Im Land der Riesen und flüssigen Sonnenstrahlen
Diese Region ist gut fürs Gemüt: Hier reist man am besten mit Gemach – und Regenschirm. Zu entdecken gibt es schaurige Mythen, essbaren Seetang und das Titanic-Museum.
Es ist ja bekanntlich alles eine Frage der Sichtweise. Und wenn man das Glück hat, mit einem wie Billy als Reiseleiter in Nordirland unterwegs zu sein, dann kann man diesbezüglich einiges lernen. Vorausgesetzt, man spitzt die Ohren, denn der Dialekt, der in dieser Region gesprochen wird, ist zwar charmant, aber gewöhnungsbedürftig. Man nickt also zunächst nur aus Höflichkeit. Aber nach einiger Zeit hat man sich eingehört – und ab dann gibt es viel zu lauschen und zu lachen. Und zu lernen. Denn kaum sind wir ein paar Meter gefahren, schon beginnt es zu tröpfeln. Der leicht mieselsüchtigen Reaktion der Reisegruppe begegnet Billy mit einem spitzbübischen Lächeln und seinem unverkennbaren Singsang: „Rain? That’s no rain! That’s liquid sunshine.“ Der Konflikt auf den Fassaden
Die flüssigen Sonnenstrahlen werden uns auf unserer Reise begleiten – und wir werden in den Himmel schauen und lächeln. Überhaupt ist die Gegend gut fürs Gemüt. Das Grün, die vom Meer gesalzene Luft, die freundlichen Leute, die einen den Kopf schütteln lassen, wie es zum erbitterten Kampf zwischen Protestanten und Katholiken hatte kommen können, der mehr als 3500 Menschen das Leben kostete – und von dem noch heute Dutzende Gemälde zeugen, die in Belfast die Fassaden zieren. Der Konflikt ist seit dem Karfreitagsabkommen 1998 Geschichte. Freilich eine, die das Bild von Nordirland bis heute prägt.
Wer das Land bereist, lernt es von einer ganz anderen Seite kennen. Es sind keine großen Sehenswürdigkeiten, die es zu entdecken gilt, sondern eine naturbelassene Landschaft mit unzähligen Schafen, kleinen Bauernhöfen, die ihre köstlichen Produkte in Cafés an der Straße anbieten, und charmanten alten Häusern und Schlössern, hinter deren dicken Mauern es spukt. Sagt Billy. Der muss es wissen. Während der ganzen Fahrt erzählt er von wilden Gemetzeln an Geliebten und Ehefrauen, alles voll von „splattering blood“. An den Stellen, an denen das Blut spritzt, rollt er die Augen und hat wieder dieses spitzbübische Lächeln, sodass man sich in leiser Erinnerung an William Shakespeare dann doch nicht sicher ist: Hat dieses Drama einst tatsächlich stattgefunden? Oder ist es nur gut erfunden?
Ganz offensichtlich aus dem Reich der Sagen und Mythen lässt Billy am Giant’s Causeway (Damm des Riesen) den jähzornigen Finn McCool auferstehen. Einen Riesen, der von seinem Widersacher auf der anderen Seite der Meerenge zu Schottland, dem nicht minder beeindruckenden Benandonner, derart beleidigt wurde, dass er einen Damm baute, um den Rivalen zum Duell aufzufordern. Finn warf riesige Felsen ins Meer – ein Teil davon ist heute noch zu sehen: 40.000 wabenförmige Basaltsäulen ragen an der idyllischen Steilküste ganz im Norden der Insel wie Trittsteine ins Meer. Ordner sorgen dafür, dass sich niemand auf dem glitschigen Untergrund zu nah an die tosende Brandung wagt. Die Versuchung ist groß: Es ist ein beeindruckender, magischer Ort. Cider und „Butter“aus Äpfeln
Den Whiskey aus der ältesten Whiskey-Destillerie der Welt im nahe gelegenen Bushmills findet man hier überall. Sehr gemütlich ist eine Verkostung auf einer „Causeway Coast Foodie Tour“, die in der winzigen Coleraine Marina bei Portstewart startet.
In einem mit Bänken und Tischen ausgestatteten Kahn gleitet man gemächlich über den River Bann in Richtung Flussmündung und lernt dabei einiges über Fische, Vögel und was man mit Whiskey alles mixen kann. Dazu gibt es eine liebevoll arrangierte Jausenplatte mit regionalen Produkten, zu der statt Chutney oder Senf die aus Bramley-Äpfeln hergestellte „Irish Black Butter“kredenzt wird – eine säuerliche, gewürzte Apfelpaste, die man auch als Brotaufstrich oder zum Backen verwenden kann.
Die Bramley-Äpfel aus der Region rund um das geschichtsträchtige Städtchen Armagh zählen zu den besten und werden zu köstlichen Kuchen oder in Traditionsbetrieben wie der Long Meadow Farm zu preisgekröntem Essig oder Cider verarbeitet. Eine andere kulinarische Spezialität Nordirlands wird an der Antrim Coast an der Nordostküste geerntet : „Handpicked by Stephen“steht auf der Verpackung mit Seegras, in der sich die lilafarbenen, getrockneten, salzigen Blätter kräuseln. Die sind nicht jedermanns Sache, aber als Snack eine hervorragende Alternative für alle, die Salziges der Schokolade vorziehen.
Aber halt! Billy sagt, die Iren hätten die heiße Schokolade erfunden. Und Billy muss es wissen. In Belfast zeigt er uns die Schokoladenmanufaktur von Co Couture in 7 Chichester Street, die mit diversen Goldmedaillen glänzt und in deren klitzekleinem Kaffeehaus man „a cup of liquid heaven“(@ Billy) verkosten kann. Dazu gibt es hausgemachte Pralinen oder Cannolis und damit genügend Energie, um sich für das Highlight des Tages zu stärken: das Titanic Belfast.
Das 2012 eröffnete Museum widmet sich der Titanic und steht auf dem Gelände der Werft, wo der 1912 gesunkene Liniendampfer gebaut wurde. Nicht das Schicksal der Passagiere, sondern die Entstehung des Schiffes, die sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe und die aus dem Unglück gelernten Verbesserungen für die Sicherheit auf See stehen im Fokus der Vermittlung, die auch Spaß macht. Wo die Titanic gebaut wurde