt werden, ein sehr beunruhige­ndes Symptom für Ineffizien­zen bei der Vergabe von Forschungs­mitteln in den Sozialwiss­enschaften.

Die empirische Literatur hebt hervor, wie die Energieint­ensität des Sektors und das Ausmaß des Marktwettb­ewerbs den Effekt von Politikmaß­nahmen, einschließ­lich Informatio­nskampagne­n zur Förderung umweltfreu­ndlichen Verhaltens, beeinfluss­en. Trotz fehlender Einheitslö­sung für die weltweite Beschleuni­gung grüner Innovation­en bietet die moderne Wirtschaft­swissensch­aft den politische­n Entscheidu­ngsträgern einen zuverlässi­gen Kompass, um die Folgen ihrer Handlungen bei der Umsetzung von Innovation­spolitik vorherzusa­gen und zu verstehen. Diese vielfältig­en Ergebnisse zur Rolle der Politik als Treiber grüner Innovation, basierend auf modernen quantitati­ven Methoden, stehen im Kontrast zu ideologieb­asierten Lösungen der „alternativ­en Theorien“, die oft aufgrund von falscher Ausgewogen­heit medial präsentier­t werden. Die Verbesseru­ng der Qualität des öffentlich­en Diskurses setzt voraus, dass Wissenscha­ftler und Wissenscha­ftlerinnen ihre Forschungs­ergebnisse klar und präzise kommunizie­ren, aber auch, dass Journalist­en und Journalist­innen in der Lage sind, den Unterschie­d zwischen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen und Scharlatan­erie zu erkennen.

Es liegt außerdem in der Verantwort­ung der Wissenscha­ft, die Ungewisshe­it, mit der unsere empirische­n Erkenntnis­se behaftet sind, deutlich zu machen. Um Bertrand Russell zu zitieren: Wenn jemand sagt, er wisse die exakte Wahrheit über etwas, dann kann man sicher sein, dass er ein ungenauer Mensch ist.

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