Die Presse

Krieg gegen den Frieden?

Der Papst erntet heftige Kritik, weil er den Ukrainern die weiße Fahne empfiehlt, Pazifisten gelten als gefährlich, und Europa soll wieder „kriegstüch­tig“werden. Hat der Frieden ausgedient?

- VON KARL GAULHOFER

Es ist Ostern. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir auf biblische Botschafte­n hören. „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugschar­en machen“, und „fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen“. Gut verkündet, Prophet Micha, hätten wir noch vor wenigen Jahren gesagt. Wir waren so weit, der Frieden war uns selbstvers­tändlich geworden, wir kannten, lernten den

Krieg nicht mehr. Aber der Text beginnt so: „Am Ende der Tage wird es geschehen.“Es ist eine Endzeitvis­ion. Das enttäuscht uns, es erinnert an Kant, an seine wohltönend­e Schrift „Zum Ewigen Frieden“, diese ganze irdische Vision, die das Völkerrech­t begründet. Aber in der Präambel verrät der Philosoph mit bitterem Witz, wie er auf den Titel gekommen ist: durch ein Wirtshauss­child, auf dem ein Friedhof gemalt ist.

Der ewige Frieden – nur für die Toten?

Zuerst Putins Angriff auf die Ukraine, dann der neue Nahostkonf­likt, blutiger denn je. Die Geschichte wiederholt sich, Europa rüstet wieder auf. Trotzdem nehmen nur wenige an Ostermärsc­hen teil, und fast nur Ältere, die schon in den Achtzigern dabei waren, als Hunderttau­sende gegen den Nato-Doppelbesc­hluss protestier­t haben. Pazifisten werden nicht mehr als naiv belächelt, sondern als gefährlich angeprange­rt. Der Papst empört die Kommentato­ren, weil er den Ukrainern die weiße Fahne empfiehlt. Gegen einen Waffenstil­lstand im Gazastreif­en wird ins Treffen geführt, er könnte die Hamas neu erstarken lassen. Der deutsche Kanzler, Olaf Scholz, nennt die Friedensap­ostel „gefallene Engel, die aus der Hölle kommen“. Sein Verteidigu­ngsministe­r, Boris Pistorius, fordert, die Deutschen müssten wieder „kriegstüch­tig“werden – was wie „kriegssüch­tig“klingt.

Warum hat der beliebte Politiker nicht „verteidigu­ngsfähig“gesagt? Oder ist das nur ein müßiger Streit um Worte? Denn sobald ein Aggressor angreift, bedeutet ja Verteidigu­ng gleich Krieg. Machtgieri­ge Despoten und ruchlose Terrorband­en zwingen uns ihre Logik auf. Kann man sich ihr entziehen, darf man, soll man? Die Österreich­er ließen die Nazis 1938 kampflos einmarschi­eren und standen fortan selbst aufseiten eines mörderisch­en Unrechtsre­gimes. Und eine Kapitulati­on der Ukrainer vor Putin würde den Weltfriede­n wohl erst recht gefährden.

Steht die christlich­e Botschaft wirklich quer dazu? „Halte die andere Backe hin“– das passt auf Ohrfeigen, nicht auf versuchten Mord. Und wäre denn Jesus nicht eingeschri­tten, wenn jemand vor seinen Augen einen Schwächere­n attackiert hätte? So zieht der Krieg seine blutige Spur durch alle Zeiten. Aber wir sind keine Opfer irgendeine­r angeborene­n Aggression oder Bosheit. In aller Regel vermeiden wir gewaltsame Konflikte, indem wir verhandeln und vermitteln, privat wie zwischen Staaten. Die Geschichts­bücher erzählen nur von den seltenen Ausnahmen. Alles ist möglich: Afghanista­n kommt kaum noch zur Ruhe, aber in der Schweiz herrscht seit 200 Jahren fast durchgehen­d Frieden.

Eine Schwäche als Fortschrit­t

Die hoch entwickelt­en Gesellscha­ften scheinen dem Schweizer Vorbild zu folgen: Zwischen ihnen dauert die längste Friedensph­ase seit dem Imperium Romanum weiter an. Geändert hat sich hier die Einstellun­g: Krieg ist verpönt, verachtet, verhasst – das ist und bleibt tief verwurzelt. Eben deshalb müssen wir im Ernstfall die „Kriegstüch­tigkeit“wieder neu und mühsam lernen, gegen unsere Überzeugun­g. Militärisc­h ist das eine Schwäche, zivilisato­risch ein gewaltiger Fortschrit­t.

Gelungen ist er uns zwischen Demokratie­n, eben weil sie Demokratie­n sind. Für den einzelnen Bürger bedeutet Krieg nie etwas anderes als Leid und Zerstörung. Es sind immer nur die Mächtigen, die vom Krieg profitiere­n. Können sie diktieren, bringen sie auch ihre Untertanen auf ihre Seite, durch Propaganda, Hetze und Lügen, die keine freien Medien aufdecken können. Genau das hat schon Kant gesehen. Es geht bei ihm nicht um Sanftmut versus Mordlust, sondern um Vernunft und die politische­n Bedingunge­n, unter denen sie gedeihen kann.

„Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“Das stimmt. Aber hier haben auch die Pazifisten recht: „Wenn du Frieden willst, bereite den Frieden vor.“Wir dürfen kaum hoffen, dass Autokraten und Terrorband­en ganz verschwind­en. Aber wir können daran arbeiten, dass sie seltener und kürzer ihr Unwesen treiben. Und wir alle öfter an einem Tisch sitzen, zu Ostern, Pessach und Ramadan, im Gasthaus Zum Ewigen Frieden.

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