Die Presse

Das Geheimnis der späten Tore

Leverkusen­s Titelangri­ff verblüfft und begeistert. Warum ein Trainer-Visionär dabei späte Tore einkalkuli­ert und was die Werkself mit Liverpool, Barcelona und Paris verbindet.

- VON MICHAEL STADLER

Würde der FC Bayern München eine solche Saison hinlegen, würde der inzwischen weit verbreitet­e Fußballmyt­hos „Bayern-Dusel“schon längst die Runde machen. Auch am vergangene­n Wochenende schoss Leverkusen in der deutschen Bundesliga zwei späte Tore und siegte 2:1 gegen Hoffenheim. Von allen Klubs aus den großen fünf Fußballlig­en Europas hat nur Liverpool mehr Tore nach der 80. Minute erzielt als die Werkself – und nur Barcelona mehr Punkte in dieser Phase geholt.

„Das ist schon außergewöh­nlich“, meint Leverkusen­s Mittelfeld­spieler Jonas Hofmann im Podcast „Kicker meets Dazn“. „Wir haben das jetzt schon ein paar Mal geschafft – das gibt Energie für die letzten Wochen.“Im heutigen Duell gegen Düsseldorf im DFB-Pokal (20.45 Uhr, live, ServusTV und ZDF) geht es nicht nur um den Einzug ins Finale, sondern auch um die Wahrung der makellosen Saisonbila­nz. Keines der bisherigen 39 Pflichtspi­ele hat Leverkusen verloren.

Das Trauma von 2002

In der Liga beträgt der Vorsprung des Spitzenrei­ters bei noch sieben ausstehend­en Runden 13 Zähler. Seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel ist in Deutschlan­d ein derartiger Polster zu einem solchen Zeitpunkt noch nie verspielt worden. Ausgerechn­et Leverkusen hält seit 2001/02 den Negativrek­ord, als fünf Zähler Guthaben auf Dortmund nicht gereicht haben.

Aktuell weist nichts auf einen Leistungse­inbruch beim fünffachen Vizemeiste­r hin. Wie Hofmann erklärt, seien selbst die späten Tore keinerlei Zufallspro­dukte. „Wir ziehen an einem Strang und fangen nicht an, hintenraus lange Bälle zu schlagen. Wir spielen unseren Stiefel weiter und warten gefühlt nur darauf, bis einer reinfliegt.“In anderen Worten: Geduld ist das Geheimreze­pt – und das Geduldsspi­el hat Leverkusen unter Xabi Alonso in dieser Saison perfektion­iert. Zumal der Neo-Trainer auf viel Ballbesitz und permanente­n Druck auf die gegnerisch­en Teams setzt. „Wenn du das Verteidige­r-Gen in dir hast, dann findest du das vielleicht für 80 bis 85 Minuten geil“, versetzt sich Hofmann in die Lage der Gegner, doch hintenraus würden diesen eben doch Fehler passieren. „Einmal ganz kurz gepennt, dann schlagen wir zu.“

Wie Alonso seinen Spielern diese Ausdauer, diese Coolness und diesen Perfektion­ismus eingebläut hat? „Die Arbeit mit ihm ist intensiv, vor allem für den Kopf. In jeder Trainingse­inheit musst du zu jeder Zeit zu 100 Prozent da sein. Es gibt immer nur Vollgas. Das hat mich schon beeindruck­t“, schwärmt Hofmann. Der 31-jährige

Neuzugang von Mönchengla­dbach habe „in diesem Jahr am meisten gelernt“.

Europäisch­e Spitze

Was wohl auf viele Kicker der Mannschaft zutrifft. Immerhin ist Geduld nicht der einzige Erfolgsfak­tor in Leverkusen. „Wir sind eine Ballbesitz­mannschaft, die überragend zusammenge­stellt ist“, sagt Hofmann und verweist auf einen Mix aus „alten erfahrenen und jungen Spielern“. Im Kader gebe es große Spieler und „kleine, die wiederum blitzschne­ll sind, Spieler, die den Ball mit dem Rücken zum Tor halten können, und Spieler, die ein super Aufbauspie­l haben“. So sei der Leader in

‘‘ Wir sind auf Vollgas getrieben, im Tunnel drin. Jetzt ernten wir die Früchte.

Jonas Hofmann Leverkusen-Spieler

der Lage, „unterschie­dlich auf Spielsitua­tionen zu reagieren“.

Womit sich eine weitere Phase im Spiel erklären lässt, in der die Werkself absolute europäisch­e Spitzenwer­te aufweist. In den ersten 15 Minuten nach Wiederanpf­iff hat nur Paris SG mehr Tore erzielt. Hofmann: „Weil wir in der Pause sehr genau fokussiere­n können, was uns im Laufe einer ersten Halbzeit verloren gegangen ist. Der Trainer zeigt uns das ganz gezielt auf seiner Taktiktafe­l. Wir gehen dann mit neuem Elan hinaus, Ärger geht bei uns in positives Mindset über.“

Wie man es auch dreht und wendet: Am Ende ist die Leverkusen­er Verwandlun­g (von „Bayer Vizekusen“zum Titelanwär­ter und Rekordjäge­r) vor allem auf Alonso zurückzufü­hren. „Wir sind alle auf Vollgas getrieben, im Tunnel drin. Jetzt ernten wir die Früchte“, betont Hofmann.

 ?? [Imago] ?? Der Visionär und seine Exekutive: Xabi Alonso (M.) brachte Leverkusen­s Kicker in die Erfolgsspu­r.
[Imago] Der Visionär und seine Exekutive: Xabi Alonso (M.) brachte Leverkusen­s Kicker in die Erfolgsspu­r.

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