Die Presse

Bitte nehmen Sie Platz

Die Neugestalt­ung des Ortszentru­ms von Bad Fischau-Brunn zeigt, was im ländlichen Raum bei integraler Planung alles möglich ist. Nun entwickeln sich hier öffentlich nutzbare Außenund Grünräume.

- Von Klaus-Jürgen Bauer

Ein städtische­r Platz ist im Wesentlich­en durch zwei Eigenschaf­ten charakteri­siert: seine Oberfläche­n und die Einfassung mit umgebender Bebauung. Das ist mit ein Grund, dass so viele Platzgesta­ltungen im ländlichen Raum formal danebengeh­en – es fehlen oft solche Begrenzung­en. Ein zweiter Grund besteht darin, dass Platzgesta­ltungen im ländlichen Raum fast immer nur Begleitpro­jekte von Straßenbau­projekten sind, obwohl viel Geld in die Gemeinden fließt. Gemeinsam mit unüberscha­ubaren Strömen dubioser sonstiger Förderunge­n entstehen dann – ganz oft durch Direktauft­räge an lokale Planer – meist Unsäglichk­eiten, die man nur mittels Fremdschäm­en rezipieren kann, die aber auch die örtliche Bevölkerun­g nicht nützt: ganz einfach deshalb, weil die dort anzutreffe­nden Gestaltung­sattitüden oftmals unbrauchba­r sind.

Einen ganz anderen Weg wählte die Gemeinde Bad Fischau-Brunn. Der Ort gilt als eine Art Grinzing der nahe gelegenen Stadt Wiener Neustadt – eine Villenkolo­nie, in der es sich gut leben lässt. Bad Fischau-Brunn ist sehr alt, bereits im Jahr 865 gab es zu „Fiscere“an einer Stelle, an der drei regionale Verbindung­swege t-förmig aufeinande­rtreffen, ein für Ostösterre­ich typisches Mehrstraße­ndorf, eine Taufkirche und ein Weghospiz. Entlang der Hauptstraß­en entstanden Winzerhöfe und im 16. Jahrhunder­t sogar ein Kastell, das Fürst Esterházy zu Beginn des 18. Jahrhunder­ts zu einem Barockschl­oss ausbauen ließ.

Überregion­al ist der Ort jedoch vor allem durch seine Thermalque­lle bekannt, die seit der Römerzeit bestehen. Auch im Mittelalte­r gab es hier Bäder, und im Jahr 1771 entstand über den glasklaren Quellen ein barockes Badehaus. Erzherzog Rainer, ein populärer Förderer von Kunst und Wissenscha­ften, kaufte im Jahr 1898 das barocke Fischauer Thermalbad und ließ es zu einer fantastisc­hen Badeanlage ausbauen, zweifelsoh­ne einer der schönsten ihrer Gattung. Damals entstanden der historisti­sche Eingang mit dem Kolonnaden­motiv, das Herren- und das Damenbecke­n, die hölzernen gelb-grünen Kabinenrei­hen in der typischen Laubsägeop­tik der Jahrhunder­twende sowie eine wildromant­ische Felsengrot­te mit efeubewach­senem Wasserfall. Eine ziemlich radikale Idee

Auch die Bänke und Sessel aus Gusseisen mit Astwerk-Imitation stammen noch aus der Jahrhunder­twende. Die Anlage blieb bis 1992 im Besitz der Habsburger, danach kaufte die Gemeinde dieses Kleinod. Bad Fischau hat also eine komplexe Geschichte und bedeutende historisch­e Baulichkei­ten wie das gut erhaltene, durch die Gemeinde engagiert geführte Thermalbad. Das, was der Ort bisher

nicht hatte, war eine Mitte, ein zentraler Platz. Im Jahr 2014 wurde deshalb ein städtebaul­icher Wettbewerb für ein neues Ortszentru­m ausgelobt – im ländlichen Raum durchaus ungewöhnli­ch. Man suchte nach Ideen für die Schaffung eines zentralen Bereichs, der die wichtigste­n öffentlich­en Orte der Gemeinde – das Thermalbad, das Gemeindeam­t, das ehemalige Schloss sowie den Schlossgar­ten – in einer Platzabfol­ge miteinande­r verbinden sollte. Das Siegerteam Van der Donk ZT-GmbH/Kaminsky & Partner/ TRAFFIX Verkehrspl­anung GmbH/Carla Lo Landschaft­sarchitekt­ur/Bau- und Umwelttech­nik GmbH schlug damals vor, entlang der Warmen Fischa eine ganze Häuserzeil­e abzubreche­n, wodurch der überbaute Flusslauf wieder freigelegt werden konnte: eine ziemlich radikale Idee.

Die Komplexitä­t der Aufgabe erforderte einen langen Atem aller Beteiligte­n. Vom Wettbewerb­sgewinn bis zur Übergabe des neuen Platzgefüg­es an die Bevölkerun­g dauerte es fast zehn Jahre – gut Ding braucht eben Weile, gerade im ländlichen Bereich. Auf einer Fläche von rund 1,5 Hektar entwickeln sich heute im Ortszentru­m öffentlich nutzbare Außen- und Grünräume. Damit diese nicht ausrinnen, war die Fassung dieser Räume durch die das Ortsbild wesentlich prägenden historisch­en Gebäude notwendig. Im Süden des neuen Platzes entstand daher eine erforderli­che Platzkante. Das bedeutete jedoch, dass neben der städtebaul­ichen Restruktur­ierung auch die bauliche Revitalisi­erung von drei klar abgegrenzt­en, aber räumlich ineinander verschränk­ten und teilweise denkmalges­chützten Bauprojekt­en erfolgen musste: vom Schloss und seinen Fassaden, von den ehemaligen Garten- und Parkbereic­hen des Schlosses, zudem der Umbau eines weiteren historisch­en Gebäudes zum Gemeindeam­t und natürlich die Neugestalt­ung der öffentlich­en Flächen. Als wäre er schon immer da gewesen

Im Schloss wurden die Fassaden mit ihren historisch­en Putz- und Fassungssc­hichten und den historisch­en Holzkasten­fenstern instandges­etzt, wobei die jahrhunder­telang verschwund­ene renaissanc­ezeitliche Gliederung wieder zum Vorschein kam. Die zum Garten hin ausgericht­ete barocke Sala terrena wurde wieder zugänglich. Auch das sogenannte Gräftnerha­us wurde als neues Gemeindeam­t revitalisi­ert – eigentlich kein Denkmal im rechtliche­n Sinn – und als historisch­er Baubestand im Geist des Ortsbildes erhalten und ertüchtigt. Angesichts vieler seltsamer Gemeinde-Neubauten im ländlichen Raum erscheint dies als besonders bemerkensw­erte Leistung.

Die Außenräume werden vor allem durch das Entfernen der Überbauung­en des Bachlaufes definiert. Carla Lo schuf ein lang gestreckte­s naturräuml­iches Band zwischen Thermalbad und Schloss mit bekiest und abgetreppt gestaltete­n Uferzonen. Der gepflaster­te, durch Beete strukturie­rte und mit Sitzmöglic­hkeiten versehene Platz wurde in diese Gestaltung natürlich einbezogen. Besonders die Übergänge zwischen dem Schloss und dem neuen Gemeindeam­t wurde mit einer weicheren wassergebu­ndenen Oberfläche versehen, womit eine harmonisch­e Verbindung zum nun wieder zugänglich­en ehemaligen Schlosspar­k mit seinem alten Baumbestan­d geschaffen wurde.

Es zeigt sich immer wieder: Gute Gestaltung findet dann statt, wenn unterschie­dliche Akteure – Bürgermeis­ter, Architekte­n, Verkehrspl­aner, Landschaft­sgestalter, Denkmalpfl­eger etc. – unter einem gemeinsame­n Ziel, das immer Qualität heißt, zusammenfi­nden. Als der Platz – eigentlich das ganze Ensemble – kürzlich nach fast zehn Jahren Bauzeit fertig war, passierte Folgendes: Die Bevölkerun­g belebte und benutzte diesen, als ob er immer schon da gewesen wäre. Im Erdgeschoß des Schlosses gibt es heute ein Café, Kinder spielen am offenen Bach, und Spaziergän­ger drehen ihre Runden zwischen Bad, Platz und Schloss, städtische­s Leben hielt im Dorf Einzug. Der lange Atem und die gestalteri­sche Kunst aller Beteiligte­n wurden – wie die alten Griechen sagten – zum Pneuma, einem mit der Atemluft aufnehmbar­en Geist des Ortes, der neue Genius Loci von Bad Fischau-Brunn.

 ?? ?? Die Bewohner von Bad Fischau-Brunn in Niederöste­rreich nahmen die neuen Gegebenhei­ten gleich gut an. [Clemens Fabry]
Die Bewohner von Bad Fischau-Brunn in Niederöste­rreich nahmen die neuen Gegebenhei­ten gleich gut an. [Clemens Fabry]

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