Der Tanz ein Leben: Starkes Finale beim Osterfestival Tirol
Die belgische Produktion „What Remains“zeigt vor, wie Generationen einander berühren und begreifen.
Wenn Misha Demoustier nach etwa einer Stunde auf sein expressives Anfangssolo zurückkommt, sich wieder windet und krümmt und mit langen Armen seinen Kopf umschlingt, dann rechnet man damit, dass sich so der Kreis von „What Remains“schließt. Doch dem jungen Tänzer, Schauspieler und Musiker gehört nicht das letzte gestische Wort. Stattdessen, am Ende des folgenden Epilogs, dem jüngsten Mädchen unter den großartigen mitwirkenden Kindern, das im Dunkel zurückbleibt, sich mit ausgestrecktem Zeigefinger langsam dreht und damit auch ins Publikum weist. Dieser Finger hat zuvor Lebensenergie versprüht – und sogar Tote auferweckt . . .
„What Remains“(2023) ist eine jener Produktionen, mit denen der Choreograf Wim Vandekeybus unter dem Label „Ulti’Mates“Arbeiten jüngerer Kolleginnen und Kollegen unterstützt und sie mit seiner Compagnie Ultima Vez umsetzt. Für Zoë Demoustiers erste große Tanztheaterkreation, die am Karfreitag in Innsbruck bejubelt wurde, fällt es zwar schwer, das längst verschlissene Wort „Familienaufstellung“zu vermeiden. Aber dieser intensive Abend der 1995 geborenen belgischen Choreografin und Performerin ist ungemein poetisch und berührend.
Alle Altersgruppen sind dabei
Thema ist das Verhältnis zwischen Verwandten, Bezugspersonen, Generationen in alltäglichen und teilweise auch traumatisch anmutenden Lebenslagen – dargestellt von und mit einem diversen Ensemble, das sich vom Vorschulkind bis zum Mann Mitte 70 erstreckt. Damit wird auch die im Tanz übliche Fokussierung auf bestimmte Altersgruppen und Körperformen aufgegeben. Fürsorge und Unverständnis, Macht und Abhängigkeit, auch Erziehungsmethoden wie Belehrung, Vorbildfunktion und Nachahmung, all das wird da durchgespielt. Und, apropos, nicht zuletzt auch das Spielen selbst, das in jedem Lebensabschnitt wichtig ist: Da verwandeln sich die herumtollenden Jüngsten auch einmal in die Ältesten.
Viele Szenen entwickeln sich in StopMotion und werden durch Blackouts quasi filmisch geschnitten und montiert. Mehrfach kommt man auf dieselben Tableaux vivants zurück. Sympathisch, wenn der Opa seine Jugend wieder in sich fühlt und in Disco-Freestyle verfällt; beklemmend, wenn er, offenbar dement, in Tränen ausbricht. Ein starker Abend.