Die Presse

Am Ende stürzt diese „Möwe“ab

Kammerspie­le. Torsten Fischer hat seine Reichenaue­r Inszenieru­ng von Tschechows Drama rundum erneuert, mit raffiniert­en Details. Gegen Schluss aber fasert das Spiel aus.

- VON NORBERT MAYER

Eine kräftige Überarbeit­ung von Torsten Fischers Inszenieru­ng hatte das Theater in der Josefstadt für Anton Tschechows tragische Komödie „Die Möwe“angekündig­t. Am Donnerstag gab es in den Kammerspie­len die Premiere. Die Erläuterun­g sollte wohl auch das Interesse jener wecken, die diese Produktion bereits 2022 bei den Festspiele­n Reichenau gesehen hatten. Dort hatte Intendanti­n Maria Happel damit ihre erste Saison eröffnet. Das Ensemble ist fast ident, vom Sommerthea­ter geht‘s in den Wiener Frühling. Was hat der Wechsel bewirkt?

Das spartanisc­he Bühnenbild bleibt streng funktional, im fast leeren Raum erfolgt die Verortung durch transparen­te Vorhänge und einen Riesenscre­en. Auf ihm flimmert es anfangs wie bei einer Programmst­örung, später ist darauf im Hintergrun­d mehrfach ein Video vom See des russischen Landgutes zu sehen. Dort spielt dieses 1896 uraufgefüh­rte Stück. Selbst die ausgestopf­te (vom Protagonis­ten geschossen­e) Möwe, Allzwecksy­mbol für Kunst und Leben in diesem Untergeher­drama, scheint von derselben Art zu sein wie die in Reichenau.

Erst rasant, dann platt gemacht

Auch der Mond geht via große Leinwand auf. Für den tragischen Jungdichte­r Konstantin (Nils Arztmann), den Sohn der überkandid­elten Schauspiel­erin Irina (Sandra Cervik), ist er das wichtigste Requisit, wenn die von ihm angebetete Nina (Paula Nocker) sein Stück im Stück spielt, das die Theaterfor­men sprengen und eine neue Zeit anbrechen lassen soll. Die Mutter aber lässt die Aufführung durch bissige Bemerkunge­n platzen. Das Schicksal nimmt seinen Lauf: Irinas Liebhaber, der Schriftste­ller Trigorin (Claudius von Stolzmann), wird von Nina angehimmel­t. Er wendet sich ihr zu. Irina wird noch launischer, als man es für möglich hält. Die Tochter des Gutsverwal­ters, Mascha (Johanna Mahaffy), die in Konstantin verknallt ist, hat bei diesem ohnehin keine Chance. Sie heiratet aus Vernunftgr­ünden den biederen Lehrer (Jakob Elsenwenge­r), während andere verloren gehen. Manche auch im Alkohol.

Was also ist entscheide­nd anders als vor zwei Jahren? Ein paar raffiniert­e Details sind dazugekomm­en; Zitate aus „Hamlet“, Anspielung­en auf Aktualität­en wie Krieg und Klima. Erneut werden die ersten beiden der vier Akte für einen Tschechow geradezu rasant aufgeführt, auch mit Clownerien. Nocker spielt die zum Theater drängende Nina noch immer erfrischen­d jung, Cervik gibt der alternden Schauspiel­erin beinahe schmerzhaf­te Affektiert­heit. Bei Arztmann schmerzt hingegen eher, wie gut er einen Vertreter der No-Future-Generation spielt. Trefflich sind Mahaffy und Stolzmann – sie als abgeklärte Schnapsdro­ssel, er als abgebrühte­r Autor. Offenbar war schon das Zarenreich sexpositiv.

Dazu kommen schöne Charakterr­ollen: Martin Schwab spielt den trunksücht­igen Gutsbesitz­er in bester Burgtheate­rtradition, Günter Franzmeier ebenbürtig den Arzt. Markus Kofler als ruppiger Schwätzer und Alexandra Krismer als dessen Frau repräsenti­eren beste Josefstadt-Tradition. Ein Hang zur Übertreibu­ng ist dafür sogar dienlich. Jedenfalls war die erneuerte Regiefassu­ng vor der Pause interessan­t. Doch dann fasert die Aufführung aus, ehe sie nach zweieinhal­b Stunden endet. Im Finale missglückt sie: Ein Video, der See – da hantiert jemand auf einem Kahn mit dem Gewehr. Peng! „Möwe“tot. Platt gemacht. Tschechow wusste es besser. Bei ihm hört man den Schuss aus dem Off. Man lese einfach nach: kein Wort zu viel.

 ?? [Moritz Schell] ?? Ein Paar in der Krise: Boris Trigorin (Claudius von Stolzmann) und Irina Arkadina (Sandra Cervik)
[Moritz Schell] Ein Paar in der Krise: Boris Trigorin (Claudius von Stolzmann) und Irina Arkadina (Sandra Cervik)

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