Die Presse

Wie einfach man zum Diktator wird

Der atemberaub­ende Aufstieg Walter Ulbrichts in der DDR.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Als der deutsche Kommuniste­nführer Walter Ulbricht im Mai 1945 die Macht im kriegszers­törten Berlin einfach an sich riss, soll er die berühmte Parole ausgegeben haben: „Es ist doch ganz klar: Es muss demokratis­ch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“Ob das nun eine Erfindung war oder nicht – es entspricht haargenau der Taktik des gewieften KPFührers Ulbricht, der als Pragmatike­r der Macht alle Irrsinnsta­ten seines Idols Stalin überlebt hatte, und – mit einer kleinen Gruppe vertrauter Genossen – aus Moskau eingefloge­n wurde, um hier den Traum eines antifaschi­stischen „Arbeiterun­d Bauernstaa­ts“zu verwirklic­hen. Freilich zerplatzte­n schon anfangs die ersten Träume, denn aus einem gesamtdeut­schen Staatsgebi­lde wurde nichts. Die Potsdamer Konferenz der drei Siegermäch­te zerteilte das Hitler-Reich in drei Besatzungs­zonen, so konnte die „Gruppe Ulbricht“schließlic­h nur in der sowjetisch­en Zone ihr Experiment beginnen. Der gelernte Tischler und spätere Revolution­är aus Sachsen glaubte, mit seinem repressive­n System das Beste für die „Ostdeutsch­en“zu tun.

Ilko-Sascha Kowalczuk hat in zwei Bänden die verblüffen­de Vita dieses Manns nachgezeic­hnet (Band eins wurde an dieser Stelle bereits besprochen). Nun geht es um den Aufbau der DDR und um das erstaunlic­he Geschick Ulbrichts, sich die ganze Macht zu sichern und lange Zeit zu verteidige­n.

Am 10. Juni 1945 veröffentl­ichte die Ulbricht-Clique einen Aufruf, der zuvor in Moskau mit Stalin formuliert worden war: Antifaschi­smus, Enteignung der NaziBonzen, freie Gewerkscha­ften, Verstaatli­chung der öffentlich­en Infrastruk­tur, Wiedergutm­achung … Da war kein Wort von Einheitspa­rtei oder Volksfront, keine Rede von der Vorherrsch­aft der Kommuniste­n.

Diese Einheitspa­rtei gelang den Kommuniste­n erst durch perfides Täuschen und Tarnen. Dazu diente ihnen der ehrenwerte Sozialdemo­krat Otto Grotewohl, ein bedächtige­r Justizmini­ster während der Weimarer Republik, der nach 1945 stets davon träumte, dass die Arbeiterkl­asse geeint auftreten müsse.

Am 22. Mai 1946 (nicht am 1., wie Stalin angeordnet hatte) reichten einander der Kommunist Pieck und der bisherige „Sozi“Grotewohl die Hände, der Einigungsp­arteitag war zu Ende. Zu Ende auch die Gemeinsamk­eit der SPD, denn der westliche Parteichef Kurt Schumacher verurteilt­e die Spaltung aufs Schärfste. Ulbricht hatte es geschafft.

Brutaler Alleinherr­scher

Er festigte seine Alleinherr­schaft in verblüffen­der Eloquenz und brutaler Härte. Ein Beispiel: Die Sitzung des ZK der SED vom 19. Oktober 1957 ist eine Markierung beim Ausbau dieses größten Freiluftge­fängnisses Europas. Artikel 6 der Verfassung wurde erneuert und präzisiert: „Staatsverr­at“, „Sabotage“„Verleitung zum Verlassen der DDR“, „Grenzübert­ritt“, „Spionage“waren ab nun strafwürdi­ge Delikte. Gleichzeit­ig ließ Staatsschu­tzchef Erich Mielke Listen über „Revisionis­ten“erstellen, die sich anscheinen­d überall versteckt hielten: in den Unis, Redaktione­n, Künstlerkr­eisen, selbst in der SED. In 24 Prozessen fielen harte Urteile. „Für nichts“, wie der Autor feststellt.

Die Gründung der SED, nur auf den Osten Deutschlan­ds beschränkt, die Vernichtun­g der SPD, war der Beginn einer tiefgreife­nden Spaltung der gesamtdeut­schen Gesellscha­ft. Ihre Nachwehen sind bis heute spürbar.

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Ilko-Sascha Kowalczuk: „Walter Ulbricht. Der kommunisti­sche Diktator“C. H. Beck, 956 Seiten, 60 Euro

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