„Wir sind Festivalmenschen“
Am Freitag startet das 100-tägige Kunstfestival Klimabiennale. Das Leitungsteam, Sithara Pathirana und Claudius Schulze, will für Glitzern sorgen.
Es wuselt in der alten Lagerhalle: An einem Ende wird gerade eine Holzbühne gezimmert, am anderen eine mehrere Meter lange bemalte Leinwand aufgehängt, dazwischen fährt ein Arbeiter mit dem Skateboard hin und her. So kommt man auf dem langgestreckten Festivalgelände auf dem Nordwestbahnhof schneller voran.
„Wir kämpfen jeden Tag damit, dass der Tag nur 27 Stunden hat.“Der freudsche Versprecher von Claudius Schulze zeigt es schon: Viel Zeit ist nicht mehr bis zur Eröffnung der Klimabiennale, deren Leitung der deutsche Künstler und Forscher Schulze und die Grazer Kulturmanagerin Sithara Pathirana übernommen haben. Ab Freitag wird Wien 100 Tage lang zum Schauplatz des bis dato wohl größten internationalen Kunstfestivals, das sich dem Klima verschrieben hat.
Und zwar in all seinen Facetten: „Wenn es ums Klima geht, geht es eigentlich um alle Themen, auch um politische, soziale, gesellschaftliche Fragen. Unser Festival ist gar nicht so eng auf Klima und Ökologie beschränkt, sondern beschäftigt sich auch mit CareThemen, mit Trauer, mit Dingen, die einen berühren“, sagt Pathirana.
Es sei das, was Kunst letztlich auch der Wissenschaft oder dem Journalismus voraushabe: Die harten Fakten der Klimakrise, vor der sich manche Menschen auch verschließen, anders erfahrbar zu machen. „Das ist eine ganz wichtige Kraft“, sagt Schulze. „Aber der Auftrag von Kunst ist auch nicht, jemandem ein bestimmtes Wissen beizubringen, sondern eher die Frage zu stellen: Wie gehe ich mit dem Wissen um, was macht es mit mir?“, wirft Pathirana ein. Schulze: „Darum geht es auch in ‚Songs for the Changing Seasons‘: Wie fühlt es sich eigentlich an, dass wir in dieser Epoche der Klimakrise leben?“
Utopien entstehen lassen
Die angesprochene Gruppenschau, die die Gefühlswelt einer sich erhitzenden Erde auslotet, ist eine von drei Ausstellungen auf dem Festivalgelände am Nordwestbahnhof, wo aber noch viel mehr entstehen soll: eine urbane Utopie, ein Experimentierfeld. „Wir können auch in einer Post-1,5-Grad-Welt eine Gesellschaft haben, die nicht auf Verzicht ausgerichtet ist. Man kann Dinge vielleicht anders machen, ohne dass es weniger Spaß macht, weniger bunt oder weniger schön ist“, sagt Schulze.
Das sollen Besucherinnen und Besucher über Vorträge, Diskussionen, Workshops und Konzerte zwischen geretteten und in den Boden der Halle gepflanzten Bäumen erfahren, in der Festivalzentrale im Kunsthaus Wien (siehe unten) – oder sie lassen ihre Sinne in der Klima-Kantine anregen. Auch hier wird experimentiert: Über den Verlauf des Festivals soll sich die Speisekarte hin zu einer klimafreundlichen Ernährung verändern – von Wildschweinwürsteln bis zu Insektenproteinshakes.
Räume als Treffpunkt, um Netzwerke zu bilden, das sei dem Leitungsteam bei der Konzeption besonders wichtig gewesen. Um nicht nur Künstler, sondern auch viele andere, die sich mit Klima und all seinen Fragestellungen auseinandersetzen, von Wissenschaft über Bildung bis zum Sozialbereich, zusammenzubringen. „Wir haben gemerkt, dass da wirklich eine Lücke ist“, sagt Pathirana. „Ich bin davon überzeugt, dass dieser soziale Moment ganz wichtig für einen Diskurs ist. Und diesen können Festivals herstellen.“
Das haben Pathirana und Schulze schon öfter gemerkt, die seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Zuletzt haben sie 2022 das Climate Art Fest auf einem Schiff im Hamburger Hafen auf die Beine gestellt. Es sei wahrscheinlich das erste internationale Klimakunstfestival überhaupt gewesen, sagt Schulze. „In der Größe, wie es Wien macht, ist das wirklich auch ein Pionierprojekt“, stellt Pathirana fest.
Vor etwas mehr als einem Jahr kam die Zusage der Stadt für die Leitung des Festivals für heuer und noch einmal in zwei Jahren. Seitdem arbeite man quasi rund um die Uhr – oder eben die gefühlten 27 Stunden am Tag. „Man arbeitet eine sehr lange Zeit auf einen Moment hin, das wird immer intensiver. Aus dieser Konzentration entstehen dann natürlich auch die Energie und die Stärke, dieses Feuerwerk und Glitzern, die Festivals haben. Sithara und ich sind auf jeden Fall Festivalmenschen.“