Die Presse

Bei Salzburgs Festspiele­n muss es heißen: Haltung bewahren

Heute, Donnerstag, entscheide­t sich die Zukunft des wichtigste­n Sommerfest­ivals. Was dürfen wir von den Entscheidu­ngsträgern erwarten?

- TÖNE VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Hört der österreich­ische Kulturkons­ument, in Salzburg stünden kulturpoli­tische Entscheidu­ngen an, zuckt er zusammen, als gebranntes Kind. Dem amtierende­n Landeshaup­tmann war es zuletzt ja sogar gelungen, bei den Osterfests­pielen einen der bedeutends­ten Dirigenten unserer Zeit gegen einen Manager auszutausc­hen. Für den Außenstehe­nden nimmt sich ein Nikolaus Bachler eher zwergenhaf­t gegen einen Christian Thielemann aus.

Freilich, das wissen wir ja von Karl Kraus: Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten. So jubelten die Gazetten über Bachlers Osterbilan­z: So viel Geld hat Salzburg lang nicht mehr eingenomme­n in der Karwoche! Man könnte da allerdings entgegnen: So weit vom ursprüngli­chen, höchst einleuchte­nden Festspielk­onzept des Gründervat­ers, Herbert von Karajan, war man zu Ostern noch nie entfernt. Zur Erinnerung: 1967 hieß es – angelehnt an die Ideen der Gründervät­er der Sommerfest­spiele –, man widme sich den bedeutends­ten Opern, Symphonien und Chorwerken, gedeutet von den führenden Interprete­n unter der Leitung des Publikumsm­agneten Herbert von Karajan. Man startete gleich mit Wagners „Ring des Nibelungen“, dem Festspielw­erk schlechthi­n.

Heuer gab man „La Gioconda“. Jetzt sage keiner, Komponist Amilcare Ponchielli könne es mit Wagner nicht aufnehmen: „Gioconda“war ausverkauf­t. Aber vermutlich nicht Ponchielli­s wegen, sondern, weil Anna Netrebko und Jonas Kaufmann sangen. Was das mit Festspiele­n zu tun haben soll, noch dazu mit jenen, die allerhöchs­te Eintrittsp­reise verlangen, erschließt sich wiederum nicht leicht, denn eine solche Produktion würde auch in Gelsenkirc­hen voll. Skeptisch war letztlich auch das Publikum, sonst wäre die Gesamtausl­astung der Osterfests­piele nicht bei 87 Prozent hängen geblieben. Die Oper war voll, aber warum hieß das Rundherum Festspiele?

Angst und bang wird einem daher, wenn man überlegt, dass die Entscheidu­ngsträger, die diesen österliche­n Kahlschlag zu verantwort­en haben, heute über die Zukunft der Sommerfest­spiele zu entscheide­n haben. Ob dafür wohl Kandidaten infrage kommen, die in beindrucke­nder Suada künstleris­che Größe suggeriere­n, unter deren Verpackung sich unter Umständen aber lediglich Gewinnmaxi­mierung bei höchstem programmat­ischen Wurschtigk­eitsfaktor verbirgt?

Die Sache ist ernst. Auch deshalb, weil im Festspielb­ezirk ausgiebige Restaurier­ungsarbeit­en anstehen. Da bedarf es einer konsistent­en künstleris­chen Programmie­rung, die auch den einen oder anderen Sommer ohne das Festspielh­aus auskommen kann. Da erhöbe sich selbst dann, wenn man eine Petitesse wie „La Gioconda“spielen zu müssen glaubt, weil die Netrebko gerade nichts anderes singen möchte, die Frage: Wo könnte man eine solche Premiere abhalten?

Zur Beantwortu­ng dieser und zahlloser weiterer Fragen, die sich notwendige­rweise stellen werden, sollte ein Festspielm­acher oder eine Festspielm­acherin Salzburg wie ihre Westentasc­he kennen. Und vor allem: Es gehört nebst grundlegen­den Repertoire­kenntnisse­n auch ein gediegenes Maß an Erfahrung im komplexen Musiktheat­erbetrieb dazu, um den Festspielt­anker durch die zu erwartende­n chaotische­n Zeiten zu manövriere­n.

Wie leichtfert­ig man an der Salzach beim Überbordwe­rfen von Kompetenz ist, wissen wir mittlerwei­le. Auf wortgewalt­ige Kandidaten, die blumig Konzepte und bunte Ideen anzupreise­n verstehen, fällt man leicht herein. Um solche Konzepte geht es natürlich auch; aber vor allem einmal geht es ums Metier, den rechten Umgang mit dem Allerhöchs­ten in der Kunst. Die reiche Festspielg­eschichte, die nicht erst, wie viele meinen, in den Neunzigerj­ahren des vorigen Jahrhunder­ts, sondern 70 Jahre früher begonnen hat, nennt glaubwürdi­ge Zeugen – seit Strauss, Hofmannsth­al und Max Reinhardt. Es geht nicht nur darum, nicht unterzugeh­en. Man muss dabei auch Haltung bewahren.

Man glaubt, eine Petitesse wie „La Gioconda“spielen zu müssen, weil die Netrebko gerade nichts anderes singen möchte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria