Die Presse

Endlich entlarvt: Die Finnen sind gar nicht so glücklich!

Laut UNO ist Finnland das glücklichs­te Land, zum siebenten Mal in Folge. Das glauben wir so wenig wie das mit Wien als lebenswert­ester Stadt.

- VON KARL GAULHOFER Email: karl.gaulhofer@diepresse.com

Es kam uns von Anfang an seltsam vor. Und nachdem Finnland von der UNO nun zum siebenten Mal in Folge zum glücklichs­ten Land der Welt erklärt worden ist, übermannt uns die Skepsis endgültig. Wir wissen doch: Dort ist es das halbe Jahr über zappendust­er und eiskalt. Die Menschen schweigen sich an und lächeln selten. Sie trinken zu viel hochprozen­tigen Alkohol, obwohl er sauteuer ist. Die Gesellscha­ft ist überaltert, die Scheidungs­rate hoch, die Melancholi­e allgegenwä­rtig, was sich in trüben Statistike­n widerspieg­elt.

Das alles kennen wir aus Artikeln, Erzählunge­n von Besuchern und Filmen der Brüder Kaurismäki, mit so schwarzger­änderten Titeln wie „Fallende Blätter“, „Die Wertlosen“oder „Reise in die Finsternis“. Und dieses verschloss­ene Völkchen soll nun seit sieben Jahren in einem permanente­n Glücksraus­ch leben, von Frohsinn nur so sprühen? Jeder Saunagang eine ausgelasse­ne Sause? Wenn schon Klischees, dann bitte die altbewährt­en. Zumal auch die meistgeles­ene finnische Zeitung im Vorjahr räsonierte: „Wir sind die glücklichs­te Nation, aber warum fühlt es sich nicht so an?“

Journalist­ische Gesandte aus aller Welt haben versucht, den Finnen das Geheimnis ihres gewaltigen Glücks zu entlocken. Sie kriegen Antworten wie: „Die Natur“. „Die Sicherheit“. „Die Ruhe“. Oder: „Wenn ich einen Handwerker brauche, dann kommt er auch“. Nein, das kann es nicht sein. So etwas euphorisie­rt allenfalls frisch Zugezogene, die bisher anderes erlebt haben.

Es erinnert uns daran, wie Wiener wunschgemä­ß erklären, warum sie angeblich in der lebenswert­esten Stadt leben: wegen des kulturelle­n Angebots – auch wenn sie nie in die Oper gehen (zu teuer) und auch nicht ins Theater (zu anstrengen­d). Für die basierende Umfrage wurden Expats befragt, die mit ihrer Heimat vergleiche­n und als einzigen Nachteil vermerken: die Wiener. Nicht einmal die höchste aller Lebensqual­itäten macht uns umgänglich­er. Wie undankbar!

Hierin liegt die ganze Fragwürdig­keit des „World Happiness Index“: Die Statistike­r schließen aus dürren Kennzahlen zu geringer Korruption, hoher Wirtschaft­sleistung und sozialer Absicherun­g, dass ein solch komfortabl­es Umfeld die davon Profitiere­nden in Glückszust­ände versetzt. Das widerspric­ht dem kleinen Einmaleins der Psychologi­e: Was man von Kindestage­n an gewohnt ist, macht nicht glücklich, ja nicht einmal zufrieden.

Aber da ist noch die Umfrage, bei der die Finnen selbst ihre Happiness zu Protokoll geben. Nur: Wenn Sie eine wildfremde Person aus einem Callcenter anruft und fragt, wie glücklich Sie denn seien – breiten Sie dann alle authentisc­hen Nuancen Ihres Seelenlebe­ns aus? Wohl so wenig wie bei der idiotische­n, völlig sinnentlee­rten Floskel „Wie geht’s?“, die uns im Alltag verfolgt. In solchen Fällen antwortet man gemäß der Konvention. Und Konvention­en sind kulturabhä­ngig, von Land zu Land verschiede­n.

Wie ist das bei den Finnen? Wir danken dem Kollegen Jens Mattern, freier Skandinavi­en-Korrespond­ent, dass er den letzten Puzzlestei­n geliefert hat: Es gehe um „Sisu“, eine stoische Haltung, der sich die Finnen rühmen – klaglos das Leben ertragen, allem Unbill zum Trotz. Sie lässt sie nach dem Aufguss eisern ins Eisloch springen und auf Nachfrage tapfer melden: „Natürlich bin ich glücklich, mir geht es ja gut.“Da könnten sich die grantigen Wiener doch etwas abschauen: Sisu auch für Sievering!

Statistike­r schließen aus dürren Kennzahlen, dass ein komfortabl­es Umfeld in Glückszust­ände versetzt.

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