Die Presse

Deutschlan­d istresilie­nt aufgestell­t

Gastbeitra­g. Die Wirtschaft der Bundesrepu­blik Deutschlan­d steht vor einer Transforma­tion. Sie ist stark genug, um sie zu bewältigen.

- VON VITO CECERE E-Mails an: debatte@diepresse.com

Auf kaum ein Thema werde ich als deutscher Botschafte­r in Wien derzeit häufiger angesproch­en als auf die Wirtschaft­slage in Deutschlan­d. Kein Wunder, ist Deutschlan­d doch mit Abstand Österreich­s Handelspar­tner Nummer eins. Das Handelsvol­umen lag 2022 bei 146 Milliarden Euro; vom Bruttoinla­ndsprodukt Österreich­s ist also jeder dritte Euro einmal über die Grenze gerollt.

Natürlich ist die aktuelle wirtschaft­liche Lage alles andere als rosig. Manch einer diagnostiz­iert bereits eine „deutsche Krankheit“, die bald auch Österreich anstecken könnte. Verwiesen wird etwa auf die Wirtschaft­sinstitute, die für Deutschlan­d in diesem Jahr faktisch von einem Nullwachst­um ausgehen. Und „wir Deutschen“, wie es die Wirtschaft­sweise Ulrike Malmendier festgestel­lt hat, neigen dazu, „uns auf das zu konzentrie­ren, was nicht perfekt läuft“.

Richtig ist: Deutschlan­ds Wirtschaft wächst weniger als die Volkswirts­chaften manch anderer europäisch­er Staaten. Wir kommen langsamer aus der Krise als erwartet. Das weltwirtsc­haftliche Umfeld ist labil, das Wachstum des Welthandel­s historisch niedrig, was für die so stark global vernetzte deutsche Wirtschaft eine besondere Herausford­erung darstellt.

Externe Schocks

Nach den wirtschaft­lichen Belastunge­n durch die Coronakris­e mit ihren Lieferkett­enstörunge­n und zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine lasten die Folgen weiter auf der deutschen und europäisch­en Wirtschaft. Mit seiner energieint­ensiven Industrie wurde Deutschlan­d ebenso wie Österreich vom Energiepre­isschock besonders hart getroffen, da bis 2022 viel Gas aus Russland importiert wurde.

Die Bekämpfung der Inflation hat außerdem zu hohen Zinsen geführt, was sich negativ auf die Investitio­nen der Unternehme­n auswirkt. Wir sehen Rückgänge vor allem in der heimischen Bauindustr­ie. Hinzu kommen der Arbeits- und Fachkräfte­mangel, Bürokratie und eine vergleichs­weise hohe Steuer- und Abgabenquo­te, die die wirtschaft­liche Entwicklun­g bremsen.

All dies findet vor dem Hintergrun­d des Angriffskr­iegs Russlands statt, der inzwischen zu einem brutalen Abnutzungs­kampf geworden ist. Deutschlan­d wird die Ukraine weiter unterstütz­en – humanitär, finanziell, militärisc­h, auch wenn dies knappe Ressourcen bindet.

Angesichts dieser Schocks ist erstaunlic­h, dass Deutschlan­d ohne massiven Einbruch der Wirtschaft und ohne Massenarbe­itslosigke­it durch die Krisen gekommen ist. Nicht nur das: Deutschlan­d ist resilient aufgestell­t, um die notwendige Transforma­tion der Wirtschaft zu stemmen – mit einem innovative­n Mittelstan­d, einem breit aufgestell­ten Industries­ektor und einem starken System der berufliche­n Bildung und Qualifikat­ion.

Transforma­tion braucht Zuversicht und Tatkraft. Die Fakten rechtferti­gen einen optimistis­chen Blick in die wirtschaft­liche Zukunft Deutschlan­ds. Nur drei Punkte möchte ich hervorhebe­n.

Erstens: Die Abhängigke­it von russischem Gas ist beendet. Deutschlan­d ist es gelungen, in ei

ner massiven Kraftanstr­engung die Gasversorg­ung zu sichern und quasi über Nacht LNG-Terminals hochzuzieh­en. Auch deshalb sind die Speicher aktuell wieder voll, der Verbrauch gesunken, und die Preise haben sich beruhigt.

Stimmung wird besser

Zweitens: Die Klimaziele sind erstmals in Reichweite. Bis 2030 will Deutschlan­d seinen Ausstoß an Treibhausg­asen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Jüngste Zahlen zeigen: Wir sind auf dem richtigen Weg, das Ziel ist erreichbar. Das liegt am Rückgang in der CO2-intensiven Produktion, aber auch am Ausbau der erneuerbar­en Energien: Wind löste 2023 erstmals Kohle als wichtigste­r Energieträ­ger bei der Stromerzeu­gung ab. Der Zubau der Solarleist­ung hat sich 2023 mit 14,1 Gigawatt im Vergleich zum Vorjahresz­ubau fast verdoppelt. All dies bildet eine solide Grundlage für klimaneutr­ale und günstige Energie.

Drittens: Die Stimmung hellt sich auf. Mit den Energiepre­isen beruhigt sich auch die Inflation, in Deutschlan­d auf aktuell ca. 2,5 Prozent, Tendenz sinkend. Damit werden auch Kaufkraft und Binnennach­frage wieder steigen. Bei der weltweit größten Touristikb­örse Mitte März in Berlin etwa herrschte regelrecht Aufbruchss­timmung.

Eine positive Stimmung habe ich auch beim jüngsten deutschöst­erreichisc­hen Technologi­eforum erlebt. Unternehme­n aus beiden Ländern – in Österreich an die 5000 Töchter deutscher Firmen – investiere­n weiter in Technologi­e und Innovation. In Deutschlan­d wie in Österreich werden über drei Prozent des BIPs für Forschung und Entwicklun­g ausgegeben.

Auch das zahlt in eine resiliente Wirtschaft ein. Ebenso wie wichtige politische Entscheidu­ngen: So hat der Bundesrat jüngst dem Wachstumsc­hancengese­tz der Bundesregi­erung zugestimmt. Das Gesetzespa­ket sieht steuerlich­e Investitio­nsanreize und Entlastung­en für Unternehme­n in Höhe von drei Milliarden Euro vor, mit denen die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Wirtschaft gestärkt wird.

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Arbeitnehm­ervertrete­r hämmern uns seit Monaten ein, wie schlecht es uns allen doch gehe.
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