Briten diskutieren Stopp der Lieferungen von Waffen nach Israel
Beim Angriff auf Helfer in Gaza starben auch drei Briten. Empörung über Israel wächst.
Auf den ersten Seiten der britischen Tageszeitungen waren am Mittwoch die Fotos der drei Hilfsmitarbeiter John Chapman, James Henderson und James Kirby zu sehen: Sie sind die britischen Opfer des israelischen Luftschlags, bei dem am Montag sieben Zivilisten umkamen. „Getötet, als sie versuchten, hungernde Kinder zu ernähren“, lautete die Schlagzeile des linksliberalen „Mirror“.
Der Angriff der israelischen Armee löste in Großbritannien Bestürzung aus. Premier Rishi Sunak ist „erschüttert“, Außenminister David Cameron bezeichnete den Vorfall als „völlig inakzeptabel“. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren wurde die israelische Botschafterin in London ins Außenministerium zitiert.
Auch international war das Entsetzen groß: US-Präsident Joe Biden sagte, er sei „empört und untröstlich“. Er warf Israel vor, die Zivilbevölkerung zu wenig zu schützen: „Das ist kein Einzelfall.“
Der Hilfskonvoi der Organisation World Central Kitchen (WCK) hatte am Montagabend gerade ein Lagerhaus in der Stadt Deir al-Balah im Gazastreifen verlassen, als die drei Fahrzeuge unter israelischen Beschuss kamen. Sie waren mit dem WCK-Logo gekennzeichnet, zudem war die Route, auf der sie fuhren, mit der israelischen Armee abgesprochen. Trotzdem feuerte eine israelische Drohne drei Raketen auf die Fahrzeuge, alle sieben Insassen des Konvois wurden getötet. Israelische Medien berichten, die Armee habe im Konvoi einen Militanten vermutet.
Premier Benjamin Netanjahu sprach von einem „tragischen“Vorfall. Die Hilfsmitarbeiter seien „unabsichtlich“getötet worden, es werde eine Untersuchung geben. Aber: „Solche Dinge passieren in einem Krieg.“
Zweifel an Israels Versprechen
Nach dem Zwischenfall wächst in London das Unbehagen über die israelische Kriegsführung. „Die Situation ist zunehmend untragbar“, sagte Premier Sunak. Israels Ziel, die Hamas zu besiegen, könne nicht erreicht werden, indem eine „humanitäre Katastrophe zugelassen wird“. Manche Politiker fordern konkrete Schritte, vor allem ein Ende der Waffenlieferungen an Israel. Zwar verkauft Großbritannien im internationalen Vergleich relativ wenige Rüstungsgüter an Israel – laut Regierung beliefen sich die gesamten Exporte 2022 auf 42 Millionen Pfund.
Dennoch sei jetzt „der Punkt erreicht, an dem Großbritannien entscheiden sollte, die Exportlizenzen nach Israel zu suspendieren“, sagte Peter Ricketts, Mitglied im Oberhaus und Ex-Sicherheitsberater. „Um es diplomatisch auszudrücken: Israel schenkt seinen Verpflichtungen unter internationalem Recht, Zivilisten, Hilfsmitarbeiter und medizinisches Personal zu schützen, keine Beachtung.“
Auch der Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei, Ed Davey, forderte die Regierung auf, Waffenexporte an Israel sofort einzustellen. „Die Vorstellung, dass britische Waffen in einem solchen Angriff verwendet wurden, ist völlig inakzeptabel“, sagte Davey.
Außenminister David Cameron ließ am Mittwoch durchblicken, dass er Israels Versprechen, den Vorfall vollständig zu untersuchen, eher skeptisch sieht. Die Regierung Netanjahu müsse jetzt „sehr, sehr schnell“in die Gänge kommen. „Wir haben solche Versprechen schon öfter gehört – das muss jetzt wirklich passieren.“
Cameron zählt innerhalb der britischen Regierung zu den schärferen Kritikern des israelischen Vorgehens im Gazastreifen. Vor zwei Wochen beschuldigte er die israelische Regierung in einem wütenden Brief, die Lieferung von Hilfsgütern nach Gaza zu blockieren. Nach dem Angriff auf den Hilfskonvoi dürfte die britische Gangart gegenüber Israel noch ein Stück härter werden.
„Verstoß gegen humanitäres Recht“
Die Frage der Legalität von Waffenlieferungen wurde bereits am Wochenende aufgeworfen. Die Sonntagszeitung „The Observer“machte eine Audioaufnahme von einem parteiinternen Treffen der Tories publik. Darin sagt Abgeordnete Alicia Kearns: „Das Außenministerium hat offizielle Rechtsauskunft erhalten, dass Israel internationales humanitäres Recht gebrochen hat. Dies ist jedoch nicht öffentlich gemacht worden.“Tory-Politikerin Kearns ist Vorsitzende des außenpolitischen Unterhausausschusses. Wenn die Regierung eine solche Rechtsberatung tatsächlich erhalten haben sollte, müsste Großbritannien Waffenlieferungen umgehend einstellen.
Unterdessen hat WCK ihre Aktivitäten in Gaza eingestellt. Mindestens zwei weitere Hilfsorganisationen haben es der NGO gleichgetan: Es sei zu gefährlich für die Mitarbeiter. Hilfe wäre jedoch dringend nötig. Die humanitäre Situation im Gazastreifen verschlimmert sich von Tag zu Tag. Kürzlich warnte Volker Türk, der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, es gebe Hinweise, dass Israel Hunger als Kriegswaffe einsetze.