Die Erste auf dem Kontinent
Das Foto von 1929 verrät noch nichts von den Schrecken der kommenden Jahre. Da sitzen fünf Männer und eine Frau, alle Teil einer literarischen Gesellschaft, die noch nicht lange bestand. Die Frau hatte sie mitbegründet und auch eine Zeit lang mitgeführt. Die Mitglieder unterschieden sich stark in Meinung, Ideologie, Literaturgeschmack; diskutiert wurde über die Zensur und die Rolle des Staates bei der Förderung von Kunst jeglicher Art.
Betrachten wir die Frau und die zwei Männer von links näher: Die Frau hatte sich schon früh über Konventionen hinweggesetzt mit ihrer Literatur und ihrer Promotion in Geschichte; sie hatte ein Werk publiziert, das eine bestimmte Epoche neu betrachtete. Der erste Mann von links war ein sehr aktives, polemisches Mitglied und verstand sich als Gegenpart zu den konservativeren Kollegen; der zweite sollte bald Grund zu großer Freude haben. Beide hatten schon gewichtige Romane publiziert.
1933 änderte sich viel: Erst legte der erste Vorsitzende der Gesellschaft (nicht auf dem Bild) aus Protest gegen die neuen Machthaber sein Amt nieder, dann agitierte ein Kollege zugunsten derselben. Er setzte eine Unterstützungserklärung auf, die sich viele Mitglieder zu unterschreiben weigerten; manche traten aus oder wurden ausgeschlossen, darunter die drei oben erwähnten. Seltsam mag erscheinen, dass das Regime viel von der Frau hielt, denn sie schätzte es gering: Während sie im Verborgenen mit Widerstandskämpfern verkehrte, erhielt sie zu ihrem Geburtstag ein Glückwunschschreiben.
Zeitsprung: Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs fand ein literarischer Kongress in Berlin statt, der Ost und West vereinen sollte. Die Frau eröffnete die Veranstaltung mit etwa diesen Worten: „Ich freue mich sehr, dass sich Schriftsteller aus den westlichen Zonen so zahlreich eingefunden haben.“Kaum einen Monat später verstarb sie. Der eine Mann schrieb über sie: „Mut war für sie selbstverständlich.“Der andere hatte sie bereits in seiner Gratulationsschrift anlässlich ihres runden Geburtstags 1924 als „erste Frau Europas“bezeichnet. g Wer traf wen? Die Gesellschaft? Der Agitator, der erste Vorsitzende? Das Werk der Frau? Der Band ihr zu Ehren?