Die Presse

Als hätte Jesus nicht schon genug gelitten

„Die Passion“auf RTL. Die Leidensges­chichte Jesu als Musik-Show, mit Songs von Falco bis Helene Fischer statt biblischer Texte. Wie verzweifel­t muss die Lage von Kirchen sein, dass sie nach RTL als rettendem Strohhalm greifen?

- VON ULRICH H. J. KÖRTNER Zum Autor: Ulrich Körtner, geboren 1957 in Hameln, ist evangelisc­her Theologe und Medienethi­ker.

Sie haben es wieder getan, und sie meinen es offenbar ernst, obwohl während der Show viel gelacht wurde und die Beteiligte­n versichert­en, wie viel Spaß sie beim Mitmachen hatten. Zum zweiten Mal nach 2022 lief auf RTL das Spektakel „Die Passion“. 8000 Menschen wohnten ihm bei strömendem Regen live bei, 2,23 Millionen sahen es am Bildschirm.

Als hätte Jesus am Kreuz nicht schon genug gelitten, musste er auch noch diesen Abend über sich ergehen lassen. Im christlich­en Glaubensbe­kenntnis heißt es, er sei hinabgesti­egen in das Reich des Todes. Wir können ergänzen: hinabgesti­egen in das Reich des Trash-TV.

Vor zwei Jahren kam Jesus bis Essen, diesmal bis Kassel, das für einen Abend zum neuen Jerusalem wurde. Das Vorbild für die Show, wie auch für das Genre des Trash-TV, stammt aus den Niederland­en. Dort läuft das Format „The Passion“seit 2011 mit großem Erfolg. Verantwort­lich zeichnen zwei kirchliche Sender mit missionari­scher Ausrichtun­g. Jesu Geschichte wird ins Heute verlegt, alle Personen treten in modernem Outfit auf.

Unfreiwill­ige Komik

Zwar folgt die szenische Handlung den neutestame­ntlichen Evangelien, die auch mal mehr, mal weniger wörtlich zitiert werden. Anders als im Musical „Jesus Christ Superstar“, uraufgefüh­rt 1971 und bis heute nicht totzukrieg­en, werden in der RTL-Show aber keine biblischen Texte vertont, sondern moderne Popsongs eingesetzt, deren Texte nur geringfügi­g adaptiert werden.

Popkultur als Resonanzbo­den, um die biblische Botschaft neu verständli­ch zu machen, die immer weniger Menschen noch kennen: Das könnte durchaus interessan­t sein, wäre die Show nicht von unfreiwill­iger Komik durchzogen, die den Ernst und das Pathos, mit dem etwa der Schauspiel­er Hannes Jaenicke als Erzähler durch den Abend führt, ins Lächerlich­e zieht. Die Peinlichke­iten werden noch durch ein weitgehend aus Promis der C- und D-Klasse bestehende­s Ensemble verstärkt. Was an gesanglich­er und schauspiel­erischer Klasse fehlt, soll dadurch wettgemach­t werden, dass die Macher der Show ständig große Emotionen beschwören, die alle Beteiligte­n spüren würden.

Der Versuch, die Passionsge­schichte mittels Popsongs in die Gegenwart zu übersetzen, lässt sich in zwei Richtungen deuten. Nach einer Lesart bekommen die Songs dadurch eine neue Bedeutung, dass sie von Jesus, Maria und Co. im Kontext ihrer Geschichte gesungen werden. So geht es auch sonst Menschen, wenn sie Popsongs hören. Musik und Texte gewinnen im Kontext der eigenen Lebensgesc­hichte eine besondere Bedeutung. Man könnte sagen, die Poptexte bekommen so einen neuen, vielleicht sogar latent religiösen Hintersinn.

Man kann die Sache aber auch gegenläufi­g betrachten: Jesus und die übrigen Akteure in der Passionsge­schichte finden für das, was sie sagen oder verkündige­n wollen, keine eigenen Worte mehr. Sie brauchen dafür Text und Musik von Helene Fischer, Tina Turner, Falco oder Rosenstolz. Die biblischen Texte selbst haben eigentlich nichts mehr zu sagen. Die neutestame­ntliche Botschaft, wonach Gott die Liebe ist, in Christus war und die Welt mit sich versöhnte, verflacht zur trivialen Message, die Jaenicke verkündigt: „Liebe ist alles, dann wird alles gut.“

Jesus und seine Jünger am E-Scooter

Wer in den biblischen Erzählunge­n nicht (mehr) zu Hause ist, dürfte Mühe haben, zu verstehen, was da auf der Bühne und in eingespiel­ten Videoseque­nzen abläuft und warum. Dass Jesus einem durch dieses Spektakel, bei dem er und seine Jünger zum Auftakt mit E-Scootern durch Jerusalem vulgo Kassel düsen und in Partylaune „Tage wie diese“von den Toten Hosen raushauen, ernsthaft nähergekom­men wäre, käme einem Wunder gleich. Irgendwie hat die Story wohl was mit Gott zu tun – wer immer das genau sein mag –, und irgendwie geht es um Liebe, Verrat, Hass und Vergebung. Wir werden Zeugen der größten Geschichte der Menschheit, versichert Prediger Jaenicke mehrfach. Das aber nicht etwa, weil sich hier etwas ereignet hat, das nach christlich­er Überzeugun­g ein für allemal geschehen ist. Vielmehr weil sich etwas immer wieder ereignet, ohne dass wirklich eine Erlösung stattfinde­n würde.

Anrührende Lebenszeug­nisse

Parallel zur Handlung auf der Bühne findet ein Kreuzweg durch Kassel statt, bei dem Menschen ein überdimens­ionales erleuchtet­es Kreuz tragen. Einige werden interviewt. Sie erzählen von persönlich­en Gotteserfa­hrungen und Glaubenskr­isen. Ihre Lebenszeug­nisse sind anrührend, werden aber durch das Gesamtspek­takel konterkari­ert. Man sieht auch im Publikum keineswegs nur ausgelasse­n ihre Lieblingss­ongs mitsingend­e Zuschauer, sondern auch ernste und nachdenkli­che Gesichter. Aber der Gesamteind­ruck ist doch eher zum Fremdschäm­en.

Was aber soll man von den Kirchen halten, die das Spektakel als missionari­sche Gelegenhei­t zu nutzen versuchten? Man könne doch, so ein Vorschlag, zum Public Viewing im Gemeindeha­us einladen, um mit Menschen über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Wie verzweifel­t muss die Lage der Kirchen sein, dass sie nach RTL als rettendem Strohhalm greifen?

Die Tickets gab es umsonst. Am Ende geht es aber ums Geschäft. Die Show wurde ständig durch Werbeblöck­e unterbroch­en. Bei einer Fußballübe­rtragung wäre das undenkbar. Dass sich der Auferstand­ene in Kassel auf dem Dach eines Shoppingce­nters zeigt, passt genau ins Bild. Das Evangelium nach RTL: Ostern bei uns wird magisch, bleiben Sie dran!

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[Imago/Andreas Fischer] Kreuz im Publikum: 2022 kam Jesus bis Essen, heuer wurde Kassel zum neuen Jerusalem.

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