Als hätte Jesus nicht schon genug gelitten
„Die Passion“auf RTL. Die Leidensgeschichte Jesu als Musik-Show, mit Songs von Falco bis Helene Fischer statt biblischer Texte. Wie verzweifelt muss die Lage von Kirchen sein, dass sie nach RTL als rettendem Strohhalm greifen?
Sie haben es wieder getan, und sie meinen es offenbar ernst, obwohl während der Show viel gelacht wurde und die Beteiligten versicherten, wie viel Spaß sie beim Mitmachen hatten. Zum zweiten Mal nach 2022 lief auf RTL das Spektakel „Die Passion“. 8000 Menschen wohnten ihm bei strömendem Regen live bei, 2,23 Millionen sahen es am Bildschirm.
Als hätte Jesus am Kreuz nicht schon genug gelitten, musste er auch noch diesen Abend über sich ergehen lassen. Im christlichen Glaubensbekenntnis heißt es, er sei hinabgestiegen in das Reich des Todes. Wir können ergänzen: hinabgestiegen in das Reich des Trash-TV.
Vor zwei Jahren kam Jesus bis Essen, diesmal bis Kassel, das für einen Abend zum neuen Jerusalem wurde. Das Vorbild für die Show, wie auch für das Genre des Trash-TV, stammt aus den Niederlanden. Dort läuft das Format „The Passion“seit 2011 mit großem Erfolg. Verantwortlich zeichnen zwei kirchliche Sender mit missionarischer Ausrichtung. Jesu Geschichte wird ins Heute verlegt, alle Personen treten in modernem Outfit auf.
Unfreiwillige Komik
Zwar folgt die szenische Handlung den neutestamentlichen Evangelien, die auch mal mehr, mal weniger wörtlich zitiert werden. Anders als im Musical „Jesus Christ Superstar“, uraufgeführt 1971 und bis heute nicht totzukriegen, werden in der RTL-Show aber keine biblischen Texte vertont, sondern moderne Popsongs eingesetzt, deren Texte nur geringfügig adaptiert werden.
Popkultur als Resonanzboden, um die biblische Botschaft neu verständlich zu machen, die immer weniger Menschen noch kennen: Das könnte durchaus interessant sein, wäre die Show nicht von unfreiwilliger Komik durchzogen, die den Ernst und das Pathos, mit dem etwa der Schauspieler Hannes Jaenicke als Erzähler durch den Abend führt, ins Lächerliche zieht. Die Peinlichkeiten werden noch durch ein weitgehend aus Promis der C- und D-Klasse bestehendes Ensemble verstärkt. Was an gesanglicher und schauspielerischer Klasse fehlt, soll dadurch wettgemacht werden, dass die Macher der Show ständig große Emotionen beschwören, die alle Beteiligten spüren würden.
Der Versuch, die Passionsgeschichte mittels Popsongs in die Gegenwart zu übersetzen, lässt sich in zwei Richtungen deuten. Nach einer Lesart bekommen die Songs dadurch eine neue Bedeutung, dass sie von Jesus, Maria und Co. im Kontext ihrer Geschichte gesungen werden. So geht es auch sonst Menschen, wenn sie Popsongs hören. Musik und Texte gewinnen im Kontext der eigenen Lebensgeschichte eine besondere Bedeutung. Man könnte sagen, die Poptexte bekommen so einen neuen, vielleicht sogar latent religiösen Hintersinn.
Man kann die Sache aber auch gegenläufig betrachten: Jesus und die übrigen Akteure in der Passionsgeschichte finden für das, was sie sagen oder verkündigen wollen, keine eigenen Worte mehr. Sie brauchen dafür Text und Musik von Helene Fischer, Tina Turner, Falco oder Rosenstolz. Die biblischen Texte selbst haben eigentlich nichts mehr zu sagen. Die neutestamentliche Botschaft, wonach Gott die Liebe ist, in Christus war und die Welt mit sich versöhnte, verflacht zur trivialen Message, die Jaenicke verkündigt: „Liebe ist alles, dann wird alles gut.“
Jesus und seine Jünger am E-Scooter
Wer in den biblischen Erzählungen nicht (mehr) zu Hause ist, dürfte Mühe haben, zu verstehen, was da auf der Bühne und in eingespielten Videosequenzen abläuft und warum. Dass Jesus einem durch dieses Spektakel, bei dem er und seine Jünger zum Auftakt mit E-Scootern durch Jerusalem vulgo Kassel düsen und in Partylaune „Tage wie diese“von den Toten Hosen raushauen, ernsthaft nähergekommen wäre, käme einem Wunder gleich. Irgendwie hat die Story wohl was mit Gott zu tun – wer immer das genau sein mag –, und irgendwie geht es um Liebe, Verrat, Hass und Vergebung. Wir werden Zeugen der größten Geschichte der Menschheit, versichert Prediger Jaenicke mehrfach. Das aber nicht etwa, weil sich hier etwas ereignet hat, das nach christlicher Überzeugung ein für allemal geschehen ist. Vielmehr weil sich etwas immer wieder ereignet, ohne dass wirklich eine Erlösung stattfinden würde.
Anrührende Lebenszeugnisse
Parallel zur Handlung auf der Bühne findet ein Kreuzweg durch Kassel statt, bei dem Menschen ein überdimensionales erleuchtetes Kreuz tragen. Einige werden interviewt. Sie erzählen von persönlichen Gotteserfahrungen und Glaubenskrisen. Ihre Lebenszeugnisse sind anrührend, werden aber durch das Gesamtspektakel konterkariert. Man sieht auch im Publikum keineswegs nur ausgelassen ihre Lieblingssongs mitsingende Zuschauer, sondern auch ernste und nachdenkliche Gesichter. Aber der Gesamteindruck ist doch eher zum Fremdschämen.
Was aber soll man von den Kirchen halten, die das Spektakel als missionarische Gelegenheit zu nutzen versuchten? Man könne doch, so ein Vorschlag, zum Public Viewing im Gemeindehaus einladen, um mit Menschen über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Wie verzweifelt muss die Lage der Kirchen sein, dass sie nach RTL als rettendem Strohhalm greifen?
Die Tickets gab es umsonst. Am Ende geht es aber ums Geschäft. Die Show wurde ständig durch Werbeblöcke unterbrochen. Bei einer Fußballübertragung wäre das undenkbar. Dass sich der Auferstandene in Kassel auf dem Dach eines Shoppingcenters zeigt, passt genau ins Bild. Das Evangelium nach RTL: Ostern bei uns wird magisch, bleiben Sie dran!