Die Presse

„Brauchen nicht mehr Medizinstu­dienplätze“

Bildungsmi­nister Martin Polaschek findet, dass Österreich genügend Mediziner ausbildet. Er spricht sich dafür aus, die neunmonati­ge Basisausbi­ldung nach dem Studium abzuschaff­en, damit weniger Absolvente­n ins Ausland gehen.

- VON KÖKSAL BALTACI

Braucht es in Österreich mehr Medizinstu­dienplätze?

Martin Polaschek: Nein, braucht es grundsätzl­ich nicht. Wir haben an den Medizinisc­hen Universitä­ten in Wien, Graz, Innsbruck sowie an der Medizinisc­hen Fakultät Linz genügend Plätze. Das Programm Med-Impuls sieht überdies in den nächsten Jahren ohnehin einen weiteren Ausbau vor (schrittwei­se Aufstockun­g um 200 Plätze bis

2028, Anm.), aber darüber hinaus: Nein, wir haben genügend Absolventi­nnen und Absolvente­n, um den Bedarf zu decken. Die große Herausford­erung besteht jedoch darin, dass die Absolvente­n nicht ausreichen­d in die Mangelberu­fe gehen, in denen wir besonderen Bedarf haben, etwa in der Allgemeinm­edizin.

Nicht nur das. Jeder fünfte Absolvent verlässt Österreich, vor allem jene aus Deutschlan­d. Und generell: Während Österreich jährlich 1900 Studienplä­tze zur Verfügung stellt, sind es in Deutschlan­d mit seiner zehnmal so großen Bevölkerun­g knapp 12.000. Auch bei der Ärztedicht­e liegt Österreich unter den Top drei in Europa. Vor diesem Hintergrun­d wäre es absurd, mehr Studienplä­tze bereitzust­ellen und für pro Person 436.000 Euro in Graz bzw. 542.000 Euro Wien auszugeben.

Ganz genau.

Bundeskanz­ler Karl Nehammer, Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau, Johanna Mikl-Leiter, und Wiens Gesundheit­sstadtrat, Peter Hacker, fordern dennoch eine Aufstockun­g.

Die Forderung der Landeshaup­tfrau interpreti­ere ich so, dass sie insbesonde­re mehr Studienplä­tze für Österreich­erinnen und Österreich­er will. Bei Stadtrat Hacker weiß ich, dass er generell viel mehr Plätze will, nämlich doppelt so viele. Das wird aber nicht zur Lösung der Herausford­erung führen. Auch aufgrund der Quotenrege­lung (mindestens 95 Prozent der Studienplä­tze gehen an Bewerber aus der EU und mindestens 75 Prozent an Bewerber mit österreich­ischem Maturazeug­nis, Anm.) und der nicht vorhandene­n Ausbildung­smöglichke­iten.

Ich verstehe nicht, was es da zu interpreti­eren gibt. Nehammer, Mikl-Leiter und Hacker fordern das Gleiche – nämlich insgesamt mehr Studienplä­tze.

Die Landeshaup­tfrau und der Kanzler, mit denen ich laufend Gespräche führe, fordern einen Ausbau, aber vor allem für Österreich­erinnen und Österreich­er. So verstehe ich die beiden.

Was die beiden Ihnen in persönlich­en Gesprächen erzählt haben, weiß ich nicht. Aber öffentlich fordern sie mehr Studienplä­tze.

Wie auch Hacker. Unabhängig davon wäre diese Argumentat­ion ohnehin nicht schlüssig, denn der Großteil der Studierend­en kommt bereits aus Österreich, viel Spielraum gibt es hier laut EU-Gesetz nicht. Aber da Sie die Ausbildung­smöglichke­iten erwähnt haben: An der Med-Uni Wien schlossen vergangene­s Jahr 617 Personen das Studium ab. In den Spitälern des Wiener Gesundheit­sverbunds standen nur 184 Plätze für die verpflicht­ende neunmonati­ge Basisausbi­ldung zur Verfügung. Die Wartezeit beträgt 18 Monate. Ein weiteres Argument gegen mehr Medizinstu­dienplätze.

Genau. Das erklärt meinen Vorstoß auf europäisch­er Ebene.

Da Österreich überpropor­tional viele Studienplä­tze anbiete, solle eine Mindestzah­l an Plätzen pro Land etabliert werden, sagten Sie zuletzt in Brüssel.

Ja, das ist mein Ziel. Daher müssen wir auf EU-Ebene eine Debatte darüber beginnen, ob nicht jedes Land eine gewisse Verantwort­ung dafür haben sollte, in Berufen, in denen es einen eklatanten Mangel gibt, selbst für eine entspreche­nde Anzahl an Ausbildung­splätzen zu sorgen.

Und wer das nicht tun will, soll sich an den Kosten in jenen Ländern beteiligen, die das sehr wohl machen. Österreich zum Beispiel.

Genau. Und das hat sich deshalb gut ergeben, weil Belgien (das Anfang 2024 die Ratspräsid­entschaft übernommen hat, Anm.) ein ähnliches Problem mit Frankreich hat und deswegen bereit war, das Thema auf meine Anregung hin auf die Agenda zu nehmen. Auch die EUKommissi­on zeigt sich offen für Gespräche. Sie wird eine Studie in Auftrag geben, die ich gefordert habe, um noch mehr darüber herauszufi­nden, wie diese asymmetris­che Mobilität aussieht. Und auch beim nächsten Treffen der Sektionsch­efs im Mai wird dieses Thema besprochen.

Ich weiß, es ist Ländersach­e. Aber nach dem Studium 18 Monate Wartezeit auf einen Ausbildung­splatz in Wien – das ist doch Wahnsinn.

Bei diesen Wartezeite­n darf es einen nicht wundern, wenn die Absolvente­n weggehen. Daher würde es eigentlich auf der Hand liegen, darüber nachzudenk­en, ob man von der Basisausbi­ldung nicht abgeht und den Absolvente­n einen rascheren Zugang zum Beruf ermöglicht – wie in Deutschlan­d, wo man mit einem Studienabs­chluss direkt zu arbeiten beginnen darf. Aber wie Sie schon gesagt haben, das liegt nicht in meinem Entscheidu­ngsbereich. Hier ist die Gesundheit­spolitik gefordert.

Verstehe ich Sie richtig? Sie hätten gern, dass die neunmonati­ge Basisausbi­ldung übersprung­en wird, damit die Absolvente­n direkt mit der Facharztau­sbildung beginnen können?

Ja, genau.

Ich glaube ja, dass Politiker, die mehr Studienplä­tze fordern, das nur aus einem einzigen Kalkül machen: um einen Ärzteüberf­luss zu erzeugen und den jungen Ärzten letztlich die Arbeitsbed­ingungen zu oktroyiere­n, die sie wollen. Was sagen Sie zu dieser These?

Sie sind der Kommentato­r für politische Angelegenh­eiten. Diese Interpreta­tion mag zutreffen, aber das weiß ich nicht. Ich bin kein Gesundheit­sexperte.

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[Caio Kauffmann] Ist der Überzeugun­g, dass Österreich ausreichen­d Medizinstu­dienplätze hat: Martin Polaschek (ÖVP).

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