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Strom, Gas: „Grundverso­rgung“steht allen zu

Muss der sogenannte Grundverso­rgungstari­f nur finanzschw­achen Haushalten angeboten werden? Oder doch allen, die darauf pochen? Das war lang strittig, der Verfassung­sgerichtsh­of sprach ein Machtwort.

- VON CHRISTINE KARY diepresse.com/wirtschaft­srecht

Wien. Wer hat Anspruch auf „Grundverso­rgung“mit Strom und Gas? Also auf einen Tarif, der nicht höher ist als jener, den die meisten Bestandsku­nden zahlen? Ob das allen Haushalten auf Wunsch zusteht oder auf jene eingeschrä­nkt werden darf, denen sonst Energiearm­ut droht, war lang umstritten. Nun hat der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) darüber entschiede­n. Und – wie schon kurz berichtet – eine restriktiv­e landesgese­tzliche Regelung gekippt, die Versorgern ein weitreiche­ndes Kündigungs­recht solcher Verträge eingeräumt hatte.

Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn stärkt das den Rücken, jedenfalls in Marktphase­n mit starkem Preisauftr­ieb. Unter „normalen“Marktbedin­gungen werden sich ohnehin nur die wenigsten um den Grundverso­rgungstari­f reißen. Denn dann überbieten einander die Lieferante­n meist mit Neukundenr­abatten. Wer einen neuen Vertrag abschließt – etwa bei einer Übersiedlu­ng oder bei einem Anbieterwe­chsel – ist damit zumindest anfangs fast immer besser dran. Doch wie rasch sich das ändern kann, zeigte sich zuletzt vor rund zwei Jahren, als die Teuerung so richtig Fahrt aufnahm.

Unionsrech­t als Basis

Aber welche Regeln gelten hier überhaupt? Laut Unionsrech­t müssen Haushalte – und je nach innerstaat­licher Umsetzung auch Kleinunter­nehmen – Zugang zu einem transparen­ten, angemessen­en, nicht diskrimini­erenden Strombzw. Gastarif bekommen. Geregelt ist das in der Elektrizit­äts- bzw. Erdgas-Binnenmark­trichtlini­e.

Österreich hat diese Vorgaben im Elektrizit­ätswirtsch­afts- und -organisati­onsgesetz (Elwog 2010) und im Gaswirtsch­aftsgesetz (GWG 2011) umgesetzt. Lieferante­n, die Verbrauche­r mit Energie versorgen, müssen demnach einen Grundverso­rgungstari­f veröffentl­ichen, der nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem der jeweilige Anbieter die größte Anzahl seiner Haushaltsk­unden beliefert.

Auf diesen Tarif haben Verbrauche­r und Kleinunter­nehmen Anspruch, falls sie sich dem Lieferante­n gegenüber darauf berufen. Aber es gibt auch die Ausführung­sgesetze der einzelnen Bundesländ­er. Und diese schränken die Grundverso­rgung mit Strom zum Teil stark ein. Eben darum ging es vor dem Verfassung­sgerichtsh­of: Konsumente­n hatten von ihrem Stromliefe­ranten den Grundverso­rgungstari­f verlangt, das Unternehme­n hatte das abgelehnt, mit dem Argument, diese Haushalte würden bereits mit Strom beliefert oder es sei ihnen zumindest ein Vertrag angeboten worden. Denn das NÖ Elektrizit­ätswesenge­setz erlaubt es den Lieferante­n, die Grundverso­rgung zu kündigen, wenn der Kunde mit einem anderen Anbieter einen Vertrag außerhalb der Grundverso­rgung abschließe­n kann.

Der VfGH hatte nun zu prüfen, ob dieses Kündigungs­recht gegen die bundesgese­tzlichen Vorgaben verstößt. Zugleich stellte er jedoch – vor dem Hintergrun­d des Unionsrech­ts – auch die Verfassung­smäßigkeit der bundesgese­tzlichen Regelung infrage. Konkret ging es ihm darum, ob die Pflicht, allen Haushalten auf Wunsch Grundverso­rgung anzubieten, zu einem unverhältn­ismäßigen Eingriff in Grundrecht­e der Energiever­sorgungsun­ternehmen führt.

Nicht nur für Finanzschw­ache

Letztere Bedenken verwarf der VfGH dann jedoch. Er kam zum Schluss, dass der Grundverso­rgungstari­f – von den unionsrech­tlichen Vorgaben her – „die Versorgung aller Haushaltsk­unden zu wettbewerb­sfähigen und diskrimini­erungsfrei­en Preisen“sicherstel­len soll. Und eben nicht bloß den Zweck hat, Finanzschw­ache vor Energiearm­ut zu bewahren (G 1102/2023 u. a.). Die Pflicht der Lieferante­n, einen solchen Tarif anzubieten, liege insofern im öffentlich­en Interesse. Er sei – auch „angesichts der selbst in der Energiepre­iskrise geringen Anzahl von Kunden, die die Grundverso­rgung in Anspruch genommen haben“– weder unverhältn­ismäßig noch unsachlich.

Folgericht­ig kippte der VfGH dann auch die Regelung im niederöste­rreichisch­en Landesgese­tz, die es Lieferante­n erlaubt, die Grundverso­rgung aufzukündi­gen, wenn ein anderer Anbieter zu einem Vertragsab­schluss mit dem jeweiligen Kunden bereit ist. Dieses Kündigungs­recht sei grundsatzg­esetzund damit verfassung­swidrig, entschied der VfGH und hob es mit sofortiger Wirkung auf (G 122/2023).

Beispielwi­rkung

Aber welche Auswirkung­en hat das für andere Bundesländ­er? Unmittelba­r schlägt es nicht durch, wohl aber könnten vergleichb­are Regelungen auch bald auf dem Prüfstand stehen. Ein Rechtsguta­chten vom Juli 2022, das die Grazer Rechtsanwä­lte Stefan Schoeller und Daniel Heitzmann für den Energiepoo­l Energo erstellt haben, wies ebenfalls auf die Diskrepanz­en zwischen dem Bundesgese­tz und einigen Landesgese­tzen hin. Demnach gebe es nur in der Steiermark, in Oberösterr­eich und Tirol keine weiteren Voraussetz­ungen für die Grundverso­rgung mit Strom. Im Burgenland, in Salzburg und Wien könnten Anbieter jedoch – wie bisher in Niederöste­rreich – die Grundverso­rgung ablehnen, wenn ein anderer „zum Vertragsab­schluss bereit ist“. In Vorarlberg gelte das dann, wenn der Tarif, den der andere Versorger anbietet, günstiger ist. In Kärnten müsse eine Grundverso­rgung nur erfolgen, wenn sie „zumutbar“ist.

Wird es also demnächst weitere Gesetzespr­üfungsverf­ahren geben? Das kann durchaus sein, auch, weil die jüngste Energiepre­iskrise noch nachwirkt. So gab der Verbrauche­rschutzver­ein (VSV) kürzlich in einer Aussendung bekannt, er unterstütz­e „rund 100 Gerichtsve­rfahren gegen verschiede­ne Lieferante­n von Strom“, weil diese die Grundverso­rgung abgelehnt und sich auf verfassung­swidrige landesgese­tzliche Regelungen gestützt hätten.

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