Wiens Meisterin des Grotesken
Mit Lieselott Beschorner (96) ist eine Künstlerin gestorben, die sich frei gemacht hatte. Frei vom Markt und den Moden. Erst in ihren Achtzigern wurde sie wiederentdeckt.
Lieselott Beschorner in ihrer Einsamkeit und Gebrechlichkeit als mit ihrer Welt zufriedene Einsiedlerin zu beschreiben, wäre eine Idealisierung. Lieselott Beschorner starb einen langen Tod. Und jede der späten Ehrungen und Ausstellungen, die diese in ihrer völligen Unabhängigkeit wunderlich wirkende Künstlerin erreichten, ließen sie ihres Alters und ihres langsamen Vergehens noch bewusster werden.
Beschorner war kein glücklicher Mensch. Am Ende fast blind, hatte sie sich in ihrem Biedermeierhäuschen in Gersthof eingeigelt, in dem die seit ihrer Jugend Kränkelnde schon mit ihrer Mutter gelebt hatte. Umgeben von sorgenden Menschen, die ihr die letzten Jahre vorlasen, sie zu Ausflügen abholten, sie auf einen Plausch besuchten, die sie zu einem der zuletzt wieder häufiger werdenden Interviews vorließ. Dafür klopfte man zur vereinbarten Zeit ans Souterrainfenster, saß dann dieser seltsamen, wuchtigen Person im Halbdunkel der Küche gegenüber und wurde von ihr daraufhin losgeschickt, ihre künstlerische Einhausung zu erkunden, allein, bis ins Dachbodenatelier.
Das ganze Haus war voll, voll mit Beschorner, voll von ihren überall auftauchenden, hervorquellenden Augen, die einen verfolgten, voll von ihren wulstigen Lippen, überall war sie in ihren Bildern und Objekten und Sammlungen. Eine Wand voller krummer Schlüssel, im Stiegenhaus die schweren Keramikköpfe, mit einer Wachsschicht überzogen und deshalb so sanft schimmernd.
Eine der ersten Frauen der Secession
Im Wohnzimmer hingen von der Decke Nylonstrümpfe, mit Verschiedenstem gefüllt, teils in Schuhen steckend: Mit solchen Objekten hatten Ernesto Neto oder Sarah Lucas viel später Weltkarriere gemacht. Dasselbe mit den „Puppas“, gehäkelte, archaische Fratzen, die man Louise Bourgeois zuschreiben könnte. Nur, dass die von Beschorner viele Jahre zuvor entstanden sind, die US-Bildhauerin Bourgeois kann sie nicht gekannt haben.
Ende der 1980er hat Beschorner ihre ohnehin versandete Ausstellungstätigkeit völlig eingestellt. Sie wollte einfach nicht mehr: Es liege nicht in ihrer Natur, sich selbst zu managen, sagt sie: „Das Hasten nach irgendwelchen Vorteilen, was nötig ist, um als Freier weiterzukommen, war mir zuwider. Es war mir wertvoller, zu machen, was ich will. Aber das bezahlt man natürlich, das bezahlt man.“
Dabei hatte die Karriere der in ihrer Begabung früh Erkannten und Geförderten steil begonnen: 1945 begann sie bei Robin Christian Andersen und Albert Paris Gütersloh an der Akademie zu studieren. 1951 wird sie als eine der ersten Frauen überhaupt in die Vereinigung der Secession aufgenommen. In einer Einzelausstellung zeigt sie dort ihre Schichtenbilder aus 1967, Collagen aus gerissenen, bunten Löschpapieren. Doch dann begann das Interesse zu schwinden. Beschorner verschwand als Künstlerin aus der Öffentlichkeit, unterrichtete lang als Zeichenlehrerin an der Berufsschule für Friseure. In ihrer Freizeit ging sie wandern und arbeitete in dem Haus, in dem sie mit ihrer Mutter wohnte. Es gab viele Jahre, erzählte sie der „Presse“, „da war alles wie versperrt, da bin ich mir vorgekommen wie in einem Raum ohne Türen und Fenster, aus dem ich weder hinaus konnte, noch etwas hereinkam“.
Das macht ihr Werk, das mit seinen Materialien wie Ton, Textil und Collage heute so zeitgenössisch wirkt, so erstaunlich: Beschorner war frei. Sie arbeitete in Phasen, je nachdem, welcher Werkstoff ihr gerade unterkam. Nicht alle dieser Phasen – und Beschorner wurde schnell langweilig, sagte sie gern – sind gleichermaßen interessant.
Das zeigte auch die große Einzelausstellung in der Landesgalerie Niederösterreich 2021. Doch einige waren doch herausragend. Einer, der Beschorner in ihrem Talent als Erster und lang allein erkannte, war Berthold Ecker, Leiter der Kunstsammlung der Stadt Wien. 2011 richtete er ihr die erste Ausstellung wieder aus, im Musa, und brachte Beschorner so wieder ins Geschehen zurück.
„Meine ganze Freude war die Kunst“
Der Stadt Wien vermachte die Künstlerin daraufhin auch ihr Gesamtwerk. Statt eines Bildbandes, den sich Beschorner eigentlich gewünscht hatte, bot Ecker ihr damals tatsächlich ein Grab an, erinnerte sie sich später: „Andere hätte das schockiert, ich fand es originell.“Ihr schwarzer Humor sei ihre helle Seite, fand sie. Ihre dunkle? Das seien die „magischen Objekte“, die sie schaffe.
Jetzt wird Ecker ihr wohl noch den letzten Wunsch erfüllen – und die Flusssteine, die sie so liebte und die sie in ihrem Garten gesammelt hat, auf ihr Grab schichten. In der Mitte, „wie einen Krapfen“, so wünschte sie es sich. „Das braucht dann niemand gießen“, fügte sie noch lakonisch an. Und, wieder zum Ernst zurückkehrend: „Es haben andere wohl ein lustigeres Leben gehabt als ich, aber so ist es halt. Meine ganze Freude war die Kunst. Wenn man die Möglichkeit hat, gestalten zu können, hat man eh schon ein großes Glück.“
Dieses Glück zumindest war der Lieselott Beschorner in reichem Maße vergönnt. In der Nacht auf Sonntag, so gab Ecker bekannt, ist sie nun in Wien gestorben. Der heimlichen Wiener Meisterin des Grotesken also ein Ade, aus ganzem Herzen.