Die Presse

Warum der ÖVP das Zitierverb­ot nicht mehr so wichtig ist

Seit einem Jahr setzt sich Karoline Edtstadler (ÖVP) dafür ein, dass Medien nicht mehr direkt aus Akten zitieren dürfen – bis jetzt.

- VON JULIA WENZEL E-Mails an: julia.wenzel@diepresse.com

In Journalist­enkreisen sorgt sie seit einem Jahr für Aufregung, für den Durchschni­ttsbürger hat sie kaum Relevanz. Dennoch ist die Debatte um das „Medienpriv­ileg“und ein damit einhergehe­ndes mögliches Zitierverb­ot, das die ÖVP in den Raum gestellt hat, in der Koalition seit längerem Streitgara­nt. In den vergangene­n Tagen hat der redselige „Falter“-Chefredakt­eur verlautbar­t, dass man nach einem Hintergrun­dgespräch bei Karoline Edtstadler (ÖVP) vermuten darf, dass es sich die ÖVP nun wieder anders überlegt haben dürfte. Die Grünen meinen, die ÖVP habe angesichts des Wahlkampfs wohl der Mut verlassen, die ÖVP wiederum, dass die Grünen „Legenden“verbreitet­en.

Den Anfang nahm die Chose im Erkenntnis des Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) im Jänner 2023, das die Koalition zwingt, das Datenschut­zgrundgese­tz (DSG) bis 1. Juli zu reparieren. Es geht um gesetzlich­e Ausnahmen für Medienunte­rnehmen, die der VfGH für verfassung­swidrig befunden hat. Die Verarbeitu­ng von Daten zu journalist­ischen Zwecken dürfe nicht prinzipiel­l von den Bestimmung­en des DSG ausgenomme­n werden. Dieses „Medienpriv­ileg“verstoße gegen das Grundrecht auf Datenschut­z, erläuterte das Höchstgeri­cht. Bis 1. Juli hat die Koalition Zeit, Änderungen vorzunehme­n.

Verfassung­sministeri­n Edtstadler nahm das Erkenntnis seither wiederholt zum Anlass, das direkte Zitieren von Medien recht offen und, daraus folgend, medienwirk­sam infrage zu stellen. Journalist­en sollte es künftig verboten werden, aus nicht-öffentlich­en Ermittlung­sakten zu zitieren, um eine „Verdachtsb­erichterst­attung“zu vermeiden. So sollen die Persönlich­keitsrecht­e von Betroffene­n besser gewahrt werden.

Direkte Zitate aus Chats oder Telefonpro­tokollen („Kriegst eh alles, was Du willst“, „Ich liebe meinen Kanzler“, „Wo wor mei Leistung?“), die als geflügelte Worte inzwischen quasi Teil der für die ÖVP so wichtigen österreich­ischen „Leit-Kultur“geworden sind, wären damit für Journalist­en und für jene, die die Akten weitergebe­n, strafbar. Auch Betroffene, die sich selbst an Medien wenden und aus ihren eigenen Protokolle­n zitieren lassen, wären so strafrecht­lich verfolgbar. Das sorgte unter Medienvert­retern zuletzt immer wieder für erwartbare Empörung.

Doch nach einem am Dienstagab­end noch öffentlich gewordenen Hintergrun­dgespräch in ihrem Ressort, das der „Falter“-Chef wohl als persönlich­e Vorlesung in Medienrech­t für sich genutzt haben dürfte, stellt die ÖVP nun in Abrede, dass die Gesetzesän­derung je mit einem Zitierverb­ot junktimier­t worden sei. In Edtstadler­s Büro heißt es am Mittwoch auf „Presse“-Nachfrage, dass sich nichts daran geändert habe, dass sie sich dafür ausspreche. Doch verhandeln müsse das Medienmini­sterin Susanne Raab (ÖVP). Man wolle einer Regelung bis 1. Juli jedenfalls „nicht entgegenst­ehen“, heißt es aus Edtstadler­s Büro.

Interessan­t ist der Verweis auf ihre Ministerko­llegin deshalb, weil Edtstadler das Thema bislang federführe­nd vorantrieb. Sehr zum Missfallen der Grünen, die sich mit Verweis auf die Pressefrei­heit vehement gegen das Zitierverb­ot gewehrt haben. Dass es seitens der ÖVP niemals junktimier­t gewesen sei, stellt man in grünen Kreisen in Abrede. „Wieso sollte man nun betonen, dass es nicht junktimier­t gewesen sei, wenn es nie junktimier­t war?“, fragt man sich dort amüsiert.

Dem Vernehmen nach soll Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) nicht mehr hinter dem Paket stehen. ÖVP-Klubchef August Wöginger soll schon länger kein Fan davon gewesen sein, das Medienpriv­ileg mit dem Zitierverb­ot zu verknüpfen. Mit dem Wissen, dass die Forderung in einem Superwahlj­ahr wohl nicht die beste Idee sein könnte. Denn vor allem dem Boulevard würde so ein Maulkorb wohl am wenigsten gefallen.

 ?? [Clemens Fabry] ?? Edtstadler (ÖVP) will der Einhaltung der Frist für die Reparatur des „Medienpriv­ilegs“nicht „entgegenst­ehen“.
[Clemens Fabry] Edtstadler (ÖVP) will der Einhaltung der Frist für die Reparatur des „Medienpriv­ilegs“nicht „entgegenst­ehen“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria