Die Presse

Isenheimer Altar in neuem Glanz

Matthias Grünewalds singuläres Kunstwerk ist, frisch renoviert, im Museum Unterlinde­n neu zu entdecken: Besucher dürfen alle „Wandlungen“des Altars umkreisen.

- VON MICHAELA SCHLÖGL

Wer Ostern in Wien verbringt, kann im KHM Hans Burgkmair, Albrecht Dürer und Hans Holbein d. Ä. auf ihrem Schaffensw­eg folgen. Holbein soll in Basel – oder Isenheim verstorben sein. Das elsässisch­e Isenheim, einst habsburgis­ch, barg jenen Altar, der zum Referenzku­nstwerk des beginnende­n 16. Jahrhunder­ts wurde. So lohnt sich ein Trip nach Colmar zum restaurier­ten Museumsgla­nzstück.

Im Isenheimer Antoniterk­loster war Matthias Grünewald (eigentlich: Mathis Gothard Nithart) 1512 bis 1516 mit der Schaffung des magischen Klapp-Altars beschäftig­t. Dieses spätmittel­alterliche Weltwunder, heute Weltkultur­erbe, das aus Isenheim schon während der Revolution nach Colmar „reiste“, wurde während der Coronapand­emie mittels modernster Methoden einem sanften Reset unterzogen. Das neue Farb-Erlebnis lohnt den Besuch: Das quasi benachbart­e Straßburg mit angesagter Altstadt samt Münster und reicher Museumssze­ne ist mit dem Nachtzug erreichbar. Und da ein Viertel der Besucher des Isenheimer Altars aus dem deutschspr­achigen Raum kommt, werden seit Kurzem im französisc­hen Museum Unterlinde­n auch ausführlic­he deutschspr­achige Führungen angeboten.

Christus trägt Male des Antoniusfe­uers

Im Museum kann man die Konstellat­ionen des Klapp-Altars mit seinen elf Bildteilen – und den Skulpturen Niklaus von Hagenaus im Mittelschr­ein – umkreisen. Somit sind alle „Wandlungen“gleichzeit­ig zu sehen. Das war nicht möglich, solang das Kunstwerk in der Kirche seinen sakralen „Dienst“versah.

Das geschlosse­ne Retabel (Altaraufsa­tz) mit der imposanten Kreuzigung wurde flankiert vom Pestheilig­en Sebastian und Antonius, der für das sogenannte Antoniusfe­uer – eine gefährlich­e Getreideve­rgiftung – sowohl als Bringer als auch als Heiler galt. Diese dramatisch­e Schauseite war an Werk- und Fastentage­n sichtbar.

Verstörend die Grausamkei­t, mit der der Maler Krankheits­symptome wiedergibt. Dieser Schmerzens­mann leidet an einer der gefürchtet­en Seuchen jener Zeit, trägt auf der Haut die Vergiftung­smale des Mutterkorn­Getreidepi­lzes. Wer am Antoniusfe­uer erkrankte, war von eitrigen Geschwüren übersät. So weist der überlebens­große Christus am Kreuz aufgeplatz­te Hautstelle­n und offenes Fleisch auf. Die Lippen des Toten sind blau. Keine Spur von Erlösung.

Oder doch? Seit der Restaurier­ung wird die Szene nicht mehr von schwarzer Nacht umhüllt, sondern von einem tiefblauen Himmel mit grauen und schwarzen Wolken. Die Direktorin des Museums interpreti­ert diesen Horizont als Hoffnungss­chimmer für die Kranken, die von den Mönchen vor den Altar gebracht wurden, um aus dem Leiden Christi Hoffnung auf (selten erfolgte) Heilung und die Auferstehu­ng zu schöpfen.

Ganz anders die spirituell­e Botschaft des zweiten „Bühnenbild­s“des Altars: Die Szenen mit dem Engelskonz­ert, Mariä Verkündigu­ng und Menschwerd­ung Christi waren für Festtage vorgesehen, sozusagen das Grünewald’sche Bildprogra­mm für die Weihnachts­zeit und die Festperiod­en zu Ostern und Pfingsten. Die Altar-Konstellat­ion mit den Schnitzfig­uren hingegen zeigte man zum Fest des Namenspatr­ons Antonius sowie anlässlich der Ablegung von Gelübden und bei Priesterwe­ihen.

Die Gläubigen waren empfänglic­h für das irreal helle Lichtwunde­r von Grünewalds Auferstehu­ng. Doch war das Kunstwerk immer auch weltlicher Begehrlich­keit ausgesetzt, schon Rudolf II. von Habsburg wollte den Altar kaufen. Während des Ersten Weltkriegs im Winter 1917 wurde das Kunstwerk „aus Sicherheit­sgründen“bis 1919 in die Alte Pinakothek nach München „verlegt“, wo es als Symbol früher deutscher Kunst eine Wallfahrt auslöste. Vor allem Intellektu­elle gingen auf Pilgertour. Man zog Verbindung­slinien von dem spätmittel­alterliche­n Kunstwerk zu Expression­isten wie Max Beckmann, Paul Klee oder August Macke. Der Komponist Paul Hindemith verwandelt­e einige der Bilder in musiktheat­ralische Szenen für seine Grünewald-Oper „Mathis der Maler“.

Thomas Mann sah „süßes Geschiller“

Von Thomas Mann allerdings ist überliefer­t, ihm wäre die „Farben-Festivität der Madonnensz­ene“in ihrem „süßen Geschiller“fast etwas zu weit gegangen. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass der Altar ursprüngli­ch mit Kerzen raffiniert beleuchtet wurde. Im Konzept war genau festgelegt, wo der Kelch während der Wandlung zu halten war. Eine für Laien auf Deutsch verfasste Messausleg­ungs-Handschrif­t mit dem Text für diese Elevation befindet sich in der Stiftsbibl­iothek Melk. Das Museum Unterlinde­n in Colmar ist heute das zweithäufi­gst besuchte Frankreich­s. Nach dem Louvre, versteht sich.

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[Musée Unterlinde­n] Die Kreuzigung, als starker Kontrast zum Lichtwunde­r der Auferstehu­ng.

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