Das Geheimnis der späten Tore
Leverkusens Titelangriff verblüfft und begeistert. Warum ein Trainer-Visionär dabei späte Tore einkalkuliert und was die Werkself mit Liverpool, Barcelona und Paris verbindet.
Würde der FC Bayern München eine solche Saison hinlegen, würde der inzwischen weit verbreitete Fußballmythos „Bayern-Dusel“schon längst die Runde machen. Auch am vergangenen Wochenende schoss Leverkusen in der deutschen Bundesliga zwei späte Tore und siegte 2:1 gegen Hoffenheim. Von allen Klubs aus den großen fünf Fußballligen Europas hat nur Liverpool mehr Tore nach der 80. Minute erzielt als die Werkself – und nur Barcelona mehr Punkte in dieser Phase geholt.
„Das ist schon außergewöhnlich“, meint Leverkusens Mittelfeldspieler Jonas Hofmann im Podcast „Kicker meets Dazn“. „Wir haben das jetzt schon ein paar Mal geschafft – das gibt Energie für die letzten Wochen.“Im heutigen Duell gegen Düsseldorf im DFB-Pokal (20.45 Uhr, live, ServusTV und ZDF) geht es nicht nur um den Einzug ins Finale, sondern auch um die Wahrung der makellosen Saisonbilanz. Keines der bisherigen 39 Pflichtspiele hat Leverkusen verloren.
Das Trauma von 2002
In der Liga beträgt der Vorsprung des Spitzenreiters bei noch sieben ausstehenden Runden 13 Zähler. Seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel ist in Deutschland ein derartiger Polster zu einem solchen Zeitpunkt noch nie verspielt worden. Ausgerechnet Leverkusen hält seit 2001/02 den Negativrekord, als fünf Zähler Guthaben auf Dortmund nicht gereicht haben.
Aktuell weist nichts auf einen Leistungseinbruch beim fünffachen Vizemeister hin. Wie Hofmann erklärt, seien selbst die späten Tore keinerlei Zufallsprodukte. „Wir ziehen an einem Strang und fangen nicht an, hintenraus lange Bälle zu schlagen. Wir spielen unseren Stiefel weiter und warten gefühlt nur darauf, bis einer reinfliegt.“In anderen Worten: Geduld ist das Geheimrezept – und das Geduldsspiel hat Leverkusen unter Xabi Alonso in dieser Saison perfektioniert. Zumal der Neo-Trainer auf viel Ballbesitz und permanenten Druck auf die gegnerischen Teams setzt. „Wenn du das Verteidiger-Gen in dir hast, dann findest du das vielleicht für 80 bis 85 Minuten geil“, versetzt sich Hofmann in die Lage der Gegner, doch hintenraus würden diesen eben doch Fehler passieren. „Einmal ganz kurz gepennt, dann schlagen wir zu.“
Wie Alonso seinen Spielern diese Ausdauer, diese Coolness und diesen Perfektionismus eingebläut hat? „Die Arbeit mit ihm ist intensiv, vor allem für den Kopf. In jeder Trainingseinheit musst du zu jeder Zeit zu 100 Prozent da sein. Es gibt immer nur Vollgas. Das hat mich schon beeindruckt“, schwärmt Hofmann. Der 31-jährige
Neuzugang von Mönchengladbach habe „in diesem Jahr am meisten gelernt“.
Europäische Spitze
Was wohl auf viele Kicker der Mannschaft zutrifft. Immerhin ist Geduld nicht der einzige Erfolgsfaktor in Leverkusen. „Wir sind eine Ballbesitzmannschaft, die überragend zusammengestellt ist“, sagt Hofmann und verweist auf einen Mix aus „alten erfahrenen und jungen Spielern“. Im Kader gebe es große Spieler und „kleine, die wiederum blitzschnell sind, Spieler, die den Ball mit dem Rücken zum Tor halten können, und Spieler, die ein super Aufbauspiel haben“. So sei der Leader in
‘‘ Wir sind auf Vollgas getrieben, im Tunnel drin. Jetzt ernten wir die Früchte.
Jonas Hofmann Leverkusen-Spieler
der Lage, „unterschiedlich auf Spielsituationen zu reagieren“.
Womit sich eine weitere Phase im Spiel erklären lässt, in der die Werkself absolute europäische Spitzenwerte aufweist. In den ersten 15 Minuten nach Wiederanpfiff hat nur Paris SG mehr Tore erzielt. Hofmann: „Weil wir in der Pause sehr genau fokussieren können, was uns im Laufe einer ersten Halbzeit verloren gegangen ist. Der Trainer zeigt uns das ganz gezielt auf seiner Taktiktafel. Wir gehen dann mit neuem Elan hinaus, Ärger geht bei uns in positives Mindset über.“
Wie man es auch dreht und wendet: Am Ende ist die Leverkusener Verwandlung (von „Bayer Vizekusen“zum Titelanwärter und Rekordjäger) vor allem auf Alonso zurückzuführen. „Wir sind alle auf Vollgas getrieben, im Tunnel drin. Jetzt ernten wir die Früchte“, betont Hofmann.