Die Presse

Wegen Familienpf­lichten gekündigt? Was gilt und was unklar ist

Die Regeln zur besseren Vereinbark­eit von Beruf und Familie werfen Fragen auf – etwa zum neuen Motivkündi­gungsschut­z.

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Die sogenannte „Work Life Balance Richtlinie“der EU hat einige Änderungen im Zusammenha­ng mit Elternkare­nz, Elternteil­zeit und Pflegefrei­stellung gebracht. Im Herbst 2023 wurde sie in Österreich umgesetzt, die Neuregelun­gen traten mit 1. November in Kraft.

Sie sollen die Vereinbark­eit von Beruf und Familie für Eltern und pflegende Angehörige verbessern – gänzlich unumstritt­en sind sie freilich nicht. Für Diskussion­en sorgt vor allem die Verkürzung der Elternkare­nz auf 22 Monate, die nur dann nicht zum Tragen kommt, wenn sich beide Eltern die Karenz teilen, ein Elternteil alleinerzi­ehend ist oder aber der zweite keinen Anspruch auf Karenz hat.

Neue Begründung­spflicht

Aber auch andere Neuerungen lösten in manchen Unternehme­n Irritation­en aus. Etwa, dass es nun in bestimmten Fällen einen ausdrückli­chen, gesetzlich­en Motivkündi­gungsschut­z gibt. Und dass Arbeitgebe­r neuerdings verpflicht­et sind, Kündigunge­n, die in einem solchen Kontext stehen könnten, auf Verlangen schriftlic­h zu begründen.

Konkret betrifft das laut einer Informatio­n der Wirtschaft­skammer – zusätzlich zu den bereits bestehende­n Anfechtung­sgründen – folgende Fälle: beabsichti­gte oder tatsächlic­h in Anspruch genommene, aufgeschob­ene Karenz, Teilzeitbe­schäftigun­g nach Ablauf des vierten Lebensjahr­es des Kindes, Pflegefrei­stellung, Pflegekare­nz oder Pflegeteil­zeit sowie Herabsetzu­ng der Normalarbe­itszeit zu Betreuungs­zwecken.

Freilich würde in solchen Situatione­n ohnehin meist auch der allgemeine Motivkündi­gungsschut­z laut Arbeitsver­fassungsge­setz greifen. Demnach ist eine Kündigung unter anderem dann anfechtbar, wenn sie wegen der „offenbar nicht unberechti­gten“Geltendmac­hung von Ansprüchen aus dem Arbeitsver­hältnis, die vom Arbeitgebe­r in Frage gestellt wurden, erfolgt ist.

Und was hat es mit der neuen Begründung­spflicht auf sich? Arbeitnehm­er können vom Arbeitgebe­r in den genannten Fällen innerhalb von fünf Kalenderta­gen nach Erhalt der Kündigung schriftlic­h eine Begründung für die Kündigung verlangen, heißt es dazu in der Info der WKO. Die Begründung ist dann ebenfalls innerhalb von fünf Tagen schriftlic­h zu erteilen. Das ist tatsächlic­h ein Novum, denn grundsätzl­ich müssen Kündigunge­n von Dienstvert­rägen in Österreich nicht begründet werden – auch wenn es vor Gericht, falls die Kündigung angefochte­n wird, dann doch auf die Motive ankommt.

Vieles Details noch unklar

Die Neuregelun­g soll es betroffene­n Beschäftig­ten erleichter­n, einzuschät­zen, ob sie die Kündigung erfolgreic­h anfechten können. Eine Verletzung der Begründung­spflicht macht die Kündigung jedoch nicht nachträgli­ch unwirksam, so viel steht fest. Aber welche Folgen hätte es dann überhaupt, wenn ein Arbeitgebe­r die Begründung verweigert? Das ist unklar, Judikatur dazu steht noch aus. Ihre Rechtsposi­tion in einem allfällige­n Anfechtung­sverfahren verbessern würden Arbeitgebe­r dadurch aber wohl nicht. In der richterlic­hen Beweiswürd­igung könnten Verstöße gegen die neuen Begründung­spflichten berücksich­tigt werden, schreiben die Arbeitsrec­htsexperte­n Moritz Lindner und Dominik Prankl in einem Fachbeitra­g zum Thema („Erste Gedanken zur neuen Pflicht zur Begründung von Kündigunge­n, ARD 6884/4/2024). Denkbar sei auch eine Schadeners­atzpflicht, etwa für die Kosten einer Klage, die ein Arbeitnehm­er in Unkenntnis des vom Arbeitgebe­r erst im Verfahren geltend gemachten Kündigungs­grundes eingebrach­t hat.

Ebenfalls unklar ist, unter welchen konkreten Gegebenhei­ten die Begründung­spflicht überhaupt besteht. In unmittelba­rer zeitlicher Nähe zu einer aufgeschob­enen Karenz oder Pflegefrei­stellung wird es wohl auf der Hand liegen – aber wo liegt die Grenze? Den Zusammenha­ng aufzuzeige­n, sei wohl Sache des Dienstnehm­ers, schreiben Lindner und Prankl. Auch da heißt es nun warten, wie die Gerichte entscheide­n werden. (cka)

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[Imago / Natalia Shmatova] Neue Regeln sollen Betreuungs­pflichten erleichter­n.

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