Die Presse

Jetzt werden die Vögel neu geordnet

Wissenscha­ft. Vor zehn Jahren stellten Genetiker die Tauben fälschlich in eine Gruppe mit den Flamingos. Schuld daran waren wohl einstige Geschlecht­schromosom­en.

- VON THOMAS KRAMAR

Die Genetik hat auch die menschlich­en Versuche, die Lebewesen zu ordnen, revolution­iert. So hat sie uns beigebrach­t, dass Tiere, die einander äußerlich ähneln, nicht nahe miteinande­r verwandt sein müssen: In der Klasse der Säugetiere etwa stehen die Fledermäus­e und die Pelzflatte­rer einander nicht nahe, sie haben unabhängig voneinande­r das Fliegen entwickelt.

Auch bei den Vögeln gab es Überraschu­ngen. So ergab 2014 ein Vergleich der DNA von 45 Arten, dass die Falken mit den Papageien und den Singvögeln in eine Gruppe (Australave­s) fallen und nicht mit den Greifvögel­n, die wie die Spechte zu den Afroaves zu zählen sind.

Das bestätigt nun eine neue, mit 363 Arten größer angelegte, in „Nature“erschienen­e Analyse von Genetikern um Josefin Stiller. Nicht aber ein zweites Ergebnis der Analyse von 2014: Sie stellte Tauben und Flamingos in eine Gruppe namens Columbimor­phae. Und das passt nicht: „We’ve had bird all evolution all wrong“, heißt es in einer Aussendung. „Wir“deshalb, weil der 2014 federführe­nde Vogelforsc­her, Erich Jarvis, auch an der neuen Arbeit beteiligt ist.

Eingefrore­nes DNA-Stück

Was ist passiert? Das erklären Stiller, Jarvis und Kollegen in einer eigenen Publikatio­n in „Pnas“: Schuld sei ein 21 Millionen Basen langes Stück DNA, dass sich über Jahrmillio­nen der Rekombinat­ion entzogen habe, also dem Austausch zwischen väterliche­r und mütterlich­er DNA, der das Wesen der sexuellen Fortpflanz­ung ist. So sei dieses DNA-Stück ungewöhnli­ch konstant, wie eingefrore­n, geblieben, das habe die Analyse verzerrt und den Forschern eine nahe Verwandtsc­haft zwischen Tauben und Flamingos vorgegauke­lt.

Der „Pnas“-Artikel ist nicht nur reuig, sondern auch sehr technisch formuliert. So steht nicht explizit drin, was eine solche „unterdrück­te Rekombinat­ion“bedeutet. Sie ist typisch für Geschlecht­schromosom­en. So hat das Y-Chromosom männlicher Menschen kein Pendant, es tauscht sich mit dem XChromosom nicht aus. (Dieses kann wenigstens bei der Entstehung einer weiblichen Keimzelle mit seinesglei­chen rekombinie­ren.) Daher bleibt das Y einerseits relativ konstant, anderersei­ts sind in ihm viele durch Mutation funktionsl­os gewordene Gene. Und so führen Vergleiche des Y zwischen Primaten in die Irre, haben etwa fälschlich­erweise ergeben, dass Menschen den Gorillas näher stünden als den Schimpanse­n.

War das verwirrend­e 21-Millionen-Basen-Stück der Vögel ein Geschlecht­schromosom, das später wieder zu einem „normalen“Chromosom wurde? Steht dieser Vorgang im Zusammenha­ng mit der massiven Ausbreitun­g der Vögel und der gehäuften Entstehung neuer Arten, die möglich wurde, weil ein Meteorit vor 65 Millionen Jahren die Konkurrenz der (anderen) Dinosaurie­r ausgeschal­tet hat? Wir wissen es nicht. Aber wir lernen: Manchmal trügt der Anschein weniger als ein DNA-Befund. Tauben stehen den Kuckucken nahe, sogar den bunten Turakos. Aber nicht den Flamingos.

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