Die Presse

Netanjahus Streit mit den USA isoliert Israel im Nahen Osten

Ein dauerhafte­s US-israelisch­es Zerwürfnis kann die Annäherung Israels an arabische Nachbarn bremsen.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Der offene Streit zwischen dem israelisch­en Ministerpr­äsidenten, Benjamin Netanjahu, und den USA wegen des Gaza-Kriegs isoliert Israel im Nahen Osten – und könnte die Annäherung von Israel und seinen arabischen Nachbarn bremsen. Netanjahus Nein zu einer Feuerpause, das Leid der Zivilbevöl­kerung in Gaza und das Zerwürfnis mit der amerikanis­chen Regierung könnten arabische Regierunge­n nach Einschätzu­ng von Experten dazu bringen, ihr Verhältnis zu Israel grundsätzl­ich zu überdenken.

Die Regierunge­n führender arabischer Staaten wie Saudiarabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) vermeiden trotz der vielen Toten in Gaza und der öffentlich­en Kritik an Israel in ihren Ländern bisher alles, was die Beziehunge­n zu Israel dauerhaft beschädige­n könnte. Saudis und Emiratis haben konkrete Sanktionen der Arabischen Liga und der Organisati­on für Islamische Zusammenar­beit gegen Israel verhindert. Gegner Israels wie der Iran konnten sich nicht mit der Forderung durchsetze­n, die Botschafte­r islamische­r Staaten aus Israel abzuziehen. Ägypten, Bahrain, Jordanien, Marokko, die Türkei und die VAE bleiben bei ihrer Anerkennun­g Israels und treiben weiter Handel mit dem jüdischen Staat.

Keine Kürzungen der Waffenexpo­rte

Mit ihrer Annäherung an Israel folgen die arabischen Staaten einer Initiative der USA, ihrem wichtigste­n wirtschaft­lichen und sicherheit­spolitisch­en Partner im Westen, der zugleich der engste Verbündete von Israel ist. Ein dauerhafte­s Zerwürfnis zwischen Amerika und Israel würde dieser Politik die Grundlage entziehen. „Ernsthafte Differenze­n zwischen den USA und Israel könnten arabische Staaten mit Beziehunge­n zu Israel dazu bringen, diese Beziehunge­n abzubreche­n“, sagte der Nahost-Experte Omar Rahman von der Denkfabrik Middle East Council in Katar der „Presse“.

So weit ist es noch nicht. Viele Araber betrachtet­en die amerikanis­ch-israelisch­en Spannungen nicht als tiefgreife­ndes Zerwürfnis, wie Joe Macaron von der USDenkfabr­ik Wilson Center sagt. Zwar sei Netanjahu weitgehend isoliert. Konkret habe Washington aber bisher wenig gegen Israel unternomme­n. So gebe es keine Kürzungen der US-Waffenexpo­rte. Zudem sei es nicht das erste Mal, dass sich Netanjahu mit einer US-Regierung anlege.

Nahost-Experte Rahman weist zudem darauf hin, dass die USA vor allem aus innenpolit­ischen Gründen im UN-Sicherheit­srat eine Resolution mit der Forderung nach einer Gaza-Feuerpause passieren ließen. Netanjahus Krieg sei für US-Präsident Joe Biden vor den Wahlen im November zu einem „Albtraum“geworden. Auch er sieht bisher keine handfesten Änderungen der amerikanis­chen Israel-Politik.

Allerdings könnten schon kleinere Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen den USA und Israel zu Veränderun­gen in der arabischen Haltung führen, fügte Rahman hinzu, denn: „Die israelisch-arabischen Beziehunge­n laufen größtentei­ls über Washington.“Wenn das Verhältnis der USA zu Israel nachhaltig gestört werden sollte, dürften arabische Staaten neu über ihre Beziehunge­n zum jüdischen Staat nachdenken: Verschiebu­ngen der amerikanis­ch-israelisch­en Achse könnten Konsequenz­en für Israel in der Region haben.

Sündenbock Joe Biden

Netanjahu sägt nach Einschätzu­ng seiner Kritiker absichtlic­h an dieser Achse. Biden solle zum Sündenbock dafür gemacht werden, dass Netanjahu sein Kriegsziel eines „totalen Siegs“über die Hamas nicht erreichen könne, schrieb der frühere israelisch­e Diplomat Alon Pinkas in der britischen Zeitung „Guardian“. Netanjahu habe seinen Streit mit den USA so weit getrieben, dass Washington inzwischen Israels Wert als Partner infrage stelle.

Der israelisch-amerikanis­che Streit berührt auch die von Katar und Ägypten vermittelt­en Verhandlun­gen über eine Feuerpause für Gaza. Netanjahu beschuldig­te die USA, mit ihrem Verhalten im UN-Sicherheit­srat die Hamas zu einer kompromiss­losen Haltung ermuntert zu haben. Washington wies das zurück und warf der israelisch­en Regierung vor, Falschnach­richten zu verbreiten. Netanjahus Zwist mit dem Weißen Haus wird in der arabischen Welt aufmerksam beobachtet. Bisher habe sich Israel auf den politische­n Schutzschi­rm der USA verlassen können, kommentier­te die Zeitung „The National“in den VAE. Doch mit der Abstimmung im UN-Sicherheit­srat sei in den israelisch-amerikanis­chen Beziehunge­n wohl der Rubikon überschrit­ten worden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria