Netanjahus Streit mit den USA isoliert Israel im Nahen Osten
Ein dauerhaftes US-israelisches Zerwürfnis kann die Annäherung Israels an arabische Nachbarn bremsen.
Der offene Streit zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten, Benjamin Netanjahu, und den USA wegen des Gaza-Kriegs isoliert Israel im Nahen Osten – und könnte die Annäherung von Israel und seinen arabischen Nachbarn bremsen. Netanjahus Nein zu einer Feuerpause, das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza und das Zerwürfnis mit der amerikanischen Regierung könnten arabische Regierungen nach Einschätzung von Experten dazu bringen, ihr Verhältnis zu Israel grundsätzlich zu überdenken.
Die Regierungen führender arabischer Staaten wie Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) vermeiden trotz der vielen Toten in Gaza und der öffentlichen Kritik an Israel in ihren Ländern bisher alles, was die Beziehungen zu Israel dauerhaft beschädigen könnte. Saudis und Emiratis haben konkrete Sanktionen der Arabischen Liga und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit gegen Israel verhindert. Gegner Israels wie der Iran konnten sich nicht mit der Forderung durchsetzen, die Botschafter islamischer Staaten aus Israel abzuziehen. Ägypten, Bahrain, Jordanien, Marokko, die Türkei und die VAE bleiben bei ihrer Anerkennung Israels und treiben weiter Handel mit dem jüdischen Staat.
Keine Kürzungen der Waffenexporte
Mit ihrer Annäherung an Israel folgen die arabischen Staaten einer Initiative der USA, ihrem wichtigsten wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Partner im Westen, der zugleich der engste Verbündete von Israel ist. Ein dauerhaftes Zerwürfnis zwischen Amerika und Israel würde dieser Politik die Grundlage entziehen. „Ernsthafte Differenzen zwischen den USA und Israel könnten arabische Staaten mit Beziehungen zu Israel dazu bringen, diese Beziehungen abzubrechen“, sagte der Nahost-Experte Omar Rahman von der Denkfabrik Middle East Council in Katar der „Presse“.
So weit ist es noch nicht. Viele Araber betrachteten die amerikanisch-israelischen Spannungen nicht als tiefgreifendes Zerwürfnis, wie Joe Macaron von der USDenkfabrik Wilson Center sagt. Zwar sei Netanjahu weitgehend isoliert. Konkret habe Washington aber bisher wenig gegen Israel unternommen. So gebe es keine Kürzungen der US-Waffenexporte. Zudem sei es nicht das erste Mal, dass sich Netanjahu mit einer US-Regierung anlege.
Nahost-Experte Rahman weist zudem darauf hin, dass die USA vor allem aus innenpolitischen Gründen im UN-Sicherheitsrat eine Resolution mit der Forderung nach einer Gaza-Feuerpause passieren ließen. Netanjahus Krieg sei für US-Präsident Joe Biden vor den Wahlen im November zu einem „Albtraum“geworden. Auch er sieht bisher keine handfesten Änderungen der amerikanischen Israel-Politik.
Allerdings könnten schon kleinere Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und Israel zu Veränderungen in der arabischen Haltung führen, fügte Rahman hinzu, denn: „Die israelisch-arabischen Beziehungen laufen größtenteils über Washington.“Wenn das Verhältnis der USA zu Israel nachhaltig gestört werden sollte, dürften arabische Staaten neu über ihre Beziehungen zum jüdischen Staat nachdenken: Verschiebungen der amerikanisch-israelischen Achse könnten Konsequenzen für Israel in der Region haben.
Sündenbock Joe Biden
Netanjahu sägt nach Einschätzung seiner Kritiker absichtlich an dieser Achse. Biden solle zum Sündenbock dafür gemacht werden, dass Netanjahu sein Kriegsziel eines „totalen Siegs“über die Hamas nicht erreichen könne, schrieb der frühere israelische Diplomat Alon Pinkas in der britischen Zeitung „Guardian“. Netanjahu habe seinen Streit mit den USA so weit getrieben, dass Washington inzwischen Israels Wert als Partner infrage stelle.
Der israelisch-amerikanische Streit berührt auch die von Katar und Ägypten vermittelten Verhandlungen über eine Feuerpause für Gaza. Netanjahu beschuldigte die USA, mit ihrem Verhalten im UN-Sicherheitsrat die Hamas zu einer kompromisslosen Haltung ermuntert zu haben. Washington wies das zurück und warf der israelischen Regierung vor, Falschnachrichten zu verbreiten. Netanjahus Zwist mit dem Weißen Haus wird in der arabischen Welt aufmerksam beobachtet. Bisher habe sich Israel auf den politischen Schutzschirm der USA verlassen können, kommentierte die Zeitung „The National“in den VAE. Doch mit der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat sei in den israelisch-amerikanischen Beziehungen wohl der Rubikon überschritten worden.