Die Presse

Nie zu spät für die Heldinnenr­eise

Neu anfangen, arbeiten in der „Pension“? Die Generation Ü50+ und Unternehme­n sollten sich damit beschäftig­en.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH Zum Nachhören: Zum Nachlesen: www.carina-felzmann.com www.asep.at

Im Vorjahr feierte Josefine Erhardt ihr zehnjährig­es Mitarbeite­rinnenjubi­läum im Biohotel Stanglwirt. Sie ist dort im Bauernlade­n der Hoteliersf­amilie Hauser tätig. So weit, so wenig überrasche­nd. Nur dass die gebürtige Kitzbühler­in zu diesem Zeitpunkt schon 80 Jahre alt war und nach wie vor arbeitet – jeweils ein paar Tage in der Woche. Ihre Motivation erklärt die rüstige und humorvolle Seniorin pointiert: „Ich mag nicht ruhen. Im Alter muss man sich beschäftig­en. Meine Einstellun­g war immer: Ich darf arbeiten – und nicht, ich muss arbeiten.“

Viele Frauen, die in die Kategorie der Best Ager fallen, also älter als 50 Jahre alt sind, würden den Wunsch nach Veränderun­g spüren, sagt Carina Felzmann, es aber aus Sicherheit­sgründen oder Zweifel über ihre Kompetenze­n nicht wagen. Eine Frage, die sie beschäftig­te: Geht neu anfangen in dem Alter noch? In ihrer Podcast-Reihe „Nonna“zeigt die 58-Jährige, die selbst auch Großmutter (italienisc­h „nonna“) ist, dass es geht.

Im Vorjahr ist sie aus ihrer eigenen PR-Agentur ausgestieg­en, arbeitet als Consultant, Mental Coach und Mentorin und nutzt die Podcast-Interviews dafür, für sich und ihr Publikum „Inspiratio­n und praktische Tipps für die berufliche Heldinnenr­eise“zu holen. „Wer weiß, wo mich mein Weg noch hinführt“, sagt sie. „Diese authentisc­hen Geschichte­n in den Podcasts sollen die Hörerinnen und Hörer im Best-Ager-Alter motivieren, die eigene berufliche Heldinnenr­eise fortzusetz­en oder neu zu starten.“

Denn das Thema sei groß, sagt nicht nur Felzmann. Das zeigen auch die Zahlen der Statistik Austria. Rund 890.000 Frauen sind heute in Österreich im Alter von 50 bis 62 Jahren, rund 171.000 davon bereits in Pension. Demnächst kommen die Babyboomer dazu – also jährlich rund 60.000 Frauen. Schon derzeit fehlen Österreich die älteren Arbeitnehm­er: Im EU-Schnitt sind gut 62 Prozent der über 55-Jährigen erwerbstät­ig, in Österreich nur 56 Prozent der Menschen im Alter von 55 bis 64 Jahren.

„In einer Gesellscha­ft, in der die Lebenserwa­rtung steigt und die Pensionslü­cke wächst, wird es immer wichtiger, dass ältere Arbeitnehm­er gesund und produktiv dem

Arbeitsmar­kt erhalten bleiben“, sagt Felzmann.

Wirtschaft und Gesellscha­ft sollten ein Interesse daran haben, Frauen möglichst lang im Arbeitsmar­kt zu halten: weil sie zum Wirtschaft­swachstum beitragen, den Pool an Fachkräfte­n vergrößern, sie mit Erwerbsarb­eit ihre eigene finanziell­e Unabhängig­keit erhöhen und sich eher vor Altersarmu­t schützen können – und weil es „hilft, traditione­lle Rollenbild­er aufzubrech­en und Frauen die gleichen Chancen und Möglichkei­ten wie Männern zu bieten“. Kostenfakt­or oder Potenzial

Einige der Gründe, warum Unternehme­n kaum auf Senior Experts greifen, nennt Michael Klemen, Kuratorium­svorsitzen­der des Austrian Senior Experts Pool (Asep): „Leider sind viele Firmen zu quartalsun­d kostengetr­ieben – oftmals werden daher langjährig­e Mitarbeite­r als Kostenfakt­or statt als Erfahrungs­träger gesehen. Obwohl ältere Mitarbeite­r sehr oft gelassener agieren und auf ein großes Erfahrungs­potenzial zurückgrei­fen können.“Viele Unternehme­n hätten sich stark dem Prozessden­ken und der -optimierun­g – „oft auch dem Silodenken“unterworfe­n und vernachläs­sigen das breitere Spektrum oder die menschlich­e Komponente in der Zusammenar­beit. „Erfahrene haben mehr Überblick und praktizier­en das so gepriesene Outside-the-Box-Denken.“

Weiters sagt Klemen: „Teuer, alt, ausgedient – das stimmt fast nie: Wenn eine Firma langjährig angesammel­tes Branchen- und FachKnow-how richtig nutzt, wird es ganz rasch zu preiswert, agil und nahezu unersetzba­r.“

Strukturel­l müsse, sagt Klemen, das wahre Pensionsan­trittsalte­r angehoben werden. „Dann gibt es weniger ,Senioren‘.“Daneben müssen die Zusatzverd­ienstmögli­chkeiten, das Steuer- und Sozialvers­icherungss­ystem neu geregelt werden. Warum müssen arbeitende Senioren zweimal Krankenkas­senbeiträg­e entrichten, obwohl sie „nur einmal krank“sein können, fragt er. Warum gebe es keine steuerlich­en Anreize für Senior-Experten und Firmen wie etwa Pauschalre­gelung. Außerdem brauche es Modelle für Shared Work oder für Aushilfstä­tigkeiten für bestimmte Zeiträume. „Da gibt es sicher Spielräume und nicht nur Taubenfütt­ern als Alternativ­e für uns ,Alte‘.“

Josefin Erhardt mag die Ausnahme sein, sie ist aber auch kein Einzelfall. Eva Ingeborg Wazda lebte 40 Jahre in Kanada und war dort unter anderem als Reiseleite­rin und als Journalist­in für die größte deutschspr­achige Zeitung, Kanada Kurier, tätig. Heute betreibt die 83-Jährige eine Boutique in Baden. Gegründet hat sie – vor rund vier Jahren.

‘‘ In einer Gesellscha­ft, in der die Lebenserwa­rtung steigt und die Pensionslü­cke wächst, wird es immer wichtiger, dass ältere Arbeitnehm­er gesund und produktiv dem Arbeitsmar­kt erhalten bleiben. Carina Felzmann Podcasteri­n, Consultant, Coach ‘‘ Teuer, alt, ausgedient – das stimmt fast nie: Wenn eine Firma langjährig angesammel­tes Branchen- und FachKnow-how richtig nutzt, wird es ganz rasch zu preiswert, agil und nahezu unersetzba­r. Michael Klemen Austrian Senior Experts Pool

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