Bleibt Sinners Erfolgslauf im Sand stecken?
Jannik Sinner eilt von Sieg zu Sieg, doch nun warten die europäischen Sandplätze – der eindeutig schwächste Belag des Italieners. Ausgerechnet dort fällt nun auch die Entscheidung im Rennen um die Nummer eins.
Der rote Baron aus Sexten in Südtirol beherrscht die Tenniswelt. Jannik Sinner hat heuer 23 Matches gespielt und 22 davon gewonnen, das macht drei Turniersiege (Australian Open, Rotterdam, Miami) und den Sprung auf Platz zwei der Weltrangliste. Die Nummer eins, noch gehalten von Novak Djokovic, ist in Reichweite, dazu muss der 22-jährige Italiener mit der roten Haarpracht in den nächsten Wochen und Monaten nur eine Frage mit einem klaren „Ja“beantworten: Kann er seinen Erfolgslauf auch auf Sand, seinem bisher schwächsten Belag, fortsetzen?
Ein Turnier hat Sinner bisher auf Sandplatz gewonnen, ein 250er-Event im kroatischen Umag im Jahr 2022, eine überschaubare Ausbeute mit Blick auf seine insgesamt 13 ATP-Titel, ansonsten allesamt auf Hartplatz eingespielt. Die Zahlen auf Sand fallen klar ab: In den vergangenen und für das Ranking entscheidenden 52 Wochen gewann er 89 Prozent seiner Partien auf Hardcourts, aber nur 67 Prozent auf Sand. Aussagekräftig auch, dass er in seiner Karriere als Rückschläger auf Sand nicht mehr Punkte gewann als auf Rasen (jeweils 52 Prozent). Und sinnbildlich sein Zweitrunden-Aus im Vorjahr bei den French Open gegen Daniel Altmaier, damals Nummer 79 der Welt. „Normalerweise habe ich dort Probleme“, sagte Sinner vor der anstehenden Sandplatz-Saison. „Mal sehen, was ich dieses Jahr erreichen kann.“
Los geht es ab Sonntag beim Masters 1000 in Monte Carlo, Sinner will ab Donnerstag vor Ort die ersten Bälle schlagen. Es folgen die Turniere in Barcelona (500), die 1000er-Events in Madrid und Rom, seinem erklärten Lieblingsort auf der Tour, und ab 26. Mai das Highlight in Roland Garros – an selber Stelle, wo im August auch noch die Olympiasieger von Paris 2024 ausgespielt werden. „Das ist natürlich das nächste Ziel, versuchen, auf Sand Vertrauen zu fassen“, meinte Sinner nach seinem jüngsten Masters-Titel in Miami (Hardcourt).
Beim skifahrenden Schlacks aus Südtirol geht es tatsächlich vor allem darum, selbst zu erkennen, wozu er fähig ist. So ist der Erfolgslauf der vergangenen Monate zu erklären – als Folge des Spiels, das er entwickelt, und des Vertrauens, das er durch Siege aufgebaut hat –, und so wird er auch auf Sand nach und nach überzeugender auftreten. Dabei
spielt ihm in die Karten, dass er zumindest noch der Jäger und nicht der Gejagte ist: Er hat auf den europäischen Sandplätzen wesentlich weniger Punkte zu verteidigen als Djokovic, das Duell wird wohl bei den French Open gipfeln, wo Djokovic als Titelverteidiger 2000 Zähler verlieren könnte, Sinner hingegen nur 45 verteidigen muss.
Auf dem Platz drang Sinner zuletzt mit seiner Rückhand in neue Sphären vor, praktisch fehlerlos agierte er damit in Miami, diese Sicherheit wird auch auf Sand nicht plötzlich verloren gehen. Die kompromisslose und variabler gewordene Vorhand sollte auch bei höherem Ballabsprung ihre Wirkung entfalten, für die zu erwartenden längeren Ballwechsel ist er dank präziser und ökonomischer Beinarbeit gerüstet, der verbesserte Aufschlag und vor allem der verbesserte Rückhand-Slice werden ihm auf Sand zugutekommen. Kurzum: Gelingt es Sinner, sein Niveau nur annähernd zu halten, gehört er auch in den nächsten Wochen überall zu den Turnierfavoriten.
Evolution auf dem Court
Darren Cahill, der prominentere der beiden Sinner-Coaches, erklärte vor der Reise nach Monte Carlo: „Wie die Evolution voranschreitet, wird man ein wenig älter und stärker und schneller und schlauer. All diese Dinge werden in sein Spiel einfließen.“Und Sinner meinte: „Ich habe das Gefühl, dass ich viele Dinge aus dem Vorjahr gelernt habe, das ich körperlich und mental besser machen kann. Ich bin in einer anderen Form.“
Der rote Ziegelstaub sollte für Sinner kein Hindernis sein auf dem Weg zur Nummer eins. Im Gegenteil. Den Vorgeschmack gab er vor knapp zwei Jahren bei seinem bisher einzigen Sandplatz-Titel: In Umag triumphierte er ausgerechnet über Sand-Ausnahmekönner Carlos Alcaraz. Sein spanischer Rivale hatte in der damaligen Sandplatz-Saison zuvor 27 seiner 30 Matches gewonnen.