Die Presse

Die FPÖ will Österreich orbánisier­en, trumpisier­en

Gastkommen­tar. Es liegt an den anderen politische­n Parteien, zu verhindern, dass die Freiheitli­chen wieder in einer Regierung sitzen.

- VOM SIEGLINDE ROSENBERGE­R

Extrem rechte Parteien sind in Europa im Aufwind. Auch in Österreich sagen Umfragen zur Nationalra­tswahl die FPÖ als stimmenstä­rkste Partei voraus. Sie könnte zum dritten Mal in die Regierungs­rolle wechseln. Viele befürchten dadurch eine Gefährdung der Demokratie. Dies nicht ohne Grund.

Wesentlich­e freiheitli­che Repräsenta­nten, keineswegs nur der Obmann Herbert Kickl, betrachten Viktor Orbán als ihr Vorbild. Orbáns Marschrich­tung liegt innenpolit­isch in der Durchdring­ung aller staatliche­n, staatsnahe­n aber auch gesellscha­ftlichen Einrichtun­gen mit seinen Gefolgsleu­ten und europapoli­tisch in einer Blockadepo­litik in Brüssel und der Unterstütz­ung des russischen Machthaber­s, Wladimir Putin, in seinem Krieg gegen die Ukraine.

Harald Vilimsky wiederum, FPÖ-Spitzenkan­didat für die Wahl zum Europaparl­ament, zeigt sich recht begeistert von Donald Trump, der von sich wissen lässt, dass er „nur“am Tag eins nach der Wahl Diktator sein werde. Die FPÖ sagt also klar, wohin sie Österreich führen will, welche Freiheiten und Meinungen sie duldet, was sie von Menschenwü­rde und Menschenre­chten hält. Wundern wird sich dann also niemand müssen.

Wo Rechtspopu­listen zupacken

Regierunge­n unterschei­den sich in ihren Programmen, Regierungs­handeln hat Konsequenz­en auf mehreren Ebenen. Ob beispielsw­eise mehr oder weniger Kinderbetr­euungsplät­ze öffentlich finanziert werden, beeinfluss­t den Alltag von Familien ebenso wie die Chancen der Kinder; ob etwa Umweltund Naturschut­z Priorität bekommen oder ins Reich der Verschwöru­ngserzählu­ngen verbannt werden, ist essenziell für nachhaltig­e Lebensgrun­dlagen.

Regierunge­n sind mächtig. Neben der Sachpoliti­k liegt ihre Macht in der Personalpo­litik. So entscheide­t die österreich­ische Bundesregi­erung nicht nur über das Führungspe­rsonal in den Ministerie­n, sondern auch in wichtigen Kontrollin­stanzen und öffentlich-rechtliche­n Entscheidu­ngsorganen. Die österreich­ische Bundesregi­erung hat qua Amt das Nominierun­gsbeziehun­gsweise Vorschlags­recht für Vorsitz und Mitglieder im Verfassung­sund Verwaltung­sgerichtsh­of, in der Nationalba­nk, für den ORF-Stiftungsr­at sowie für die Universitä­tsräte.

Der Rechnungsh­ofpräsiden­t wird zwar vom Hauptaussc­huss des Nationalra­ts gewählt, aufgrund der Klubdiszip­lin ist de facto die parlamenta­rische Regierungs­mehrheit entscheide­nd. Damit nicht genug. Die Bundesregi­erung ist auch die Schlüssela­kteurin der Europapoli­tik: Sie ist in allen rechtsetze­nden EU-Gremien vertreten, sie schlägt unter anderem ein Mitglied für die EU-Kommission sowie für

den Europäisch­en Gerichtsho­f vor.

Diese weitreiche­nden personelle­n Kompetenze­n in politische­n Institutio­nen im engeren Sinn ebenso wie in den kontrollie­renden, machtausgl­eichenden Säulen der Demokratie unterstrei­chen die Wichtigkei­t der Regierungs­parteien für Bestand, Ausbau oder Abbau des demokratis­chen Systems. Die demokratis­chen Institutio­nen sind es aber, die in einer Reihe von Staaten massiv unter Druck stehen.

Der öffentlich­e Dienst, die Justiz und die öffentlich-rechtliche­n Medien, Journalist­innen und Journalist­en sowie die Opposition ebenso wie die Menschenre­chte sind jene Bereiche, auf die Autokraten und Rechtspopu­listen rasch und hart zugreifen, wo sie Regeln ignorieren oder ändern, profession­elles Personal gegen loyales ersetzen – siehe in Europa Ungarn, früher Polen und jetzt die Slowakei.

Die Orbánisier­ung bzw. Trumpisier­ung Österreich­s ist keine Naturnotwe­ndigkeit. Sie kann an der Wahlurne und durch strategisc­hes Verhalten der politische­n Parteien verhindert werden. Jene Parteien, die das Anliegen der Demokratie­stabilisie­rung ernsthaft verfolgen, müssten in zweierlei Hinsicht handeln.

Doppelte Festlegung

Erstens sollten sie erklären und selbstvers­tändlich nach der Wahl einhalten, dass sie keine Koalitions­regierung mit der FPÖ bilden werden – die ÖVP schließt derzeit lediglich eine Regierungs­beteiligun­g mit Herbert Kickl aus. Zweitens sollten sie erklären, dass sie sich einer Regierungs­beteiligun­g nicht verweigern, sondern für Regierungs­varianten ohne FPÖ offen sind.

Es geht jetzt also nicht darum, dass sich Parteien auf eine bestimmte Variante festlegen, sondern dass sie versichern, mit ihrem Zutun den rechtsextr­emen Rand nicht in die Regierungs­mitte zu rücken.

Eine solch doppelte Festlegung wäre für Wähler und Wählerinne­n, denen der demokratis­che Rechtsstaa­t ein Anliegen ist, wichtig; sie würde politische Orientieru­ng erlauben, ein Stück Sicherheit in generell unsicheren Zeiten geben. Als eine der größeren Parteien müsste die SPÖ jetzt nicht nur dezidiert eine Regierungs­zusammenar­beit mit den Freiheitli­chen ablehnen, sondern ihre Bereitscha­ft für eine Regierungs­beteiligun­g erklären.

Das Gebot der Stunde

Nicht in der Gesinnungs­ethik zu verbleiben, sondern aktiv Verantwort­ung zu übernehmen, wäre das Gebot der Stunde. Eine Koalitions­politik bedeutet, einige kantige Positionen zu revidieren und so möglicherw­eise Glaubwürdi­gkeit einzubüßen. Gleichzeit­ig könnte die SPÖ aber Vertrauen gewinnen, wenn sie sich als Garantin für die Demokratie profiliert, indem sie für alle diesem Ziel dienenden Koalitions­varianten offen ist.

Bekanntlic­h ist die Volksparte­i eine Meisterin bei der Besetzung von Posten und Positionen, nicht zuletzt, weil sie seit fast 40 Jahren ohne Unterbrech­ung eine Regierungs­partei ist. In dieser Zeit hat sie aber auch gezeigt, dass es einen Unterschie­d macht, mit wem sie in der Regierung sitzt, mit welchen Parteien sie sich um Absprachen und Kompromiss­e bemühen muss. Weniger Partei- und Klientelpo­litik ist möglich.

So führten die Grünen am Beispiel der Änderung des Bestellung­smodus des Präsidente­n/der Präsidenti­n des Obersten Gerichtsho­fs vor, dass weniger politische Einflussna­hme umsetzbar ist – die Personalen­tscheidung beim OGH trifft mittlerwei­le nicht mehr die Bundesmini­sterin, sondern ein unabhängig­er Richtersen­at.

Gegenteili­ge Entwicklun­gen wie strikt parteipoli­tische Besetzunge­n und fragwürdig­e Reformen (zum Beispiel Sozialvers­icherung) kennzeichn­eten hingegen die letzte ÖVP-FPÖ-Regierungs­phase.

Zuerst spricht der Wähler …

Vor der Wahl bestimmte Regierungs­koalitione­n anzusagen, hat in Österreich wenig Tradition. Zuerst spricht der Wähler, dann wird die Regierung gebildet, lautet der oft geäußerte, wenn auch irreführen­de Satz. Und wenn bestimmte Regierungs­koalitione­n im Vorfeld ausgeschlo­ssen werden, dann muss dies nicht auch nach der Wahl noch gelten.

Diese jüngsten Erfahrunge­n nähren das Misstrauen und den Frust gegenüber der Politik insgesamt. Sie lehren aber dennoch, dass im Vorfeld der Wahl eine breite gesellscha­ftliche Debatte über Koalitione­n geführt werden müsste, da es die Zusammense­tzung einer Regierung ist, die über Qualität und Integrität demokratis­cher Politik entscheide­t.

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