„Alle bei Netflix wollten ihn“
Marvin Kren ist der einzige Österreicher, der bislang Serien für Netflix gedreht hat. In „Crooks“ist sein Vorbild Karl Welunschek ein letztes Mal zu sehen.
Das große, bleiche Mondgesicht mit den wirren Haaren, das ihn da eingehend betrachtete, als er noch im Kinderwagen lag, war der erste Regisseur, den Marvin Kren zu sehen bekam. Und tatsächlich wurde Karl Welunschek, der im Vorjahr verstorbene Regieberserker, zum späteren Vorbild des erstaunlich erfolgreichen Regisseurs Marvin Kren. In der knallig inszenierten Serie „Crooks“, die am 4. April auf Netflix anläuft, ist Welunschek das letzte Mal zu sehen.
„Welunschek war ein ewiges Enfant terrible: gescheit und sehr emotional. Ein Kindheitseindruck von mir war, dass wir gemeinsam Taxi fuhren und er im Wagen herumschrie. Ich fragte: ‚Onkel Karli, warum bist du so traurig?‘ Und er hat wirklich zu weinen begonnen.“Welunschek hat permanent Wände zwischen sich und anderen aufgerichtet. „Das habe auch ich so erlebt“, erinnert Kren, „erst als ich ins Regiefach gewechselt bin, hat sich das verändert.“
Während Kren, der mit dem Kinofilm „Rammbock“und der Serie „Vier Blocks“berühmt wurde, bevorzugt in flachen Hierarchien arbeitet, war Welunschenk das, was man in den Siebzigerjahren als Regieberserker bezeichnete. „Ich würde sagen, er war intensiv. Er war ja ein Heimkind, das sich mit der Hochkultur verheiratet hat. Die soziale Diskrepanz, dazu viel Alkohol, das war eine wilde Mischung. Damals hatte das Cholerische noch eine gewisse Akzeptanz. Letztlich haben ihn die vielen Streitereien verbraucht.“
Ausleuchten der Unterwelt
Kren versteht es hingegen, sich die Kräfte einzuteilen. Der Stillstand während der Coronapandemie hat ihm ideal in die Karten gespielt. In dieser Zeit hatte der Absolvent der Hamburger Filmschule die Idee für seine am 4. April anlaufende Gangsterserie „Crooks“. Claude Sautets „Der Panther wird gehetzt“mit Lino Ventura und Jean-Paul Belmondo war seine Hauptinspiration. Ein bisschen Roadmovie, das Meditieren über eine Freundschaft zwischen zwei ungleichen Männern sowie das Ausleuchten der Unterwelt in Berlin, Wien, Marseille, Genua und Sestri Levante standen im Fokus des 44-Jährigen.
„Mir hat immer gefallen, wenn mit Hilfe eines Films verbotene Welten erschlossen wurden.“Dies praktiziert Kren mit wilden Typen und hervorragender Musik. Viel Soul ist im Soundtrack zu hören, schließlich haben ihn seine Eltern nach Marvin Gaye benannt. Auch ein Lied des früh verglühten Hansi Dujmic schaffte es in die Serie.
Obwohl Österreich für sein Talent zu klein war, schaffte es Dujmic nie, Wien zu verlassen. Für Kren war es die einzige Möglichkeit. Als Sohn von CaféEngländer-Co-Betreiber Wolfgang Jelinek und der Schauspielerin Brigitte Kren war er hierzulande „immer der ‚Bua‘.“„Glücklicherweise hat mich die Wiener Filmakademie gleich zweimal hintereinander nicht genommen“, resümiert er heute, der dann an der Filmhochschule Hamburg studierte. Er lebte auf St. Pauli, boxte in der legendären Kiezkneipe „Zur Ritze“, während er das Handwerk des Spielleiters erlernte.
Was ihn auch auszeichnet, ist sein Gespür für charismatische Schauspieler. In „Crooks“spielen Frederick Lau und Christoph Krutzler eindrucksvoll
die Hauptrollen. „Der gemeinsame Nenner meiner Schauspieler ist, dass sie alte Seelen sind. Die haben viel Gepäck aufgeladen, ganz abseits ihrer Schauspielkünste. Das kriegen die Zuschauer mit.“
Comeback für einstiges Genie
Auch in Wien wurde er fündig. Christian Wukonigg, der Maître des Café Engländer, übernahm eine Rolle, ebenso wie Urgestein Marianne Kohn. Vor allem aber ist es Karl Welunschek, dem ein fulminantes Comeback glückte. „Er lebte eigentlich schon im Ruhestand in Asien. Allein, wie er beim Casting den Raum betreten hat, beeindruckte. Die Bewegungen, die Betonung, die Präsenz – alle bei Netflix wollten ihn. Das war irrsinnig schön. Er konnte es gar nicht glauben, dass er noch einmal zurückkam. Denn eigentlich hatte er der Branche ade gesagt.“
Tragischerweise holte der Quiqui, wie der Tod in Wien heißt, das einstige „Genie“jäh zu sich. Ausgerechnet ein Herzinfarkt im Fernsehsessel. Ein skurriler Tod für jemanden, der von Ruhelosigkeit geprägt war. Als „Roter“hat er, dessen Ableben den Feuilletonisten nur eine Kurzmeldung wert war, wenigstens noch ein letztes Rufzeichen setzen können.