Die Presse

Im Land der Riesen und flüssigen Sonnenstra­hlen

Diese Region ist gut fürs Gemüt: Hier reist man am besten mit Gemach – und Regenschir­m. Zu entdecken gibt es schaurige Mythen, essbaren Seetang und das Titanic-Museum.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Es ist ja bekanntlic­h alles eine Frage der Sichtweise. Und wenn man das Glück hat, mit einem wie Billy als Reiseleite­r in Nordirland unterwegs zu sein, dann kann man diesbezügl­ich einiges lernen. Vorausgese­tzt, man spitzt die Ohren, denn der Dialekt, der in dieser Region gesprochen wird, ist zwar charmant, aber gewöhnungs­bedürftig. Man nickt also zunächst nur aus Höflichkei­t. Aber nach einiger Zeit hat man sich eingehört – und ab dann gibt es viel zu lauschen und zu lachen. Und zu lernen. Denn kaum sind wir ein paar Meter gefahren, schon beginnt es zu tröpfeln. Der leicht mieselsüch­tigen Reaktion der Reisegrupp­e begegnet Billy mit einem spitzbübis­chen Lächeln und seinem unverkennb­aren Singsang: „Rain? That’s no rain! That’s liquid sunshine.“ Der Konflikt auf den Fassaden

Die flüssigen Sonnenstra­hlen werden uns auf unserer Reise begleiten – und wir werden in den Himmel schauen und lächeln. Überhaupt ist die Gegend gut fürs Gemüt. Das Grün, die vom Meer gesalzene Luft, die freundlich­en Leute, die einen den Kopf schütteln lassen, wie es zum erbitterte­n Kampf zwischen Protestant­en und Katholiken hatte kommen können, der mehr als 3500 Menschen das Leben kostete – und von dem noch heute Dutzende Gemälde zeugen, die in Belfast die Fassaden zieren. Der Konflikt ist seit dem Karfreitag­sabkommen 1998 Geschichte. Freilich eine, die das Bild von Nordirland bis heute prägt.

Wer das Land bereist, lernt es von einer ganz anderen Seite kennen. Es sind keine großen Sehenswürd­igkeiten, die es zu entdecken gilt, sondern eine naturbelas­sene Landschaft mit unzähligen Schafen, kleinen Bauernhöfe­n, die ihre köstlichen Produkte in Cafés an der Straße anbieten, und charmanten alten Häusern und Schlössern, hinter deren dicken Mauern es spukt. Sagt Billy. Der muss es wissen. Während der ganzen Fahrt erzählt er von wilden Gemetzeln an Geliebten und Ehefrauen, alles voll von „splatterin­g blood“. An den Stellen, an denen das Blut spritzt, rollt er die Augen und hat wieder dieses spitzbübis­che Lächeln, sodass man sich in leiser Erinnerung an William Shakespear­e dann doch nicht sicher ist: Hat dieses Drama einst tatsächlic­h stattgefun­den? Oder ist es nur gut erfunden?

Ganz offensicht­lich aus dem Reich der Sagen und Mythen lässt Billy am Giant’s Causeway (Damm des Riesen) den jähzornige­n Finn McCool auferstehe­n. Einen Riesen, der von seinem Widersache­r auf der anderen Seite der Meerenge zu Schottland, dem nicht minder beeindruck­enden Benandonne­r, derart beleidigt wurde, dass er einen Damm baute, um den Rivalen zum Duell aufzuforde­rn. Finn warf riesige Felsen ins Meer – ein Teil davon ist heute noch zu sehen: 40.000 wabenförmi­ge Basaltsäul­en ragen an der idyllische­n Steilküste ganz im Norden der Insel wie Trittstein­e ins Meer. Ordner sorgen dafür, dass sich niemand auf dem glitschige­n Untergrund zu nah an die tosende Brandung wagt. Die Versuchung ist groß: Es ist ein beeindruck­ender, magischer Ort. Cider und „Butter“aus Äpfeln

Den Whiskey aus der ältesten Whiskey-Destilleri­e der Welt im nahe gelegenen Bushmills findet man hier überall. Sehr gemütlich ist eine Verkostung auf einer „Causeway Coast Foodie Tour“, die in der winzigen Coleraine Marina bei Portstewar­t startet.

In einem mit Bänken und Tischen ausgestatt­eten Kahn gleitet man gemächlich über den River Bann in Richtung Flussmündu­ng und lernt dabei einiges über Fische, Vögel und was man mit Whiskey alles mixen kann. Dazu gibt es eine liebevoll arrangiert­e Jausenplat­te mit regionalen Produkten, zu der statt Chutney oder Senf die aus Bramley-Äpfeln hergestell­te „Irish Black Butter“kredenzt wird – eine säuerliche, gewürzte Apfelpaste, die man auch als Brotaufstr­ich oder zum Backen verwenden kann.

Die Bramley-Äpfel aus der Region rund um das geschichts­trächtige Städtchen Armagh zählen zu den besten und werden zu köstlichen Kuchen oder in Traditions­betrieben wie der Long Meadow Farm zu preisgekrö­ntem Essig oder Cider verarbeite­t. Eine andere kulinarisc­he Spezialitä­t Nordirland­s wird an der Antrim Coast an der Nordostküs­te geerntet : „Handpicked by Stephen“steht auf der Verpackung mit Seegras, in der sich die lilafarben­en, getrocknet­en, salzigen Blätter kräuseln. Die sind nicht jedermanns Sache, aber als Snack eine hervorrage­nde Alternativ­e für alle, die Salziges der Schokolade vorziehen.

Aber halt! Billy sagt, die Iren hätten die heiße Schokolade erfunden. Und Billy muss es wissen. In Belfast zeigt er uns die Schokolade­nmanufaktu­r von Co Couture in 7 Chichester Street, die mit diversen Goldmedail­len glänzt und in deren klitzeklei­nem Kaffeehaus man „a cup of liquid heaven“(@ Billy) verkosten kann. Dazu gibt es hausgemach­te Pralinen oder Cannolis und damit genügend Energie, um sich für das Highlight des Tages zu stärken: das Titanic Belfast.

Das 2012 eröffnete Museum widmet sich der Titanic und steht auf dem Gelände der Werft, wo der 1912 gesunkene Liniendamp­fer gebaut wurde. Nicht das Schicksal der Passagiere, sondern die Entstehung des Schiffes, die sozialen und wirtschaft­lichen Hintergrün­de und die aus dem Unglück gelernten Verbesseru­ngen für die Sicherheit auf See stehen im Fokus der Vermittlun­g, die auch Spaß macht. Wo die Titanic gebaut wurde

 ?? ?? Der Giant’s Causeway liegt an der imposanten Steilküste von Dunseveric­k (li.). Der Garten von Glenarm Castle ist im Sommer öffentlich zugänglich. Im Juli finden hier die „Highland Games“statt. [Paul Lindsay, Arthur Ward]
Der Giant’s Causeway liegt an der imposanten Steilküste von Dunseveric­k (li.). Der Garten von Glenarm Castle ist im Sommer öffentlich zugänglich. Im Juli finden hier die „Highland Games“statt. [Paul Lindsay, Arthur Ward]
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 ?? ?? Im Titanic Belfast wird die Geschichte der Titanic vermittelt. [Rob Durston]
Im Titanic Belfast wird die Geschichte der Titanic vermittelt. [Rob Durston]

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