Kurz-Prozess: Kommen neue Regeln für Richter?
Sebastian Kurz wurde von einem Richter verurteilt, der während des Prozesses eine Disziplinarstrafe erhielt. Strafrechtler Hubert Hinterhofer schlägt eine Gesetzesreform vor.
Drei Tage nachdem Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen falscher Beweisaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss erstinstanzlich zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt worden war, herrschte helle Aufregung: Es wurde bekannt, dass der Richter, Michael Radasztics vom Straflandesgericht Wien, während des laufenden Prozesses zu einer Disziplinarstrafe verurteilt worden war. Laut Gesetz ist es nicht verboten, dass ein Richter, gegen den ein Disziplinarverfahren läuft, ein Straf- oder ein Zivilverfahren führt. Doch diese Regelung solle geändert worden, schlägt Strafrechtsprofessor Hubert Hinterhofer von der Paris-Lodron-Universität Salzburg vor.
Hinterhofer spricht sich anlässlich des Kurz-Verfahrens „jedenfalls für eine Neuregelung“aus. Und zwar analog zu einer geltenden Bestimmung des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes. Ebendort regelt Paragraf 115, dass ein Richter nicht in einem Disziplinarverfahren fungieren darf, wenn er selbst gerade Beschuldigter in einem Disziplinarverfahren ist. Oder wenn noch eine Disziplinarstrafe offen ist. Einfacher gesagt : Wer selbst gerade ein „Diszi“laufen hat, soll nicht als Disziplinarrichter über andere urteilen. Laut Hinterhofer sollte dieses Prinzip nicht nur für Richter gelten, die ein Disziplinarverfahren führen. Sondern auch für jene, die ein Straf- oder Zivilverfahren führen.
Hinterhofer: „In Zukunft sollte ausgeschlossen werden, dass jemand als Richter ein Straf- oder Zivilverfahren führen darf, gegen den aktuell ein Disziplinarverfahren anhängig ist oder der eine Disziplinarstrafe zu verbüßen hat. Damit würde man solche für einen Rechtsstaat nicht gerade förderlichen Konfliktsituationen, wie sie im Kurz-Verfahren aufgetreten sind, von vornherein vermeiden.“
„Andere Ebene“
Dieser Vorstoß bleibt nicht unwidersprochen. Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer von der Linzer Kepler-Uni meint, die Analogie zu der für das Disziplinarverfahren geltenden Regelung gehe fehl. Ein Verfahren wegen disziplinärer Probleme spiele sich auf einer anderen Ebene als ein Strafverfahren ab. Laut Birklbauer hätte der Richter
aber offen ansprechen sollen, dass gegen ihn ein Disziplinarverfahren läuft.
Indessen ergänzt Hinterhofer, sein Vorschlag vermeide Konfliktsituationen „unabhängig von allfällig vorliegender strafprozessualer Befangenheit“. Zur Erklärung: Am Anfang des Kurz-Prozesses hatte Verteidiger Otto Dietrich den Richter wegen des Anscheins der Befangenheit per Antrag abgelehnt. Dietrich hielt Radasztics vor, dieser habe in seiner Zeit als Staatsanwalt „Kontakt“mit dem vormaligen
Grün-Abgeordneten Peter Pilz und damit mit einem politischen Gegner von Kurz gehabt.
Das war auch so. In der Causa Eurofighter hatte Radasztics den Grünen-Politiker mehrfach als Zeugen einvernommen. Dennoch: Radasztics schmetterte den gegen ihn selbst gestellten Ablehnungsantrag ab. Grund: Von einer (anscheinenden) Befangenheit könne keine Rede sein.
Als die Inhalte des gegen den Richter gerichteten Disziplinarverfahrens publik wurden, stellte sich heraus, dass die Disziplinarstrafe – eine (bereits bezahlte) Geldstrafe in der Höhe eines halben Monatsgehalts – unter anderem deshalb ergangen war, weil Radasztics sorgfaltswidrig dem Abgeordneten Peter Pilz die Existenz einer im Eurofighter-Verfahren ergangenen Weisung verraten hatte. Es liegt auf der Hand, dass die Verteidigung diesen brisanten Inhalt des Disziplinarverfahrens per Berufung gegen das Kurz-Urteil vorbringen wird. Wenn dieses Rechtsmittel erfolgreich ist, dann ist mit einer Wiederholung des Falschaussage-Prozesses zu rechnen.
Wie schlägt sich ein laufendes Disziplinarverfahren auf die Ernennung eines Richters nieder? Auch diese Frage stellt sich. Denn im gegenständlichen Fall hatte sich der spätere Kurz-Richter nur rund zehn Monate vor Start des Prozesses an das Straflandesgericht Wien beworben (davor war er ja Staatsanwalt). Bei Ernennung war das Disziplinarverfahren bereits anhängig. Hätte sich Justizministerin Alma Zadić (Grüne) weigern müssen, das Ernennungsdekret zu unterschreiben? Dazu heißt es aus dem Ministerium auf „Presse“-Anfrage: „Die Ernennung von Richtern erfolgt über Vorschlag von unabhängigen Personalsenaten. Im konkreten Fall erfolgte die Ernennung entsprechend den übereinstimmenden Vorschlägen der beiden befassten Personalsenate. Diese agieren unabhängig und weisungsfrei und hatten die angefragte Person jeweils als Ersten gereiht.“
Aktuell kein Hindernis
Rein rechtlich war also alles in Ordnung, optisch vielleicht weniger. Hinterhofer – er hatte 2021 in einem von ÖVP-Parteianwalt Werner Suppan in Auftrag gegebenen Gutachten Kritik an der WKStA geübt (diese Behörde vertrat im KurzProzess die Anklage) – ist in diesem Punkt zurückhaltend. Denn: „Man kann nicht jemandem wegen jedweden Disziplinarvergehens ein lebenslanges Berufsverbot erteilen.“
Derzeit ist allerdings nicht einmal eine schwere Disziplinarstrafe, zum Beispiel eine Entlassung oder eine höchstmögliche Geldstrafe, ein dezidiertes Hindernis für eine Ernennung zum Richter. Mehr noch: Selbst nach einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe wegen eines Vorsatzdelikts könnte man sich gemäß geltendem Recht als Richter bewerben. Dasselbe gilt, wenn gegen den Bewerber ein Strafverfahren wegen eines Delikts anhängig ist, auf das nicht mehr als drei Jahre Haft stehen.
Die aktuell sehr toleranten Spielregeln sieht Hinterhofer mit einiger Skepsis: „Freilich kann man darüber nachdenken, eine Bewerbung auf eine Richterplanstelle in Hinkunft per Gesetz so lang auszuschließen, als ein Straf- oder Disziplinarverfahren gegen den Bewerber läuft.“