Strom, Gas: „Grundversorgung“steht allen zu
Muss der sogenannte Grundversorgungstarif nur finanzschwachen Haushalten angeboten werden? Oder doch allen, die darauf pochen? Das war lang strittig, der Verfassungsgerichtshof sprach ein Machtwort.
Wien. Wer hat Anspruch auf „Grundversorgung“mit Strom und Gas? Also auf einen Tarif, der nicht höher ist als jener, den die meisten Bestandskunden zahlen? Ob das allen Haushalten auf Wunsch zusteht oder auf jene eingeschränkt werden darf, denen sonst Energiearmut droht, war lang umstritten. Nun hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) darüber entschieden. Und – wie schon kurz berichtet – eine restriktive landesgesetzliche Regelung gekippt, die Versorgern ein weitreichendes Kündigungsrecht solcher Verträge eingeräumt hatte.
Verbraucherinnen und Verbrauchern stärkt das den Rücken, jedenfalls in Marktphasen mit starkem Preisauftrieb. Unter „normalen“Marktbedingungen werden sich ohnehin nur die wenigsten um den Grundversorgungstarif reißen. Denn dann überbieten einander die Lieferanten meist mit Neukundenrabatten. Wer einen neuen Vertrag abschließt – etwa bei einer Übersiedlung oder bei einem Anbieterwechsel – ist damit zumindest anfangs fast immer besser dran. Doch wie rasch sich das ändern kann, zeigte sich zuletzt vor rund zwei Jahren, als die Teuerung so richtig Fahrt aufnahm.
Unionsrecht als Basis
Aber welche Regeln gelten hier überhaupt? Laut Unionsrecht müssen Haushalte – und je nach innerstaatlicher Umsetzung auch Kleinunternehmen – Zugang zu einem transparenten, angemessenen, nicht diskriminierenden Strombzw. Gastarif bekommen. Geregelt ist das in der Elektrizitäts- bzw. Erdgas-Binnenmarktrichtlinie.
Österreich hat diese Vorgaben im Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (Elwog 2010) und im Gaswirtschaftsgesetz (GWG 2011) umgesetzt. Lieferanten, die Verbraucher mit Energie versorgen, müssen demnach einen Grundversorgungstarif veröffentlichen, der nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem der jeweilige Anbieter die größte Anzahl seiner Haushaltskunden beliefert.
Auf diesen Tarif haben Verbraucher und Kleinunternehmen Anspruch, falls sie sich dem Lieferanten gegenüber darauf berufen. Aber es gibt auch die Ausführungsgesetze der einzelnen Bundesländer. Und diese schränken die Grundversorgung mit Strom zum Teil stark ein. Eben darum ging es vor dem Verfassungsgerichtshof: Konsumenten hatten von ihrem Stromlieferanten den Grundversorgungstarif verlangt, das Unternehmen hatte das abgelehnt, mit dem Argument, diese Haushalte würden bereits mit Strom beliefert oder es sei ihnen zumindest ein Vertrag angeboten worden. Denn das NÖ Elektrizitätswesengesetz erlaubt es den Lieferanten, die Grundversorgung zu kündigen, wenn der Kunde mit einem anderen Anbieter einen Vertrag außerhalb der Grundversorgung abschließen kann.
Der VfGH hatte nun zu prüfen, ob dieses Kündigungsrecht gegen die bundesgesetzlichen Vorgaben verstößt. Zugleich stellte er jedoch – vor dem Hintergrund des Unionsrechts – auch die Verfassungsmäßigkeit der bundesgesetzlichen Regelung infrage. Konkret ging es ihm darum, ob die Pflicht, allen Haushalten auf Wunsch Grundversorgung anzubieten, zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte der Energieversorgungsunternehmen führt.
Nicht nur für Finanzschwache
Letztere Bedenken verwarf der VfGH dann jedoch. Er kam zum Schluss, dass der Grundversorgungstarif – von den unionsrechtlichen Vorgaben her – „die Versorgung aller Haushaltskunden zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen“sicherstellen soll. Und eben nicht bloß den Zweck hat, Finanzschwache vor Energiearmut zu bewahren (G 1102/2023 u. a.). Die Pflicht der Lieferanten, einen solchen Tarif anzubieten, liege insofern im öffentlichen Interesse. Er sei – auch „angesichts der selbst in der Energiepreiskrise geringen Anzahl von Kunden, die die Grundversorgung in Anspruch genommen haben“– weder unverhältnismäßig noch unsachlich.
Folgerichtig kippte der VfGH dann auch die Regelung im niederösterreichischen Landesgesetz, die es Lieferanten erlaubt, die Grundversorgung aufzukündigen, wenn ein anderer Anbieter zu einem Vertragsabschluss mit dem jeweiligen Kunden bereit ist. Dieses Kündigungsrecht sei grundsatzgesetzund damit verfassungswidrig, entschied der VfGH und hob es mit sofortiger Wirkung auf (G 122/2023).
Beispielwirkung
Aber welche Auswirkungen hat das für andere Bundesländer? Unmittelbar schlägt es nicht durch, wohl aber könnten vergleichbare Regelungen auch bald auf dem Prüfstand stehen. Ein Rechtsgutachten vom Juli 2022, das die Grazer Rechtsanwälte Stefan Schoeller und Daniel Heitzmann für den Energiepool Energo erstellt haben, wies ebenfalls auf die Diskrepanzen zwischen dem Bundesgesetz und einigen Landesgesetzen hin. Demnach gebe es nur in der Steiermark, in Oberösterreich und Tirol keine weiteren Voraussetzungen für die Grundversorgung mit Strom. Im Burgenland, in Salzburg und Wien könnten Anbieter jedoch – wie bisher in Niederösterreich – die Grundversorgung ablehnen, wenn ein anderer „zum Vertragsabschluss bereit ist“. In Vorarlberg gelte das dann, wenn der Tarif, den der andere Versorger anbietet, günstiger ist. In Kärnten müsse eine Grundversorgung nur erfolgen, wenn sie „zumutbar“ist.
Wird es also demnächst weitere Gesetzesprüfungsverfahren geben? Das kann durchaus sein, auch, weil die jüngste Energiepreiskrise noch nachwirkt. So gab der Verbraucherschutzverein (VSV) kürzlich in einer Aussendung bekannt, er unterstütze „rund 100 Gerichtsverfahren gegen verschiedene Lieferanten von Strom“, weil diese die Grundversorgung abgelehnt und sich auf verfassungswidrige landesgesetzliche Regelungen gestützt hätten.