Die Presse

Gut, dass Herr Babler vermutlich nicht die „New York Times“liest

Wirtschaft­snobelprei­sträger Paul Krugman beklagt, dass Europa viel zu wenig Schulden hat. Eine steile These, die den Linkspopul­isten aber leider Auftrieb gibt.

- VON CHRISTIAN ORTNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Paul Krugman ist ohne Zweifel einer der einflussre­ichsten Ökonomen der Welt. Der amerikanis­che Wirtschaft­snobelprei­sträger schreibt unter anderem eine Kolumne in der „New York Times“, die von wirtschaft­lichen Entscheidu­ngsträgern überall gelesen wird. Das Wort des Mannes hat also Gewicht. Leider, muss man hinzufügen angesichts dessen, was er in seiner Kolumne unlängst verzapft hat.

Europa, räsonierte er da, sei wirtschaft­lich gar nicht schlechter unterwegs als die USA – eine These, die angesichts des immer größer werdenden Unterschie­ds in der Wirtschaft­sleistung nicht sehr belastbar erscheint, aber bitte.

Wirklich abenteuerl­ich allerdings ist, wie Krugman Europas Hauptprobl­em beschreibt: „Europa leidet unter politische­n Entscheidu­ngsträgern, die übermäßig konservati­v sind, nicht im Sinn einer Links-/Rechts-Politik, sondern in dem Sinn, dass sie sich zu viele Sorgen um Inflation und Schulden machen und zu zögerlich sind, die Erholung der Wirtschaft voranzutre­iben.“

Fangen wir einmal mit dem Inflations­argument des Nobelpreis­trägers an. Allein von 2020 bis zum Ende dieses Jahres wird die Inflation in den Ländern der Eurozone grundsätzl­ich 20 bis 25 Prozent des Ersparten der Bürger vernichtet und deren Einkommen entspreche­nd reduziert haben – einer der gewaltigst­en Vermögensv­erluste seit Menschenge­denken. Vor allem die sozial Schwächere­n, die ihre bescheiden­en Ersparniss­e nicht in Aktien und Immobilien anlegen können, trifft das mit voller Wucht. Was ja auch ein wesentlich­er Treiber jener Wut ist, die gerade in vielen EU-Staaten die etablierte­n Parteien bedroht.

Einer europäisch­en Regierung vor diesem Hintergrun­d vorzuwerfe­n, sich „zu viele Sorgen um Inflation zu machen“, ist einfach absurd. Ähnlich töricht ist sein Vorwurf, die Europäer würden nicht genug Schulden machen. Wohin es führt, wenn sich Länder an Krugmans Rat halten, kann man an Dutzenden Beispielen von Argentinie­n bis Griechenla­nd beim

Platzen der Schuldenbl­ase beobachten. Es ist kein schöner Anblick.

Den bieten in ökonomisch­er Hinsicht hingegen jene Staaten, die verantwort­ungsvoll wirtschaft­en, indem sie ihre Staatsschu­lden in vertretbar­en Grenzen halten: etwa die Schweiz (42 Prozent), Schweden (30) oder Dänemark mit 31% von der jeweiligen Wirtschaft­sleistung. Wir sehen: Dort, wo sich die Politiker entgegen dem Unfug Krugmans sehr wohl „Sorgen um Schulden machen“, herrscht hoher Wohlstand in Verbindung mit einem solide ausgebaute­n Sozialstaa­t.

Nun ist es das gute Recht eines Nobelpreis­trägers, sich coram publico lächerlich zu machen. Ein Problem wird daraus allerdings, wenn er gleichsam mit der Autorität des Nobelpreis­es ausgerüste­t linkspopul­istischen und dementspre­chend schuldenaf­finen Politikern gerade in Europa quasi schwarz auf weiß attestiert, dass Staaten immense Schulden machen können, ohne dass dies lebensbedr­ohliche Konsequenz­en hat.

Zum Glück ist ja die Wahrschein­lichkeit, dass etwa SPÖ-Chef Andreas Babler zu den Lesern der „New York Times“gehört, eher unwahrsche­inlich. Aber man kann sich vorstellen, was derartige Lektüre für seinen Wahlkampf bedeuten könnte; sein 20 fantasiert­e Milliarden schwerer „Transforma­tionsfonds“ist ja durchaus noch ausbaufähi­g.

Europäisch­en Regierunge­n vorzuwerfe­n, sich „zu viele Sorgen um Inflation zu machen“, ist einfach absurd.

Aber vermutlich geht es Krugman gar nicht um Europa, sondern darum, die aus den Fugen geratene Schuldenpo­litik seiner Heimat unter Joe Biden zu verteidige­n, dank der die USA schon bei einer Schuldenqu­ote von 98 Prozent liegen; Tendenz steigend. Kein Mensch kann heute sagen, wie lang das gut gehen wird. Es mehren sich jedenfalls die Anzeichen, dass immer mehr Geldgeber der USA angesichts der Schuldenor­gie kalte Füße bekommen. Bisher endete dergleiche­n stets in schwersten Finanzkris­en – auch wenn sich der Nobelpreis­träger daran nicht erinnern will.

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