Jugendstraftäter: Wohnen statt Haft?
Welche Maßnahmen wirken gegen Jugendkriminalität? Die zuständige Fachgruppe der Richtervereinigung verweist auf das Schweizer Wohngruppenmodell.
Schlagzeilenträchtige Straftaten, begangen von Jugendbanden oder Jugendgruppen, befeuern derzeit die Debatte um ein Absenken des Strafmündigkeitsalters. Jugendliche können ab 14 Jahren vor einem Strafgericht landen. Künftig könnte diese Grenze bei zwölf Jahren liegen. Dies hat die ÖVP ins Gespräch gebracht. Der Vorsitzende der Fachgruppe Jugendstrafrecht der Richtervereinigung, Daniel Schmitzberger, hält nichts von einer Herabsetzung der Strafmündigkeit: „Dass das Gefängnis irgendjemanden oder irgendetwas besser macht, ist eine Illusion.“
Schmitzberger, selbst Jugendrichter im Straflandesgericht Wien, macht darauf aufmerksam, dass die Zahl der in der Kriminalstatistik aufscheinenden Anzeigen insgesamt steige – dies sei aber in Relation zu der steigenden Bevölkerungszahl zu setzen. So ist in Wien allein der Anteil der Zehn- bis 13Jährigen von 62.854 im Jahr 2013 auf 74.303 im Jahr 2023 gestiegen.
Teure Handys
Auch die erhöhte Sensibilisierung in Schulen oder der vermehrte Besitz wertvoller Mobiltelefone sorgen für ein Anzeigenplus. Letzteres deshalb, weil Versicherungen nur zahlen, wenn Handy-Diebstähle oder Beschädigungen auch der Polizei angezeigt werden. Dazu kommt, dass viele Taten gefilmt werden, was die Beweisbarkeit steigert und eher zur Anzeige führt. Aber welche Sanktionen könnte es
für Täter unter 14 Jahren geben? Schmitzberger: „Konsequenzen für Kinder, die zu Tätern werden, kann und muss es außerhalb des Strafrechts geben. Dafür ist die Kinderund Jugendhilfe entsprechend finanziell und personell auszustatten. Auch um zu verhindern, dass Kinder überhaupt erst zu Tätern werden.“Das Problem: „Die Kinderund Jugendpsychiatrie ist stark unterfinanziert.“
Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe schreite bei jungen Personen „im Rahmen einer Gefährdungsabklärung“ein, „egal, ob bei über oder unter 14-Jährigen“, heißt es auf Anfrage. Hilfestellung erhalten die jungen Leute etwa durch ein Schulkooperationsteam, durch Antigewalttrainings, erlebnispädagogische oder psychotherapeutische Maßnahmen.
Doch würde ein Senken des Strafmündigkeitsalters nicht auch
dem Schutz der Gesellschaft vor Gewalttätern dienen? Schmitzberger: „Dann hat man den verurteilten Jugendlichen kurz von der Straße weg. Aber in Wahrheit verlagert man das Problem nach hinten. Und aufgrund mangelnder Betreuungsmaßnahmen in den Gefängnissen ist vielleicht dieses Problem nach Verbüßen der Haft ärger als vorher.“Generell gelte: „Gefängnisstrafen sollten nicht am Anfang, sondern am Ende stehen.“
Ab zehn Jahren strafmündig
Dem „Schweizer Modell“(Stichwort: Wohngruppen) kann Schmitzberger einiges abgewinnen. Bei den Eidgenossen ist man zwar schon ab dem zehnten Lebensjahr strafmündig, allerdings können Jugendliche erst ab 15 Jahren eine Gefängnisstrafe bekommen. Im Zentrum steht die Prävention. Als Sanktionen kommen Strafen
und sogenannte Schutzmaßnahmen infrage.
Der Strafkatalog für Zehn- bis 18-Jährige unterscheidet sich deutlich von dem in Österreich: Möglich sind ein Verweis (eine Art Gelbe Karte), das Erbringen einer Leistung wie etwa Tellerwaschen im Altersheim, das Bezahlen einer Geldbuße oder in letzter Konsequenz (erst ab 15) eine Haftstrafe.
Zu den Schutzmaßnahmen zählen Aufsicht oder persönliche Betreuung durch Sozialarbeiter, ambulante Behandlungen (Therapien) oder die Unterbringung bei Privatpersonen oder in einem Jugendheim. Wenn Eigen- oder Selbstgefährdung vorliegt, kann die Unterbringung in einer geschlossenen Wohngruppe erfolgen.
Schmitzberger: „Die Entscheidungsorgane in der Schweiz sind nicht nur im strafrechtlichen Sinne tätig, sondern haben auch einen pflegschaftsbehördlichen Auftrag.“Letzteres heißt: „Es geht nicht darum, die Schuld nachzuweisen, sondern dem Kind, dem Jugendlichen geeignete Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten.“
Es wäre also nicht so einfach, das Schweizer Modell auf Österreich umzulegen, hierzulande ist das Strafrecht vom Pflegschaftsrecht getrennt. „Wenn man das Schweizer Modell kopieren wollte, müsste man Maßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und des Zivilrechts schaffen und vor allem Geld in die Hand nehmen.“Nachsatz des Jugendrichters: „Das würde ich stark befürworten.“