Nie zu spät für die Heldinnenreise
Neu anfangen, arbeiten in der „Pension“? Die Generation Ü50+ und Unternehmen sollten sich damit beschäftigen.
Im Vorjahr feierte Josefine Erhardt ihr zehnjähriges Mitarbeiterinnenjubiläum im Biohotel Stanglwirt. Sie ist dort im Bauernladen der Hoteliersfamilie Hauser tätig. So weit, so wenig überraschend. Nur dass die gebürtige Kitzbühlerin zu diesem Zeitpunkt schon 80 Jahre alt war und nach wie vor arbeitet – jeweils ein paar Tage in der Woche. Ihre Motivation erklärt die rüstige und humorvolle Seniorin pointiert: „Ich mag nicht ruhen. Im Alter muss man sich beschäftigen. Meine Einstellung war immer: Ich darf arbeiten – und nicht, ich muss arbeiten.“
Viele Frauen, die in die Kategorie der Best Ager fallen, also älter als 50 Jahre alt sind, würden den Wunsch nach Veränderung spüren, sagt Carina Felzmann, es aber aus Sicherheitsgründen oder Zweifel über ihre Kompetenzen nicht wagen. Eine Frage, die sie beschäftigte: Geht neu anfangen in dem Alter noch? In ihrer Podcast-Reihe „Nonna“zeigt die 58-Jährige, die selbst auch Großmutter (italienisch „nonna“) ist, dass es geht.
Im Vorjahr ist sie aus ihrer eigenen PR-Agentur ausgestiegen, arbeitet als Consultant, Mental Coach und Mentorin und nutzt die Podcast-Interviews dafür, für sich und ihr Publikum „Inspiration und praktische Tipps für die berufliche Heldinnenreise“zu holen. „Wer weiß, wo mich mein Weg noch hinführt“, sagt sie. „Diese authentischen Geschichten in den Podcasts sollen die Hörerinnen und Hörer im Best-Ager-Alter motivieren, die eigene berufliche Heldinnenreise fortzusetzen oder neu zu starten.“
Denn das Thema sei groß, sagt nicht nur Felzmann. Das zeigen auch die Zahlen der Statistik Austria. Rund 890.000 Frauen sind heute in Österreich im Alter von 50 bis 62 Jahren, rund 171.000 davon bereits in Pension. Demnächst kommen die Babyboomer dazu – also jährlich rund 60.000 Frauen. Schon derzeit fehlen Österreich die älteren Arbeitnehmer: Im EU-Schnitt sind gut 62 Prozent der über 55-Jährigen erwerbstätig, in Österreich nur 56 Prozent der Menschen im Alter von 55 bis 64 Jahren.
„In einer Gesellschaft, in der die Lebenserwartung steigt und die Pensionslücke wächst, wird es immer wichtiger, dass ältere Arbeitnehmer gesund und produktiv dem
Arbeitsmarkt erhalten bleiben“, sagt Felzmann.
Wirtschaft und Gesellschaft sollten ein Interesse daran haben, Frauen möglichst lang im Arbeitsmarkt zu halten: weil sie zum Wirtschaftswachstum beitragen, den Pool an Fachkräften vergrößern, sie mit Erwerbsarbeit ihre eigene finanzielle Unabhängigkeit erhöhen und sich eher vor Altersarmut schützen können – und weil es „hilft, traditionelle Rollenbilder aufzubrechen und Frauen die gleichen Chancen und Möglichkeiten wie Männern zu bieten“. Kostenfaktor oder Potenzial
Einige der Gründe, warum Unternehmen kaum auf Senior Experts greifen, nennt Michael Klemen, Kuratoriumsvorsitzender des Austrian Senior Experts Pool (Asep): „Leider sind viele Firmen zu quartalsund kostengetrieben – oftmals werden daher langjährige Mitarbeiter als Kostenfaktor statt als Erfahrungsträger gesehen. Obwohl ältere Mitarbeiter sehr oft gelassener agieren und auf ein großes Erfahrungspotenzial zurückgreifen können.“Viele Unternehmen hätten sich stark dem Prozessdenken und der -optimierung – „oft auch dem Silodenken“unterworfen und vernachlässigen das breitere Spektrum oder die menschliche Komponente in der Zusammenarbeit. „Erfahrene haben mehr Überblick und praktizieren das so gepriesene Outside-the-Box-Denken.“
Weiters sagt Klemen: „Teuer, alt, ausgedient – das stimmt fast nie: Wenn eine Firma langjährig angesammeltes Branchen- und FachKnow-how richtig nutzt, wird es ganz rasch zu preiswert, agil und nahezu unersetzbar.“
Strukturell müsse, sagt Klemen, das wahre Pensionsantrittsalter angehoben werden. „Dann gibt es weniger ,Senioren‘.“Daneben müssen die Zusatzverdienstmöglichkeiten, das Steuer- und Sozialversicherungssystem neu geregelt werden. Warum müssen arbeitende Senioren zweimal Krankenkassenbeiträge entrichten, obwohl sie „nur einmal krank“sein können, fragt er. Warum gebe es keine steuerlichen Anreize für Senior-Experten und Firmen wie etwa Pauschalregelung. Außerdem brauche es Modelle für Shared Work oder für Aushilfstätigkeiten für bestimmte Zeiträume. „Da gibt es sicher Spielräume und nicht nur Taubenfüttern als Alternative für uns ,Alte‘.“
Josefin Erhardt mag die Ausnahme sein, sie ist aber auch kein Einzelfall. Eva Ingeborg Wazda lebte 40 Jahre in Kanada und war dort unter anderem als Reiseleiterin und als Journalistin für die größte deutschsprachige Zeitung, Kanada Kurier, tätig. Heute betreibt die 83-Jährige eine Boutique in Baden. Gegründet hat sie – vor rund vier Jahren.
‘‘ In einer Gesellschaft, in der die Lebenserwartung steigt und die Pensionslücke wächst, wird es immer wichtiger, dass ältere Arbeitnehmer gesund und produktiv dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben. Carina Felzmann Podcasterin, Consultant, Coach ‘‘ Teuer, alt, ausgedient – das stimmt fast nie: Wenn eine Firma langjährig angesammeltes Branchen- und FachKnow-how richtig nutzt, wird es ganz rasch zu preiswert, agil und nahezu unersetzbar. Michael Klemen Austrian Senior Experts Pool