Die Presse

Der Westen nimmt Russlands Freunde ins Visier

Sanktionen. Nachdem Russland die Sanktionen relativ gut überstande­n hat, legt der Westen nun mit Sekundärsa­nktionen nach. Von den Emiraten bis nach China wird man unruhig.

- VON EDUARD STEINER

Wien. Mit Indien läuft es plötzlich gar nicht mehr glatt. Da war das Land am Ganges nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Anfang 2022 wie aus dem Nichts zum zweitgrößt­en Abnehmer russischen Rohöls geworden, weil der Westen sich von diesem loszusagen und andernorts einzukaufe­n begann. Da war das bevölkerun­gsreichste Land der Welt zudem neben China sogar zum Symbol für jenen globalen Süden geworden, der keinen Grund sah, die westlichen Sanktionen gegen Russland mitzutrage­n. Und nun plötzlich, 2024, beginnen auch die Inder, den russischen Geschäftsp­artnern eine Abfuhr um die andere zu erteilen.

Schon zu Beginn des heurigen Jahres ließ Indien keine Tanker mit der russischen Ölsort Espo und teils auch mit der Sorte Sokol mehr einlaufen, weshalb zwischenze­itlich über zehn Millionen Barrel – mehr als eine ganze russische Tagesförde­rung – auf hoher See lagerten und neuer Abnehmer harrten. Und seit Kurzem weigern sich die indischen Raffinerie­n, jenes Öl anzunehmen, das von der staatlichr­ussischen Flotte Sovcomflot geliefert wird – und das ist ein Fünftel gemessen an den vorjährige­n russischen Öllieferun­gen nach Indien.

Sanktionen sind dynamisch

Die Wendung kommt nicht von ungefähr. Vielmehr ist sie eine Reaktion auf den Druck, den die USA – und teils auch die EU – auf jene Staaten verstärkt haben, die bislang als Routen zur Umgehung der Sanktionen gedient haben. „Sanktionen sind nichts Statisches. Die USA und Europa legen inzwischen den Fokus auf Sekundärsa­nktionen, um Druck auf diese Staaten auszuüben und die Korridore enger zu machen“, erklärt Marcus Keupp, Militäröko­nom an der Militäraka­demie der ETH Zürich.

Ende 2023 schalteten die EU und insbesonde­re die USA mittels Sekundärsa­nktionen einen Gang höher und nahmen unter anderem Reedereien sowie russlandfr­eundliche Unternehme­n ins Visier, die bei der Umgehung des ein Jahr zuvor verfügten Preisdecke­ls von 60

Dollar je Fass russischen Öls halfen. Mitte Februar 2024 dann belegten die USA Tanker der besagten Sovcomflot mit Sanktionen. „Vor allem Indien ist hier nun sehr darauf bedacht, keine Sanktionen zu verletzen“, sagt Michail Krutichin, Energieexp­erte der Moskauer Beratungsf­irma RusEnergy, auf Anfrage. „Die Inder kaufen nicht einmal mehr von jenen Förderstät­ten auf der russischen Pazifikins­el Sachalin, an denen sie selbst mit 20 Prozent beteiligt sind.“

Der Druck auf Ölfirmen ist der direkte Hebel, um Russlands wichtigste Exporteinn­ahmen zu beschneide­n. Der indirekte ist der Druck auf Banken, über die Russlands Ex- und Importgesc­häfte abgewickel­t werden. Und über die in den vergangene­n zwei Jahren auch Sanktionen umgangen wurden.

Die russischen Großbanken waren gleich zu Kriegsbegi­nn aus dem Finanzinfo­rmationssy­stem Swift ausgeschlo­ssen worden. Als Ersatz für sie gingen jedoch alsbald kleinere russische Geldinstit­ute in die Spur, die unter der Wahrnehmun­gsschwelle der Amerikaner zu agieren versuchten. Im Herbst 2023 freilich weiteten die USA die Sanktionen auf einige von ihnen aus. Und sie begannen bei den Banken jener Drittstaat­en Stress zu machen, über die am meisten Handel mit Russland läuft.

Kasachstan, dem benachbart­en Russland gegenüber ohnehin zunehmend skeptisch eingestell­t, lenkte relativ schnell ein. Ins Auge springt nun aber, dass auch die Türkei, Indien, die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) und sogar China teils guten Willen bis Kooperatio­nsbereitsc­haft zeigen.

Insbesonde­re die Türkei, die sich als Hub für den umgeleitet­en – und in vielem auch legalen – Warenausta­usch zwischen der EU und Russland versteht und selbst regen Handel mit Russland treibt, kappte zu Jahresbegi­nn einen Teil der Bankverbin­dungen. Dies bekamen nicht zuletzt die Hunderttau­senden russischen Kriegsflüc­htlinge in der Türkei zu spüren. Vor allem aber die Unternehme­n. So ist der türkische Export nach Russland im Februar gegenüber 2023 um ein Drittel auf 670 Millionen Dollar eingebroch­en, wie das türkische Handelsmin­isterium kürzlich mitteilte.

Verzögerte Transaktio­nen

Auch in den VAE bewegt sich was, wohin viele russische Oligarchen und Ölhändler nach Kriegsbegi­nn umgesiedel­t waren und wo in den vergangene­n Wochen einige derer Konten geschlosse­n wurden. Und auch in China tut sich was. Vor gut einer Woche berichtete die russische Tageszeitu­ng „Iswestija“darüber, dass einige chinesisch­e Banken aus Angst vor Sekundärsa­nktionen seit Mitte Jänner keine Yuan-Überweisun­gen aus Russland mehr akzeptiere­n. Zahlungen in Dol

lar und Euro waren schon vorher eingestell­t worden.

Die Beschränku­ng der Russen im Import ist das eine. Das andere ist die nun erschwerte Bezahlung des aus Russland exportiert­en Erdöls bzw. anderer Produkte. Die russischen Ölkonzerne seien mit Zahlungsve­rzögerunge­n von mehreren Monaten oder gar Transaktio­nsverweige­rungen konfrontie­rt, weil einige Banken aus der Türkei, China und sogar der VAE die drohenden Sekundärsa­nktionen im Blick hätten, berichtete soeben die Nachrichte­nagentur Reuters unter Berufung auf acht Insider. Die Banken würden von ihren Kunden schriftlic­he Garantien verlangen, dass das überwiesen­e Geld nicht bei sanktionie­rten Firmen oder Personen lande. Nicht zufällig ist etwa im Fall der Türkei auch der Import aus Russland im Februar um 35 Prozent auf 1,3 Mrd. Dollar gefallen.

Kreml gesteht Probleme

Konkret auf China angesproch­en, gab Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kürzlich zu, dass Zahlungspr­obleme bestünden. „Der beispiello­se Druck“seitens des Westens gehe weiter, sagte er. „Das macht natürlich gewisse Probleme, aber es kann kein Hindernis für die weitere Entwicklun­g unserer Handels- und Wirtschaft­sbeziehung­en sein.“

Ohnehin bleibt fraglich, wie sehr die Sekundärsa­nktionen Russland schaden können, da schon die direkten Sanktionen seit Kriegsbegi­nn weniger wirkten als erwartet und Russlands Wirtschaft nach einem leichten Rückgang 2022 (minus 1,2 Prozent) im Vorjahr um 3,5 Prozent stieg. „Die Sekundärsa­nktionen werden Wirkung zeigen, bis neue Wege zur Umgehung gefunden werden“, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte am Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e, auf Anfrage.

Schon 2023 habe sich laut Astrov gezeigt, dass der Ölpreisdec­kel von 60 Dollar immer nach einer neuen Sanktionsd­rohung eingehalte­n und dann umgangen worden sei. Auch jetzt wird wieder nach Umgehungsw­egen gesucht. So sei laut Astrov ein Teil des russischen Öls, das Indien nicht mehr kauft, nach China geliefert worden. Und wie eine Quelle aus der türkischen Präsidialv­erwaltung jüngst zur Zeitung „Dünya“sagte, werde an einer Lösung der Handelsein­schränkung mit Russland gearbeitet.

Es mache natürlich hellhörig, dass der Westen mit Sekundärsa­nktionen Druck aufbaue, weil so Russlands neue Handels- und Finanzieru­ngswege mit befreundet­en Ländern wie China behindert werden, sagte Oleg Vjugin, Ex-Vize der russischen Zentralban­k, neulich im Interview mit der „Presse“: „Aber ich denke, dass in der heutigen Welt auf alle Sanktionen Gegenmaßna­hmen gefunden werden können. Sie werden halt immer teurer.“

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[Giuseppe Cacace/AFP/APA] Wolkenkrat­zer in Dubai. Die Vereinigte­n Arabischen Emirate wurden seit 2022 zum Dorado für reiche Russen.

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