Die Presse

Wie der IS mit Erfolg in Zentralasi­en rekrutiert

Die Spur des Attentats in Moskau führt nach Tadschikis­tan, wo der Islamische Staat Kämpfer anwirbt. Sein alter Feind, die islamistis­chen Taliban in Afghanista­n, wollen sich nun als Verbündete im „Krieg gegen den Terror“präsentier­en.

- Von unserem Mitarbeite­r EMRAN FEROZ

Der Anschlag auf die „Crocus City Hall“bei Moskau zieht Kreise bis Zentralasi­en. Die Polizei in Tadschikis­tan verhaftete mehrere Personen, die laut Behörden mit den Attentäter­n in Verbindung stehen sollen. Bei dem Terrorangr­iff in Moskau vor mehr als einer Woche starben rund 140 Menschen. Bekannt dazu hat sich der IS-Ableger Islamische­r Staat Provinz Khorasan (ISPK). Er entstand unabhängig von seinem „großen Bruder“in Irak und Syrien (IS) um das Jahr 2016. Zu den ersten ISPK-Führern, die dem damaligen IS-„Kalifen“Abu Bakr al-Baghdadi die Treue schworen, gehörten einstige Mitglieder der afghanisch­en Taliban. Dazu kamen frühere Mitglieder der pakistanis­chen Taliban. Mit dem Namen Khorasan bezieht sich der IS-Ableger auf die historisch­e Bezeichnun­g der Region, die weite Teile des heutigen Zentralund Südasiens umfasst.

Unter die ISPK-Terroriste­n in Afghanista­n haben sich auch Extremiste­n aus den postsowjet­ischen Staaten in der Region gemischt, meist aus Usbekistan oder Tadschikis­tan. Die Tatverdäch­tigen des Anschlags in Moskau sollen Tadschiken sein. Auch die Taliban in Afghanista­n sprechen von ISPK-Mitglieder­n mit Wurzeln im Nachbarlan­d. Die Taliban kämpfen ihren eigenen „War on Terror“. Zuletzt gab es auch in Kandahar in Südafghani­stan einen Anschlag.

Religionsf­eindliche Politik

Schon 2015 wurde klar, dass der IS erfolgreic­h in Zentralasi­en rekrutiert. Damals schloss sich Gulmurod Khalimov, Chef einer tadschikis­chen Eliteeinhe­it, die für Antiterror­einsätze von den USA und Russland ausgebilde­t worden war, dem IS in Irak und Syrien an. In einem Propaganda­video machte er dafür die „antiislami­sche Politik“seiner Regierung verantwort­lich. Bei der Regierung in Tadschikis­tan handelt es sich de facto um eine Familiendi­ktatur rund um den Präsidente­n Emomali Rahmon, der seit nun drei Jahrzehnte­n das Land als „Führer der Nation“beherrscht.

Das Rahmon-Regime ist für seine religionsf­eindliche Politik bekannt. Während die Familie sich an der Staatskass­e bediente, wurden

Moscheen in Nachtclubs verwandelt, Kritiker und Dissidente­n verjagt, eingesperr­t oder ermordet. Die Bevölkerun­g verarmte. Das gab nicht nur dem militant-islamistis­chen Extremismu­s Aufschwung, sondern sorgte auch für Massenemig­ration. Millionen Tadschiken leben als marginalis­ierte Arbeitsmig­ranten in Russland am Rande der Gesellscha­ft. Ein weiterer Punkt, der den Rattenfäng­ern des IS gelegen kommt. Dass Russland, wie in anderen postsowjet­ischen Staaten, zu den größten Unterstütz­ern des tadschikis­chen Regimes gehört, macht die ideologisc­he Gehirnwäsc­he umso einfacher.

„Ihre größte Sorge war stets der Aufstieg des ISPK. Alles andere hat

sie nicht interessie­rt“, meint ein Beamter des Taliban-Außenminis­teriums in Kabul, der anonym bleiben will. Er berichtet von mehreren Treffen mit russischen Vertretern in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul sowie im Ausland. Im Fokus der Russen sei dabei meist der ISPK und dessen wachsender Einfluss in Zentralasi­en gewesen. Ironischer­weise waren es nun die Taliban, die sich als große Antiterror­kämpfer präsentier­ten. „Dabei instrument­alisieren sie den Kampf gegen den ISPK, um gegen alle möglichen Feinde und Kritiker brutal vorzugehen“, erzählt ihr Beamter.

Das „globale Kalifat“

Dabei könnte sich der „Blowback“wiederhole­n, den die USA und ihre Verbündete­n im Laufe ihres zwanzigjäh­rigen Einsatzes erlebten. Denn nur allzu oft wurden anstelle der Taliban Menschen gejagt und getötet, die nichts mit Extremismu­s zu tun hatten. Die Folge war die Radikalisi­erung ganzer Landstrich­e, von der die Taliban profitiert­en. Doch heute befinden sich die Taliban auf der anderen Seite des „Antiterror“-Schlachtfe­ldes, wo sie

bald womöglich nicht nur von Russland, sondern auch von anderen Staaten unterstütz­t werden.

Bereits in der Anfangszei­t des ISPK wurde deutlich, dass die Taliban zu seinen größten Feinden gehören. Der Grund sind unterschie­dliche Ideologien sowie Herrschaft­sansprüche. Bis zu ihrer Rückkehr nach Kabul im August 2021 betrachtet­en sich die Taliban als islamistis­che Traditiona­listen der sunnitisch-hanafitisc­hen Rechtsschu­le. Ihr Fokus lag auf der Wiedererri­chtung ihres „Emirats“innerhalb der afghanisch­en Grenzen, wie es bis Ende 2001 existiert hatte. Die salafistis­chen Jihadisten des Islamische­n Staates (IS) hingegen streben nach einem globalen „Kalifat“, das jegliche Grenzen, die einst meist von westlichen Kolonialis­ten gezogen wurden, sprengen soll. Etwas, das sie in Irak und Syrien – vorübergeh­end – verwirklic­ht hatten.

Im Gegensatz dazu gelang es dem ISPK kaum, weitreiche­nde Territorie­n in Afghanista­n zu besetzen. Ausgenomme­n davon waren nur einige Regionen in den Provinzen Nangarhar, wo die USA 2017 eine „Mutter aller Bomben“(MOAB), ihre stärkste konvention­elle Bombe, auf angebliche IS-Kämpfer abwarfen. Und Kunar, wo es unter der dort ansässigen salafistis­chen Minderheit schon früh ISPK-Sympathisa­nten gab.

Versklavun­g und willkürlic­her Massenmord im Stile des IS wurden auch von vielen Taliban-Führern kritisiert. Die Unterschie­de zwischen den beiden Gruppierun­gen führten regelmäßig zu blutigen Auseinande­rsetzungen.

Ein Beispiel dafür ist etwa die Tötung des IS-Vizegouver­neurs Abdul Rauf Khadim. Mit sechs weiteren Personen wurde er 2016 durch einen US-Drohnenang­riff getötet. Khadim hatte einst den Taliban angehört und war Häftling in Guantanamo gewesen. Im US-Gefangenen­lager fand er durch arabische Mithäftlin­ge zum Salafismus und radikalisi­erte sich weiter. Nach seiner Freilassun­g und Rückkehr nach Afghanista­n wurde er den Taliban ein Dorn im Auge und wandte sich von ihnen ab. Bis heute gibt es Gerüchte, dass die Taliban die Koordinate­n Khadims den USA weiterreic­hten, um ihn aus dem Weg zu räumen. Zu ähnlichen „Kooperatio­nen“zwischen den Taliban und den USA soll es immer wieder gekommen sein. 2020 berichtete die „Washington Post“unter dem Titel „Unsere geheime Taliban-Luftwaffe“von Anti-IS-Operatione­n in Kunar, bei denen US-Luftangrif­fe Taliban-Kämpfer am Boden unterstütz­t haben sollen.

Die Taliban gelten als Verräter

Spätestens seit dem Doha-Deal, der im Februar 2020 zwischen den Taliban und den USA in Katar unterzeich­net wurde, gelten die Taliban für den ISPK endgültig als Verräter. Daneben bekämpfte der ISPK auch noch die vom Westen unterstütz­te afghanisch­e Regierung, die 2021 von den Taliban von der Macht verdrängt wurde. Dieser Regierung war allerdings ein ambivalent­es Verhältnis zum ISPK nachgesagt worden. Unter den Extremiste­n befanden sich nämlich wohl nicht nur Ex-Taliban-Mitglieder, sondern auch Männer, die dem Kabuler Sicherheit­sapparat nahestande­n. Die meisten IS-Anschläge in Afghanista­n trafen Zivilisten, darunter etwa Mitglieder religiöser Minderheit­en wie Sikhs und vor allem schiitisch­e Muslime.

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[APA / Comyan / Ghulamulla­h Habibi] Einer der IS-Führer in der afghanisch­en Provinz Kunar, die sich von den Taliban losgesagt haben.

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