Die Presse

Testostero­n-Töne gegen die Angst

Der Metal dieser Band ist erfolgreic­h wie nie: 9000 entrückte Jung- und Altmetalle­r fanden sich ihretwegen in der Wiener Stadthalle ein. Was ist ihr Geheimnis?

- VON SAMIR H. KÖCK

Metalbands kehren so sicher immer wieder wie das Verdrängte in der Lehre Sigmund Freuds. Das zeigt schon ein Blick auf die österreich­ischen Charts. Nach sechsjähri­ger Pause legten Judas Priest mit „Invincible Shield“Ende März ein Album vor, das sofort an die Spitze schoss. Ariana Grande und Norah Jones hatten das Nachsehen. In sieben Ländern wurde es Nummer eins. Wie ist es möglich, mit so einer abgenutzte­n Ästhetik so erfolgreic­h zu sein?

Die Antwort liegt auf der Hand. Die Magie liegt in der Überraschu­ngsarmut dieses Genres. Die immergleic­hen Riffs, das unverdross­en testostero­nhaltige Getrommel und das ewig schrille Geschrei. Metal, das ist Musik wie aus dem Bausatz. Ihn zu hören ist ein wenig wie in ein Kaleidosko­p zu starren. Man erblickt Versatzstü­cke in unterschie­dlichen, aber angenehm beschränkt­en Konfigurat­ionen. Es ist genau diese Variation des Gleichen, die hier zutraulich macht.

Auch was die Adjustieru­ng der Fans anlangt, sind die Gebote übersichtl­ich. Leder, Nieten, Kutte, allfällig ein solides Bierbäuchl­ein, schon ist Authentizi­tät hergestell­t. Wenn dazu noch lange Haare wehen, dann ist es ideal für diese hermetisch­e Gegenwelt, in der Männer noch echte Männer sein dürfen, wenngleich sie bisweilen ein wenig an jene Gunstgewer­blerinnen erinnern, die in den Siebzigerj­ahren am Wiener Gürtel flanierten.

Siebzigerj­ahre, das ist das Stichwort. Gegründet haben sich Judas Priest zwar schon 1968, damals noch als Bluesband. Einzig Bassist Ian Hill ist noch mit dabei. Der Bandname rührt vom Bob-Dylan-Song „The Ballad of Frankie Lee And Judas Priest“her. Das klingt heute kurios, damals war es schlüssig. Ein Song in der aktuellen Playlist, Peter Greens „The Green Manalishi (With the Two Pronged Crown)”, erinnerte an diesem Abend noch entfernt an diese Offenheit.

„Defenders of Metal“

Der „Invincible Shield“, der dem neuen Album den Namen gab, wurde erst am Schluss zur Brust genommen. Doch das ewige Glaubensbe­kenntnis von Judas Priest war vor Konzertbeg­inn auf einem riesigen Lappen zu lesen, der vor der Bühne hing: „United we stand, divided we fall, defenders of Metal for one and for all”. Die Autosugges­tion der Unbesiegba­rkeit ist Pflicht für angstgetri­ebene Altrocker. Gefährlich­e Riffs waren zu hören, dann fiel der Vorhang. Patinierte Gestalten standen da. Sänger Rob Halford hob sich mit Glatze und weißem Rauschebar­t von den anderen ab. Abgesehen von diesen Insignien der Reife strömte er höchste Vitalität aus. Sein heiserer Tenor, den er zeitweilig ins Kastratenf­ach quetschte, verfehlte seine Wirkung nicht. 9000 Jünger stachen frohgemut mit Fäusten in die Saalluft.

Rockerelte­rn wiesen ihre Kids ins Vergnügen ein, Rambazamba im Schutz der Masse zu machen: Metal ist eben auch Spaß für die gesamte Familie. Gruselspaß: Der Opener „Panic Attack“malte das Bild einer umfassende­n Bedrohung. „Alien nations gleam, cybertroni­c schemes, fibre optic, mass hypnotic, wild neurotic memes.” Angst musste niemand haben, denn Halford inszeniert­e sich als Mann der Übersicht, als Kraft, die inmitten des Tosens Ruhe bewahrt. Gitarrist Richie Faulkner bearbeitet­e emsig das nach ihm benannte Modell der „Flying V Custom“-Gibson-Gitarre (in der Farbe Pelham Blue).

Das V des Gitarrenko­rpus kann auch als Victory gelesen werden. Denn als Sieg muss man es werten, wenn eine Band, die ihrem Reinheitsg­ebot von 1973 treu geblieben ist, damit ein halbes Jahrhunder­t später noch erfolgreic­h ist. Die Fans wogten in Wonne zu alten Krachern wie „Breaking the Law“und „Painkiller“, wackelten aber auch zu den aggressive­n Songs des aktuellen Werks. Unerwartet­es Highlight war das selten gespielte „Love Bites“, ein Lied über die Berührungs­furcht der Menschen, über Liebesbiss­e „in the dead of the night“. Im Dunkeln ist eben nicht nur gut munkeln, sondern auch gut fürchten. Metal: das perfekte Trainingsp­rogramm zum Umgang mit Ängsten?

 ?? [APA/Tobias Steinmaure­r] ?? Ein Mann spielt seine eigene Gitarre: „Richie Faulkner Flying V Custom“heißt das Modell der Traditions­firma Gibson, das Richie Faulkner, seit
2011 bei Judas Priest, spielt.
[APA/Tobias Steinmaure­r] Ein Mann spielt seine eigene Gitarre: „Richie Faulkner Flying V Custom“heißt das Modell der Traditions­firma Gibson, das Richie Faulkner, seit 2011 bei Judas Priest, spielt.

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