Rettung für archaisches Griechisch
Nur mehr ein paar Tausend Menschen in der Türkei sprechen Romeyka, eine Schwestersprache des Neugriechischen. Eine Forscherin will sie bewahren.
Mutter Latein hat viele Töchter: Aus dem Lateinischen haben sich die romanischen Sprachen entwickelt, die heute nicht nicht nur in Europa, sondern auch in ganz Südamerika gesprochen werden. Und aus dem Altgriechischen? Hat denn das Neugriechische, das unleugbar dessen Tochtersprache ist, keine Schwestern? Ist es also das, was man eine isolierte Sprache nennt?
Nicht wirklich. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde an der türkischen Schwarzmeerküste – also in der Region, die in der Antike Pontos hieß – Pontisch gesprochen, eine Form von Griechisch, die aus dem Attischen hervorgegangen war und sich fast zwei Jahrtausende lang fast unabhängig vom Neugriechischen entwickelt hat.
Heute gilt sie als vom Aussterben bedroht, vor allem in der Türkei. 1965 sprachen dort laut Volkszählung noch 300.000 Menschen Pontisch, heute sind es laut der griechischen Sprachwissenschaftlerin Ioanna Sitaridou nur mehr etwa 5000 Menschen. Sie stammen aus oder leben in Gebirgsdörfern der Provinz Trabzon, abgeleitet von Trapezunt, einem Nachfolgestaat des byzantinischen Reichs, der 1461 von den Osmanen erobert wurde. Sie sprechen den pontischen Dialekt Romeyka. Dabei ist, wie meist bei gefährdeten Sprachen, der Altersdurchschnitt der Sprecher hoch.
„Bevölkerungsaustausch“1923
Sitaridou, derzeit an der University of Cambridge, erforscht Romeyka und setzt sich für seine Bewahrung und Dokumentation ein. So hat sie soeben die Internet-Plattform Romeyka Crowdsourcing gegründet, auf der Menschen, die noch Romeyka sprechen, akustische Zeugnisse hinterlassen können. Das ist auch deshalb interessant, meint Sitaridou, weil sich in Romeyka besonders archaische Formen erhalten haben. Denn beim „Bevölkerungsaustausch“– der de facto eine Zwangsumsiedlung war – ab 1923 gingen christliche Griechisch- und Pontischsprachige nach Griechenland, während muslimische Romeyka-Sprecher in der Türkei blieben. Dort wurde ihre Sprache naturgemäß vom Türkischen beeinflusst, etwa in der Satzstellung, behielt aber auch archaische Besonderheiten bei.
So gibt es in Romeyka noch einen Infinitiv wie im Altgriechischen, im Gegensatz zum Neugriechischen, wo dieser nur mehr in festen Phrasen auftritt. In Romeyka kommt der Infinitiv aber fast nur mehr in Verneinungen und Fragen vor. Diese Entwicklung interessiert Sitaridou besonders, sie geht ihr derzeit im Ort Tonya nach, wo bisher noch nie Feldforschung über Sprache betrieben wurde.
Dabei beobachtet sie eine gewisse Vorsicht der Befragten. Das liegt wohl auch daran, dass türkische Nationalisten, etwa in der Verwaltung, eine griechische Sprache suspekt finden. In Griechenland sehen Nationalisten ebenfalls Sprecher pontischer Dialekte kritisch, sagt Sitaridou, da diese die Vorstellung von der einen und einzigen griechischen Sprache relativieren.