Bei Salzburgs Festspielen muss es heißen: Haltung bewahren
Heute, Donnerstag, entscheidet sich die Zukunft des wichtigsten Sommerfestivals. Was dürfen wir von den Entscheidungsträgern erwarten?
Hört der österreichische Kulturkonsument, in Salzburg stünden kulturpolitische Entscheidungen an, zuckt er zusammen, als gebranntes Kind. Dem amtierenden Landeshauptmann war es zuletzt ja sogar gelungen, bei den Osterfestspielen einen der bedeutendsten Dirigenten unserer Zeit gegen einen Manager auszutauschen. Für den Außenstehenden nimmt sich ein Nikolaus Bachler eher zwergenhaft gegen einen Christian Thielemann aus.
Freilich, das wissen wir ja von Karl Kraus: Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten. So jubelten die Gazetten über Bachlers Osterbilanz: So viel Geld hat Salzburg lang nicht mehr eingenommen in der Karwoche! Man könnte da allerdings entgegnen: So weit vom ursprünglichen, höchst einleuchtenden Festspielkonzept des Gründervaters, Herbert von Karajan, war man zu Ostern noch nie entfernt. Zur Erinnerung: 1967 hieß es – angelehnt an die Ideen der Gründerväter der Sommerfestspiele –, man widme sich den bedeutendsten Opern, Symphonien und Chorwerken, gedeutet von den führenden Interpreten unter der Leitung des Publikumsmagneten Herbert von Karajan. Man startete gleich mit Wagners „Ring des Nibelungen“, dem Festspielwerk schlechthin.
Heuer gab man „La Gioconda“. Jetzt sage keiner, Komponist Amilcare Ponchielli könne es mit Wagner nicht aufnehmen: „Gioconda“war ausverkauft. Aber vermutlich nicht Ponchiellis wegen, sondern, weil Anna Netrebko und Jonas Kaufmann sangen. Was das mit Festspielen zu tun haben soll, noch dazu mit jenen, die allerhöchste Eintrittspreise verlangen, erschließt sich wiederum nicht leicht, denn eine solche Produktion würde auch in Gelsenkirchen voll. Skeptisch war letztlich auch das Publikum, sonst wäre die Gesamtauslastung der Osterfestspiele nicht bei 87 Prozent hängen geblieben. Die Oper war voll, aber warum hieß das Rundherum Festspiele?
Angst und bang wird einem daher, wenn man überlegt, dass die Entscheidungsträger, die diesen österlichen Kahlschlag zu verantworten haben, heute über die Zukunft der Sommerfestspiele zu entscheiden haben. Ob dafür wohl Kandidaten infrage kommen, die in beindruckender Suada künstlerische Größe suggerieren, unter deren Verpackung sich unter Umständen aber lediglich Gewinnmaximierung bei höchstem programmatischen Wurschtigkeitsfaktor verbirgt?
Die Sache ist ernst. Auch deshalb, weil im Festspielbezirk ausgiebige Restaurierungsarbeiten anstehen. Da bedarf es einer konsistenten künstlerischen Programmierung, die auch den einen oder anderen Sommer ohne das Festspielhaus auskommen kann. Da erhöbe sich selbst dann, wenn man eine Petitesse wie „La Gioconda“spielen zu müssen glaubt, weil die Netrebko gerade nichts anderes singen möchte, die Frage: Wo könnte man eine solche Premiere abhalten?
Zur Beantwortung dieser und zahlloser weiterer Fragen, die sich notwendigerweise stellen werden, sollte ein Festspielmacher oder eine Festspielmacherin Salzburg wie ihre Westentasche kennen. Und vor allem: Es gehört nebst grundlegenden Repertoirekenntnissen auch ein gediegenes Maß an Erfahrung im komplexen Musiktheaterbetrieb dazu, um den Festspieltanker durch die zu erwartenden chaotischen Zeiten zu manövrieren.
Wie leichtfertig man an der Salzach beim Überbordwerfen von Kompetenz ist, wissen wir mittlerweile. Auf wortgewaltige Kandidaten, die blumig Konzepte und bunte Ideen anzupreisen verstehen, fällt man leicht herein. Um solche Konzepte geht es natürlich auch; aber vor allem einmal geht es ums Metier, den rechten Umgang mit dem Allerhöchsten in der Kunst. Die reiche Festspielgeschichte, die nicht erst, wie viele meinen, in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, sondern 70 Jahre früher begonnen hat, nennt glaubwürdige Zeugen – seit Strauss, Hofmannsthal und Max Reinhardt. Es geht nicht nur darum, nicht unterzugehen. Man muss dabei auch Haltung bewahren.
Man glaubt, eine Petitesse wie „La Gioconda“spielen zu müssen, weil die Netrebko gerade nichts anderes singen möchte.