Die Presse

Soll Putin straffrei davonkomme­n?

Die Befürworte­r von Verhandlun­gen mit Moskau hören Putin nicht zu und haben die Lektionen der Geschichte vergessen.

- VON JOHANN ČAS Johann Čas ist Ökonom und Technikfor­scher und war als Senior Researcher für die Österreich­ische Akademie der Wissenscha­ften tätig. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Bekanntlic­h schützen Funktion oder Titel nicht vor Naivität oder Leichtsinn. Papst Franziskus reiht sich damit in eine Vielzahl von Personen ein, die die Gefahr für Europa und die Welt nicht erkennen können oder wollen und auf Verhandlun­gen mit dem russischen Machthaber, Putin, setzen.

So unterschie­dlich die Gründe oder Vorwände auch sein mögen – sei es als Besonnenhe­it verbrämte Angst, eine herbeigefü­hrte Abhängigke­it von russischer Energie oder eine gekaufte Politik, die mit Putins Hilfe ihre Machtfanta­sien ausleben möchte: Gemeinsame­r Nenner ist eine absolute Verleugnun­g von allem, was Putin selbst über sich preisgibt, und eine absolute Geschichts­vergessenh­eit.

All das kann vielleicht helfen, die Motive der Verhandlun­gsproponen­ten zu verstehen. Es kann aber nicht die dahinterst­ehende Verantwort­ungslosigk­eit entschuldi­gen, insbesonde­re nicht, wenn ein Mann der Wissenscha­ft, wie Max Haller, versucht, die bestenfall­s gutgläubig­en, jedenfalls fahrlässig­en Aussagen von Papst Franziskus zu verteidige­n („Die Presse“, 20. 3.)

Wenn bei den Rechtferti­gungsversu­chen auf die Bibel Bezug genommen wird, ist dies zumindest originell. Mir ist jedenfalls keine Kritik am Appell des Papstes, die weiße Fahne zu hissen, bekannt, bei der eine unzeitgemä­ße Interpreta­tion des Neuen Testaments als Argument angeführt wird. Angemessen­er wäre es wohl, auf die unrühmlich­e Rolle der Kirchenfüh­rung im Dritten Reich hinzuweise­n.

Die Frage nach dem „Wie“

Dem Argument, dass das Töten, die Zerstörung, Auslöschun­g von Menschenre­chten in den besetzten Gebieten der Ukraine und in Russland selbst ein schnelles Ende finden müssen, kann nicht widersproc­hen werden. Aber die Frage nach dem „Wie“ist nicht so einfach zu beantworte­n. Die Pattsituat­ion und die drohende Niederlage der Ukraine sind nicht gottgegebe­n, sondern eine Folge der unzureiche­nden militärisc­hen Unterstütz­ung.

Max Haller bleibt aber, wie alle Verhandlun­gsbefürwor­ter, die Antwort auf die Frage schuldig, wie angesichts der Ziele Putins eine Verhandlun­gslösung aussehen könnte, die nicht die Auslöschun­g der Ukraine als eigenständ­iger Staat, damit auch Kriege in den weiteren, von Putin beanspruch­ten Staaten bedeuten würde.

Verhandeln über Putin

Wenn man die Augen nicht vollkommen vor den Folgen verschließ­t, die ein Appeasemen­t und Verhandlun­gen mit Hitler hatten, ist eine grundsätzl­iche Ablehnung von Verhandlun­gen mit Putin mehr als verständli­ch. Putin selbst lehnt ja Verhandlun­gen ab, sofern man nicht eine Auslöschun­g der Ukraine als Verhandlun­gsziel anerkennt.

Im Westen ist erst langsam ein Umdenken zu beobachten. Aber auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel: Bundeskanz­ler Karl Nehammer hat erst vor Kurzem die Wiederaufn­ahme von Verhandlun­gen mit Putin gefordert, trotz seines peinlichen Versuchs im Jahr 2022. Unverständ­lich bleibt auch, wie Max Haller die Aufforderu­ng zum Hissen der weißen Flagge nicht als einen Appell zur Kapitulati­on interpreti­ert.

Verhandlun­gen sind unabdingba­r, jedoch nicht mit, sondern über Putin in Den Haag. Er muss den Krieg verlieren, um Friedensge­spräche beginnen zu können. Putin würde sich im Laufe von Verhandlun­gen nicht davon abbringen lassen, seine Ziele mit militärisc­hen Mitteln oder mit Unterstütz­ung von autoritäre­n Regimen zu verwirklic­hen. Sollte Putin ungestraft davonkomme­n, werden weitere Opfer folgen; Taiwan wird dann wahrschein­lich eines der ersten, aber sicher nicht das letzte werden.

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