Jetzt werden die Vögel neu geordnet
Wissenschaft. Vor zehn Jahren stellten Genetiker die Tauben fälschlich in eine Gruppe mit den Flamingos. Schuld daran waren wohl einstige Geschlechtschromosomen.
Die Genetik hat auch die menschlichen Versuche, die Lebewesen zu ordnen, revolutioniert. So hat sie uns beigebracht, dass Tiere, die einander äußerlich ähneln, nicht nahe miteinander verwandt sein müssen: In der Klasse der Säugetiere etwa stehen die Fledermäuse und die Pelzflatterer einander nicht nahe, sie haben unabhängig voneinander das Fliegen entwickelt.
Auch bei den Vögeln gab es Überraschungen. So ergab 2014 ein Vergleich der DNA von 45 Arten, dass die Falken mit den Papageien und den Singvögeln in eine Gruppe (Australaves) fallen und nicht mit den Greifvögeln, die wie die Spechte zu den Afroaves zu zählen sind.
Das bestätigt nun eine neue, mit 363 Arten größer angelegte, in „Nature“erschienene Analyse von Genetikern um Josefin Stiller. Nicht aber ein zweites Ergebnis der Analyse von 2014: Sie stellte Tauben und Flamingos in eine Gruppe namens Columbimorphae. Und das passt nicht: „We’ve had bird all evolution all wrong“, heißt es in einer Aussendung. „Wir“deshalb, weil der 2014 federführende Vogelforscher, Erich Jarvis, auch an der neuen Arbeit beteiligt ist.
Eingefrorenes DNA-Stück
Was ist passiert? Das erklären Stiller, Jarvis und Kollegen in einer eigenen Publikation in „Pnas“: Schuld sei ein 21 Millionen Basen langes Stück DNA, dass sich über Jahrmillionen der Rekombination entzogen habe, also dem Austausch zwischen väterlicher und mütterlicher DNA, der das Wesen der sexuellen Fortpflanzung ist. So sei dieses DNA-Stück ungewöhnlich konstant, wie eingefroren, geblieben, das habe die Analyse verzerrt und den Forschern eine nahe Verwandtschaft zwischen Tauben und Flamingos vorgegaukelt.
Der „Pnas“-Artikel ist nicht nur reuig, sondern auch sehr technisch formuliert. So steht nicht explizit drin, was eine solche „unterdrückte Rekombination“bedeutet. Sie ist typisch für Geschlechtschromosomen. So hat das Y-Chromosom männlicher Menschen kein Pendant, es tauscht sich mit dem XChromosom nicht aus. (Dieses kann wenigstens bei der Entstehung einer weiblichen Keimzelle mit seinesgleichen rekombinieren.) Daher bleibt das Y einerseits relativ konstant, andererseits sind in ihm viele durch Mutation funktionslos gewordene Gene. Und so führen Vergleiche des Y zwischen Primaten in die Irre, haben etwa fälschlicherweise ergeben, dass Menschen den Gorillas näher stünden als den Schimpansen.
War das verwirrende 21-Millionen-Basen-Stück der Vögel ein Geschlechtschromosom, das später wieder zu einem „normalen“Chromosom wurde? Steht dieser Vorgang im Zusammenhang mit der massiven Ausbreitung der Vögel und der gehäuften Entstehung neuer Arten, die möglich wurde, weil ein Meteorit vor 65 Millionen Jahren die Konkurrenz der (anderen) Dinosaurier ausgeschaltet hat? Wir wissen es nicht. Aber wir lernen: Manchmal trügt der Anschein weniger als ein DNA-Befund. Tauben stehen den Kuckucken nahe, sogar den bunten Turakos. Aber nicht den Flamingos.