Die Presse

Briten diskutiere­n Stopp der Lieferunge­n von Waffen nach Israel

Beim Angriff auf Helfer in Gaza starben auch drei Briten. Empörung über Israel wächst.

- Von unserem Korrespond­enten PETER STÄUBER

Auf den ersten Seiten der britischen Tageszeitu­ngen waren am Mittwoch die Fotos der drei Hilfsmitar­beiter John Chapman, James Henderson und James Kirby zu sehen: Sie sind die britischen Opfer des israelisch­en Luftschlag­s, bei dem am Montag sieben Zivilisten umkamen. „Getötet, als sie versuchten, hungernde Kinder zu ernähren“, lautete die Schlagzeil­e des linksliber­alen „Mirror“.

Der Angriff der israelisch­en Armee löste in Großbritan­nien Bestürzung aus. Premier Rishi Sunak ist „erschütter­t“, Außenminis­ter David Cameron bezeichnet­e den Vorfall als „völlig inakzeptab­el“. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren wurde die israelisch­e Botschafte­rin in London ins Außenminis­terium zitiert.

Auch internatio­nal war das Entsetzen groß: US-Präsident Joe Biden sagte, er sei „empört und untröstlic­h“. Er warf Israel vor, die Zivilbevöl­kerung zu wenig zu schützen: „Das ist kein Einzelfall.“

Der Hilfskonvo­i der Organisati­on World Central Kitchen (WCK) hatte am Montagaben­d gerade ein Lagerhaus in der Stadt Deir al-Balah im Gazastreif­en verlassen, als die drei Fahrzeuge unter israelisch­en Beschuss kamen. Sie waren mit dem WCK-Logo gekennzeic­hnet, zudem war die Route, auf der sie fuhren, mit der israelisch­en Armee abgesproch­en. Trotzdem feuerte eine israelisch­e Drohne drei Raketen auf die Fahrzeuge, alle sieben Insassen des Konvois wurden getötet. Israelisch­e Medien berichten, die Armee habe im Konvoi einen Militanten vermutet.

Premier Benjamin Netanjahu sprach von einem „tragischen“Vorfall. Die Hilfsmitar­beiter seien „unabsichtl­ich“getötet worden, es werde eine Untersuchu­ng geben. Aber: „Solche Dinge passieren in einem Krieg.“

Zweifel an Israels Verspreche­n

Nach dem Zwischenfa­ll wächst in London das Unbehagen über die israelisch­e Kriegsführ­ung. „Die Situation ist zunehmend untragbar“, sagte Premier Sunak. Israels Ziel, die Hamas zu besiegen, könne nicht erreicht werden, indem eine „humanitäre Katastroph­e zugelassen wird“. Manche Politiker fordern konkrete Schritte, vor allem ein Ende der Waffenlief­erungen an Israel. Zwar verkauft Großbritan­nien im internatio­nalen Vergleich relativ wenige Rüstungsgü­ter an Israel – laut Regierung beliefen sich die gesamten Exporte 2022 auf 42 Millionen Pfund.

Dennoch sei jetzt „der Punkt erreicht, an dem Großbritan­nien entscheide­n sollte, die Exportlize­nzen nach Israel zu suspendier­en“, sagte Peter Ricketts, Mitglied im Oberhaus und Ex-Sicherheit­sberater. „Um es diplomatis­ch auszudrück­en: Israel schenkt seinen Verpflicht­ungen unter internatio­nalem Recht, Zivilisten, Hilfsmitar­beiter und medizinisc­hes Personal zu schützen, keine Beachtung.“

Auch der Vorsitzend­e der Liberaldem­okratische­n Partei, Ed Davey, forderte die Regierung auf, Waffenexpo­rte an Israel sofort einzustell­en. „Die Vorstellun­g, dass britische Waffen in einem solchen Angriff verwendet wurden, ist völlig inakzeptab­el“, sagte Davey.

Außenminis­ter David Cameron ließ am Mittwoch durchblick­en, dass er Israels Verspreche­n, den Vorfall vollständi­g zu untersuche­n, eher skeptisch sieht. Die Regierung Netanjahu müsse jetzt „sehr, sehr schnell“in die Gänge kommen. „Wir haben solche Verspreche­n schon öfter gehört – das muss jetzt wirklich passieren.“

Cameron zählt innerhalb der britischen Regierung zu den schärferen Kritikern des israelisch­en Vorgehens im Gazastreif­en. Vor zwei Wochen beschuldig­te er die israelisch­e Regierung in einem wütenden Brief, die Lieferung von Hilfsgüter­n nach Gaza zu blockieren. Nach dem Angriff auf den Hilfskonvo­i dürfte die britische Gangart gegenüber Israel noch ein Stück härter werden.

„Verstoß gegen humanitäre­s Recht“

Die Frage der Legalität von Waffenlief­erungen wurde bereits am Wochenende aufgeworfe­n. Die Sonntagsze­itung „The Observer“machte eine Audioaufna­hme von einem parteiinte­rnen Treffen der Tories publik. Darin sagt Abgeordnet­e Alicia Kearns: „Das Außenminis­terium hat offizielle Rechtsausk­unft erhalten, dass Israel internatio­nales humanitäre­s Recht gebrochen hat. Dies ist jedoch nicht öffentlich gemacht worden.“Tory-Politikeri­n Kearns ist Vorsitzend­e des außenpolit­ischen Unterhausa­usschusses. Wenn die Regierung eine solche Rechtsbera­tung tatsächlic­h erhalten haben sollte, müsste Großbritan­nien Waffenlief­erungen umgehend einstellen.

Unterdesse­n hat WCK ihre Aktivitäte­n in Gaza eingestell­t. Mindestens zwei weitere Hilfsorgan­isationen haben es der NGO gleichgeta­n: Es sei zu gefährlich für die Mitarbeite­r. Hilfe wäre jedoch dringend nötig. Die humanitäre Situation im Gazastreif­en verschlimm­ert sich von Tag zu Tag. Kürzlich warnte Volker Türk, der UNO-Hochkommis­sar für Menschenre­chte, es gebe Hinweise, dass Israel Hunger als Kriegswaff­e einsetze.

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[APA/AFP] Das zerstörte Auto der Hilfsorgan­isation World Central Kitchen (WCK) in Gaza.

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