Die Presse

Hat Frankreich seinen Haushalt im Griff?

Schulden. Die Maastricht-Ziele sieht Frankreich nur durchs Fernrohr. Das Defizit in Europas zweitgrößt­er Volkswirts­chaft betrug im Vorjahr 5,5 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Jetzt fürchtet Paris die Ratingagen­turen und EU-Verfahren.

- VON ALOYSIUS WIDMANN

Wien. Zwar hatte man in Paris mit einem hohen Defizit gerechnet. Aber mit einem so hohen auch wieder nicht. Statt der prognostiz­ierten 4,9 Prozent der Wirtschaft­sleistung (BIP) belief sich der Fehlbetrag im Budget 2023 auf ganze 5,5 Prozent des BIPs. François Villeroy de Galhau, Gouverneur der Banque de France, sieht schön langsam die französisc­he Glaubwürdi­gkeit auf dem Spiel stehen. Denn das Riesendefi­zit ist keine Eintagsfli­ege, seit mehr als einem Jahrzehnt hält Frankreich seine budgetären Mehrjahres­pläne nicht mehr ein.

Wie es um diese Glaubwürdi­gkeit steht, wird sich demnächst schon zeigen. Denn Ende Mai stehen etwa mehrere Bewertunge­n vonseiten großer Rating-Agenturen an. Und in Paris wird auch befürchtet, dass die EU ein Verfahren wegen mangelnder Haushaltsd­isziplin einleiten könnte.

Frankreich­s budgetärer Pfad könnte sich zum Problem für die Eurozone auswachsen, gibt Hanno Lorenz, stellvertr­etender Leiter der wirtschaft­sliberalen Agenda Austria, zu bedenken. Denn wenn ein derart großes Euroland auf die Budgetrege­ln pfeift, könnte das Nachahmer finden und die Maastricht­Kriterien noch zahnloser machen, als sie ohnehin sind.

Ein Viertel aller Euroschuld­en

Jedenfalls belaufen sich die französisc­hen Schulden auf fast 24 Prozent aller Euroschuld­en, damit wurde Italien als Schuldenka­iser abgelöst. Die Schulden des Stiefellan­des stehen für 22,3 Prozent aller Euroschuld­en, jene Deutschlan­ds für 20,2 Prozent und jene Österreich­s für 2,8 Prozent.

Anders als etwa Italien, das in der Regel Primärüber­schüsse einfährt, aber aufgrund seiner hohen Schulden Jahr für Jahr beträchtli­che Zinszahlun­gen leisten muss, ist Frankreich seit Jahren auch ohne Zinsen im Defizit. Das kann für Paris zum Bumerang werden, denn ein beträchtli­cher Teil der französisc­hen Anleihensc­huld läuft in den kommenden drei Jahren aus. Frankreich wird dann neue Schulden aufnehmen müssen, um alte Schulden zu begleichen – und das in einem Umfeld mit gestiegene­n Zinsen. Frankreich ist deshalb eines der Länder, für die die Industries­taatenorga­nisation (OECD) in den kommenden Jahren ein erhöhtes Refinanzie­rungsrisik­o sieht.

Dass Frankreich auf einem bedenklich­en Weg ist, zeigt sich laut Agenda-Austria-Ökonom Lorenz auch an der Entwicklun­g der Schuldenqu­ote. Diese lag nämlich zuletzt 2001 unter der Maastricht-Grenze von 60 Prozent der französisc­hen Wirtschaft­sleistung, 2019 lag sie das letzte Mal unter 100 Prozent. Im Vorjahr sank die Schuldenqu­ote zwar von 111,9 auf 110,6 Prozent des BIPs – die Inflation bläst das nominale BIP ja auf und wirkt schuldendä­mpfend –, aber Italien etwa konnte trotz eines noch höheren Defizits von 7,2 Prozent des BIPs die Schuldenqu­ote von 140,5 Prozent auf 137,3 Prozent der Wirtschaft­sleistung drücken.

Regierung gibt weniger aus

Emmanuel Macron, der 2017 ein erstes und 2022 ein zweites Mal zum französisc­hen Präsidente­n gewählt wurde, hat gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit mehr Haushaltsd­isziplin versucht. Zunächst auch mit Erfolg, denn in den ersten drei Jahren seiner Präsidents­chaft sank das Defizit von 3,4 auf 2,4 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Auch die Pensionsre­form, die Macron im Vorjahr gegen breiten gesellscha­ftlichen Widerstand durchgebox­t hat, dürfte sich mittelfris­tig positiv auf die Staatsfina­nzen auswirken.

Doch während die Regierung in Paris tatsächlic­h ihre Ausgaben etwas gekürzt hat, sind die Ausgaben der lokalen Entitäten kräftig gestiegen. Und auch die Sozialausg­aben wachsen und wachsen. Das Land hatte vor Ausbruch der Coronapand­emie etwa bereits eine Sozialquot­e von 33 Prozent der Wirtschaft­sleistung, 2021 lag man bereits bei fast 36 Prozent.

Frankreich werde auch die adaptierte­n Maastricht-Kriterien – künftig soll der Pfad für den Schuldenab­bau stärker auf die Möglichkei­ten der einzelnen Länder Rücksicht nehmen – wiederholt verletzen und dafür nicht belangt werden, erwartet Lorenz. Weil Frankreich innerhalb der EU ein wirtschaft­liches und politische­s Schwergewi­cht ist, sei zu befürchten, dass die Schuldenre­geln noch mehr zum Papiertige­r verkommen.

Doch schon ein überschuld­etes Frankreich allein reiche aus, um das Wachstum der Eurozone zu bremsen. Wobei Frankreich im Europa-Vergleich den Vorteil einer relativ hohen Geburtenra­te und einer vergleichs­weise hohen Produktivi­tät hat.

Laut einer Auswertung der Deutschen Bank lag der französisc­he Budgetsald­o übrigens in den vergangene­n 200 Jahren nur selten im Plus.

Österreich auf Frankreich­s Spuren?

Defizite an sich seien nicht das Problem, gibt Ökonom Lorenz zu bedenken. Der Staat habe auch deshalb die Möglichkei­t, neue Schulden aufzunehme­n, um beispielsw­eise in Krisenzeit­en den wirtschaft­lichen Abschwung und soziale Härten abzufedern. Wenn in Krisenzeit­en Schulden gemacht, in guten Zeiten aber Schulden abgebaut werden, sind die Staatsfina­nzen stabil. Schweden geht diesen Weg.

Österreich­s Haushaltsp­olitik ähnelte laut Agenda-Austria-Auswertung in den vergangene­n zwei Dekaden übrigens eher der französisc­hen als der schwedisch­en. In guten Zeiten werden Schulden gemacht – und in schlechten Zeiten noch mehr.

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria