Zwei Hobbyboxer kämpfen für eine starke EU
Bundeskanzler Nehammer reiste zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen nach Paris. In Frankreichs Präsidenten, Emmanuel Macron, glaubt er einen Verbündeten für eine Erneuerung Europas gefunden zu haben.
Paris. Aprilwetter in Paris. Die Sonne bricht durch die Regenwolken im von Kies bedeckten Vorhof der Macht. Vor dem Élysée-Palast in der Modemeile Rue Faubourg de Honoré hat die Ehrenformation, die Garde Républicaine, Aufstellung genommen – mit blank polierten Säbeln, prächtigen Helmen samt schwarzem Pferdebusch. Als guter Hausherr ist Emmanuel Macron zur Mittagsstunde auf der Terrasse erschienen, um seinem Gast aus Wien ein paar Stufen und Schritte entgegenzugehen und ihn mit zupackender Herzlichkeit willkommen zu heißen.
Das quasimonarchische Zeremoniell in der Residenz des französischen Präsidenten macht Eindruck auf Karl Nehammer, den Reserveoffizier – der opulente Spiegelsaal, der Brokat, die Luster. Dabei war der österreichische Kanzler erst Ende Februar überraschend zur eilig einberufenen Ukraine-Konferenz Macrons im Élysée geladen, als der Gastgeber am Ende eine kleine Bombe hatte platzen lassen. Er hat mit der Idee von westlichen Bodentruppen in der Ukraine gespielt – und, typisch Macron, ein Tabu gebrochen. Das hat ihm viel Kritik eingetragen: von Joe Biden bis Olaf Scholz. Für Macron gehe es aus der Sicht Nehammers darum, Stärke gegenüber Wladimir Putin zu zeigen und ein Drohpotenzial aufzubauen.
Neutrale Friedensperspektive
Nehammer formuliert es im Gespräch mit Journalisten so: „Es verbietet sich für ein neutrales Land, eine militärische Eskalation anzudenken.“Er hat eher eine Friedensperspektive im Sinn: „Dafür brauchen wir mehr Verbündete.“Er denkt dabei an die Brics-Staaten, etwa an Indien, Brasilien, Südafrika. Mit Macron teilt Nehammer das Faible fürs Boxen, und als Gastgeschenk hat er ihm symbolträchtig rote Boxhandschuhe mitgebracht, die der 46-Jährige probehalber auch gleich überstreift. Macron, der Kämpfer und visionäre Vorkämpfer ohne tragfähige Mehrheit in der Nationalversammlung, hat innenpolitisch eine Reihe von Gegnern gegen sich: die Opposition, angeführt von Marine Le Pen, die Gewerkschaften, die Gelbwesten, die Bauern. Das Präsent trifft einen Punkt. Touché, würden die Franzosen sagen.
Umso mehr stürzt sich Frankreichs Präsident nach beinahe sieben Jahren im Amt in die Außenpolitik und in die Vorbereitung der Olympischen Spiele in Paris im Hochsommer, die zu einem Glanzpunkt seiner Präsidentschaft werden sollen. Erst kürzlich hat Frankreich die Terrorwarnstufe erhöht, und Macron bedankt sich ausdrücklich beim österreichischen Regierungschef für die Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus und die Zusammenarbeit der Geheimdienste. Nehammer, der frühere Innenminister, retourniert das Kompliment. Macron preist die Glock-Pistole, das globale österreichische Erfolgsmodell, und Nehammer die französischen Mistral-Raketen.
Reformgruppe in Wien
So geht das hin und her. Der österreichische Kanzler glaubt im französischen Präsidenten einen Verbündeten für eine neue, starke EU gefunden zu habe; einen Partner, der Schulter an Schulter für eine größere Deregulierung, für Freihandelsabkommen, für eine gemeinsame Zukunftsagenda und gegen eine „Verbotskultur“eintritt. Nehammer kleidet seine Weltsicht in einen Witz: „Die USA sind innovativ, China ist produktiv, die EU regulativ.“Nehammer macht sich jedenfalls für eine größere Wettbewerbsfähigkeit, für eine Stärkung des Europäischen Rats, eine Beschleunigung der Entscheidungen stark. In einer Woche wird der Kanzler selbst in Wien als Gastgeber für eine EU-Reformgruppe agieren. Dass Frankreich im Ernstfall für die eigenen nationalen Interessen einsteht, weiß wohl auch der Kanzler. Der dynamische Wirbelwind Macron ist womöglich also nur ein Partner auf Zeit.
Ohne den Gaza-Krieg kommt ein bilaterales Spitzengespräch dieser Tage nicht aus. Nehammer spricht sich gegen eine „TäterOpfer-Umkehr“im Zusammenhang mit der Hamas aus. An den Eckpunkten der NahostPolitik habe sich nichts geändert: „Zerschlagung“der islamistischen Terrororganisation und „Bekenntnis für eine Zweistaaten-Lösung“.