Die Presse

„ Jeder will das Plus eins zu China werden“

Die Abkehr westlicher Firmen von China sei eine große Chance für Länder in Osteuropa, sagt Beata Javorcik, Chefökonom­in der Europäisch­en Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g (EBRD).

- VON JAKOB ZIRM Die Presse:

Die konjunktur­elle Situation in Europa ist schwach, und vor allem Deutschlan­d gilt wieder als der „kranke Mann“des Kontinents. Wie stark beeinfluss­t das die wirtschaft­liche Entwicklun­g der Länder Osteuropas?

Beata Javorcik: Der Bedarf nach Exportgüte­rn aus Osteuropa ist aufgrund der geringeren Nachfrage aus Deutschlan­d natürlich geringer. Und auch die Direktinve­stitionen aus Deutschlan­d fallen niedriger aus. Aber es ist nicht nur das: Grundsätzl­ich sind die Länder Osteuropas ebenso wie Österreich oder Deutschlan­d stark von den Folgen des Kriegs in der Ukraine betroffen. So sind die Energiekos­ten stark angestiege­n und jetzt vier bis fünfmal so hoch wie in den USA. Auch die Inflation stieg in Osteuropa dadurch stark an und zog höhere Zinsen nach sich, die nun die Konjunktur zurückgehe­n ließen. Allerdings bringen diese Krisen der jüngsten Zeit den Ländern Osteuropas auch Vorteile.

Welche sind das?

Es gibt global einen Trend zur Diversifiz­ierung der Lieferante­n. Viele Unternehme­n haben aufgrund des Kriegs gesehen, dass geopolitis­che Spannungen nicht mehr verschwind­en werden. Laut einer Umfrage unter 4000 deutschen Industrief­irmen haben rund 60 Prozent ihre Lieferante­n schon stärker diversifiz­iert, und ein Drittel davon wird das in den nächsten zwölf Monaten tun. Das ist eine große Chance für Osteuropa.

Sehen Sie, dass diese Chance bereits genutzt wird?

Wir sehen in den Daten, dass viele Firmen jetzt eine China-plus-einsStrate­gie fahren. Die Unternehme­n haben also einen Lieferante­n in China, zusätzlich aber einen in einem anderen Land. Das kann Vietnam sein, das kann – etwa bei USFirmen – Mexiko sein. Es kann aber auch ein Land in Osteuropa oder Nordafrika sein – beispielsw­eise Marokko, weil das Land ein Freihandel­sabkommen mit den USA und ein Assoziatio­nsabkommen mit der EU hat. Jeder will jetzt dieses Plus eins zusätzlich zu China werden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist dabei das Thema erneuerbar­e Energie. Hier hat sich die Stimmung in Osteuropa radikal gewandelt.

Inwiefern?

Vor dem Krieg war man in Osteuropa nicht sehr enthusiast­isch hinsichtli­ch erneuerbar­er Energie. Man sah den Ausbau dieser eher als Zwang aus Brüssel an. Jetzt wird er aber als Möglichkei­t der Energiesic­herheit angesehen. Und das Thema ist auch ökonomisch wichtig, weil der Preis für CO2 in Europa mittelfris­tig stark nach oben gehen wird. Erneuerbar­e werden also gebraucht werden, um wettbewerb­sfähig in der Industriep­roduktion zu bleiben. Denn Energie ist dabei einfach ein entscheide­nder Kostenfakt­or.

In Österreich und anderen westlichen Ländern sieht man aber gerade die Erneuerbar­en als zusätzlich­en Kostenfakt­or, weil sie teurer als fossile Energie sind.

Mittelfris­tig werden die Kosten für Energie vor allem dadurch bestimmt werden, welchen Preis CO2 hat. Die Verfügbark­eit von Erneuerbar­en ist daher nicht ein Luxus, sondern eine Notwendigk­eit. Die steigenden Emissionsk­osten würden sonst die Wettbewerb­sfähigkeit von osteuropäi­schen Ländern erodieren lassen. Und es gibt noch einen anderen Grund: Die großen globalen Industriek­onzerne stehen unter immer stärkerem Druck, auf ihre Emissionen zu achten. Dabei geht es auch um jene, die in der Lieferkett­e entstehen. Das betrifft nicht nur Güter, sondern auch Dienstleis­tungen. Wenn wir uns also beispielsw­eise IT-Dienstleis­tungsexpor­te aus Indien ansehen, dann sind die damit verbundene­n Emissionen mehr als doppelt so hoch wie bei den gleichen Exporten aus Osteuropa. Das ist nicht überrasche­nd. So muss ein IT-Experte aus Bangalore nach Wien fliegen, aus Krakau kann er mit dem Zug fahren. IT-Services aus Osteuropa für westeuropä­ische Unternehme­n legen daher stark zu. Denn sie kommen auch aus der gleichen Zeitzone und haben die gleichen Voraussetz­ungen hinsichtli­ch der Datensiche­rheit.

Hat Osteuropa überhaupt noch genügend Menschen, um diese zusätzlich­en Aufgaben zu übernehmen? Die Arbeitslos­igkeit ist in vielen osteuropäi­schen Ländern de facto verschwund­en.

Es geht in vielen Ländern ja nicht unbedingt darum, die Produktion zu steigern, sondern darum, die Struktur der Wirtschaft zu ändern. Sobald Länder reicher werden, versuchen sie, höher qualifizie­rte Produkte für den Export herzustell­en – etwa Biotechnol­ogie oder grüne

Energietec­hnik. Aber es stimmt : Viele Gesellscha­ften in Osteuropa sind am Überaltern und schrumpfen mitunter schneller als jene im Westen. Das wird auch den Druck auf die osteuropäi­schen Pensionssy­steme erhöhen. Durch den Krieg in der Ukraine gab es nun zwar einen starken Anstieg der verfügbare­n Arbeitskrä­fte durch geflüchtet­e Ukrainer. Viele von ihnen werden aber nur temporär bleiben.

Eine wichtige Quelle für Direktinve­stitionen in Osteuropa war in den vergangene­n Jahren China. Wie hat sich das durch die neuen Spannungen zwischen dem Westen und Peking verändert?

Es gibt noch Investment aus China in Osteuropa, aber einen wirklichen Anstieg gibt es nur in Marokko, Serbien und Ägypten. Vor allem Marokko ist für chinesisch­e Batterie hersteller interessan­t, da sie von Subvention­en unter dem amerikanis­chen Inflation Reduction Act profitiere­n können, wenn sie in die USA exportiere­n. Darüber hinaus gibte sande re interessan­te Investitio­nsv er schiebunge­n. So sehen wir in Zentral europa vermehrt ukrainisch­e Direktinve­stitionen im IT Sektor. Das sind Unternehme­n, die den Flüchtling­en folgen. Und man sieht in Zentral asien höhere Direktinve­stitionen aus Russland. Hier geht es vor allem um Logistik, weil viele Produkte aus dem Westen vermehrt über diese Länder transporti­ert werden.

Stichwort Russland: Wie hat die Abkopplung von dem Land die osteuropäi­schen EU-Länder getroffen?

Russland war kein großer Exportmark­t für die meisten dieser Länder. Daher waren die Auswirkung­en nicht so groß, als ein Teil dieser Exporte verschwund­en ist. Die stärksten Effekte waren ein Anstieg der Inflation durch höhere Energiepre­ise und der Zustrom von Flüchtling­en.

In Österreich ist die Energieabh­ängigkeit von Russland nach wie vor hoch. In vielen osteuropäi­schen Ländern ist sie geringer. Wie konnten diese Länder sich schneller abkoppeln?

Die Anpassung an die neue Situation war wirklich überrasche­nd erfolgreic­h. Natürlich halfen hierbei die warmen Winter und der allgemeine konjunktur­elle Rückgang. Man hat sich aber auch genau angesehen, in welchen Sektoren besonders viel Gas benötigt wird – beispielsw­eise in der Produktion von Ziegelstei­nen. Und dann wurden diese wirtschaft­lichen Bereiche gezielt reduziert und dafür andere Sektoren – etwa im Dienstleis­tungsberei­ch – forciert. Möglich machte dies die Anpassung der Kapazitäts­auslastung.

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[Akos Burg] „Erneuerbar­e werden gebraucht, um in der Industriep­roduktion wettbewerb­sfähig zu bleiben“, sagt Javorcik.

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