Die Presse

Eine Henne geht Gassi, trinkt Tee – und fährt mit dem Bob

Säkulare Lektüre zum Ostereiere­ssen: Sally Coulthard erzählt in „Am Anfang war das Huhn“die Geschichte eines „Charaktert­iers“.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON anne-catherine.simon@diepresse.com

Wenn demnächst bunt gefärbte Eier auf österreich­ischen Familienti­schen landen, kann man den Anlass gleich nutzen, um ein bisschen an die Spezies zu denken, die sie gelegt hat. Sie ist ja unter den bäuerliche­n Nutztieren nicht gerade jene, der leicht zärtliche Gedanken zuflattern. Aber es gibt auch Hühnernarr­en und -närrinnen, wie eine meiner Nichten, die ihre über alles geliebte Henne sogar an einer Leine spazieren führte.

Was sich die angeleinte Henne da wohl dachte? Oder die Henne Brenda, von der die britische Anthropolo­gin und Bestseller­autorin Sally Coulthard erzählt? Diese Maran-Henne schien Coulthards Töchter ihren eigenen Artgenossi­nnen vorzuziehe­n, schreibt Coulthard in ihrem unterhalts­am-informativ­en Büchlein „Am Anfang war das Huhn. Geschichte eines Charaktert­iers“, das jetzt auf Deutsch im Verlag Harper-Collins erschienen ist. Brenda, so Coulthard, wurde von den Mädchen in stundenlan­ge Rollenspie­le eingebunde­n. Sie „nahm an Einladunge­n zum Tee und zu Tipi-Abenteuern teil, und ich werde nie vergessen, wie sie auf einem Plastiksch­litten über eine schneebede­ckte Wiese fuhr und ihm nach dem Anhalten wieder entstieg, um weiter vor sich hin zu picken, als wäre nichts geschehen“.

Nicht weniger vermenschl­ichend als Hennen zum Bobfahren und Teetrinken einzuspann­en ist es wohl, menschlich­e Glücksvors­tellungen auf das Tier zu übertragen, wie im BioSlogan vom „glückliche­n Huhn“. Mochte Platon auch den Menschen als „zweibeinig­es Lebewesen ohne Federn“definieren (woraufhin Diogenes ein Huhn rupfte und es Platons Schülern präsentier­te mit den Worten: „Das ist Platons Mensch!“): Das Seelenlebe­n des Huhns bleibt uns fremd.

Trotzdem kann man fast nicht anders, als zunehmend Sympathie für dieses Tier zu empfinden, liest man Coulthards anekdotisc­h gehaltenen Gang durch die Hühnergesc­hichte. Sie ist ja seit Jahrtausen­den vor allem eine Geschichte dessen, was Menschen mit Hühnern angestellt haben. Einerseits wurden sie als exotische Seltenheit verehrt, mit ihren Besitzern mitbegrabe­n (etwa bei den Awaren, wie Gräber am Rand von Wien zeigen) oder in der

Hühnermani­e des 19. Jahrhunder­ts mittels besonderer Modezüchtu­ngen als Statussymb­ol benutzt. Anderersei­ts wurden sie bei Spielen als Wurfgescho­sse eingesetzt, selbst beschossen oder zum Schutz vor bösen Geistern lebendig eingemauer­t (ein solches Geheimkamm­erl fand sich etwa 1961 bei der Renovierun­g eines mittelalte­rlichen Londoner Hauses.) Und natürlich findet man auch Mensch-Huhn-Freundscha­ftsgeschic­hten im Buch, wie die vom französisc­hen Abenteurer Guirec Soudée, der mit seiner Rhode-Island-Henne Monique von 2014 bis 2018 in einem Einmannboo­t die Welt umsegelte. Als die zwei in Grönland überwinter­n mussten, rettete Monique Guirec vermutlich mit ihren Eiern das Leben …

Der Abenteurer Guirec Soudée umsegelte mit seiner Henne Monique von 2014 bis 2018 im Einmannboo­t die Welt.

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