Generation Mindestsicherung? Das können wir verhindern
Tausende Männer, die einst als Flüchtlinge kamen, holen jetzt ihre Familien nach Wien. Damit diese Kinder eine Chance haben, muss sich einiges ändern.
Christoph Wiederkehr, Bildungsstadtrat und Neos-Vizebürgermeister in Wien, ist um seinen Job derzeit wirklich nicht zu beneiden. Was immer er tut, es wird zu wenig oder das Falsche sein. Weil die Aufgaben, vor denen er steht, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln einfach nicht lösbar sind.
In den vergangenen eineinhalb Jahren kamen rund 4000 mehrheitlich syrische Kinder nach Wien und müssen ins Schulsystem integriert werden. Jeden Monat erhöht sich die Zahl im Schnitt um weitere 350 Kinder; übers Jahr gerechnet werden es also noch einmal mehr als 4000 sein. Der enorme Zuzug ist eine Konsequenz diverser Flüchtlingswellen seit 2015: Erst kamen fast nur Männer, jetzt holen sie ihre Frauen und Kinder nach. Das Magazin „Profil“widmete den Folgen dieser Familienzusammenführung jüngst eine verdienstvolle Covergeschichte. So detailliert wurden die Schwierigkeiten bisher nirgends dargestellt. „Es fehlt an Wohnungen, Klassen, Kindergärtnern und Übersetzern. Szenen einer Überforderung“, schreiben die Kollegen.
Am heftigsten gebeutelt wird das Wiener Schulsystem, das schon mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine an seine Grenzen stieß. Plötzlich stehen noch ein paar Tausend Kinder mehr vor den Klassenzimmern, die mit einem fremden Land, einer neuen Sprache, einer anderen Lebensart zurechtkommen müssen und von denen viele noch nie einen Kindergarten oder eine Schule besucht haben. Solchen Kindern kann man nicht einfach ein Heft in die Hand drücken und sie auffordern, brav zu üben.
Christoph Wiederkehr tut das Nächstliegende und will mit der Errichtung von Containerklassen wenigstens die Raumnot lindern. Angesichts des akuten Lehrermangels stellt sich allerdings die Frage, wer dort unterrichten soll.
Selbst schuld, könnte man jetzt natürlich sagen. Wien war einst das ideologische Gravitationszentrum der Willkommenskultur und muss nun deren langfristige Konsequenzen ausbaden. Anhänger des Prinzips Schadenfreude kommen voll auf ihre Kosten. Erste Wortspenden aus den Reihen von ÖVP und FPÖ gehen wenig überraschend in diese Richtung.
Aber Häme hilft jetzt niemandem. Eigentlich sollte das ganze Land Interesse daran haben, den kleinen Syrern, Afghanen und Somalis einen guten Start zu ermöglichen. Nicht bloß aus wolkigen humanitären Gründen, sondern aus volkswirtschaftlichem Eigennutz. Die meisten dieser Kinder sind im Volksschulalter und können Bildungsdefizite noch leicht aufholen. Österreich wäre wirklich gut beraten, alles zu tun, damit hier keine Generation Mindestsicherung heranwächst. Wenn wir es richtig anstellen, könnten Abdullah, Samira und ihre Kollegen eines Tages nicht mehr Teil des Asylproblems sein, sondern ein Beitrag zur Lösung der demografischen Krise.
Ist das zu optimistisch? Mag sein. Bisher hat der Bildungsaufstieg von Flüchtlingskindern eher nicht so toll funktioniert. Aber damit muss man sich ja nicht abfinden. Die aktuelle Lage wäre ein Anlass, das System neu zu denken: Vielleicht gibt es in den Communitys der Zuwanderer ein paar Lehrer, die im Unterricht helfen könnten, anstatt Taxi zu fahren oder Pakete auszutragen. Bildungs- und Karrierevorbilder aus den eigenen Reihen wären ebenfalls hilfreich.
‘‘ Am heftigsten gebeutelt wird Wiens Schulsystem. Anhänger des Prinzips Schadenfreude kommen voll auf ihre Kosten.
Christoph Wiederkehr hat vorgeschlagen, Eltern die Sozialhilfe zu kürzen, wenn ihr Nachwuchs gewerbsmäßig den Unterricht schwänzt. Auch das wäre ein Ansatz. Überhaupt nicht bewährt hat sich dagegen die gängige Praxis, an einzelnen Brennpunktschulen immer noch mehr Kinder mit Integrationsbedarf abzuladen. So kann es nicht weitergehen.
Hat Bürgermeister Michael Ludwig vielleicht auch ein paar Ideen? Falls ja, behält er sie für sich. Offenbar will die SPÖ dieser Baustelle großräumig ausweichen. Neos-Stadtrat Wiederkehr darf sich allein darum kümmern. Das ist keine gute Nachricht, nicht bloß für Wien.