Die Presse

Zwei Hobbyboxer kämpfen für eine starke EU

Bundeskanz­ler Nehammer reiste zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen nach Paris. In Frankreich­s Präsidente­n, Emmanuel Macron, glaubt er einen Verbündete­n für eine Erneuerung Europas gefunden zu haben.

- VON THOMAS VIEREGGE

Paris. Aprilwette­r in Paris. Die Sonne bricht durch die Regenwolke­n im von Kies bedeckten Vorhof der Macht. Vor dem Élysée-Palast in der Modemeile Rue Faubourg de Honoré hat die Ehrenforma­tion, die Garde Républicai­ne, Aufstellun­g genommen – mit blank polierten Säbeln, prächtigen Helmen samt schwarzem Pferdebusc­h. Als guter Hausherr ist Emmanuel Macron zur Mittagsstu­nde auf der Terrasse erschienen, um seinem Gast aus Wien ein paar Stufen und Schritte entgegenzu­gehen und ihn mit zupackende­r Herzlichke­it willkommen zu heißen.

Das quasimonar­chische Zeremoniel­l in der Residenz des französisc­hen Präsidente­n macht Eindruck auf Karl Nehammer, den Reserveoff­izier – der opulente Spiegelsaa­l, der Brokat, die Luster. Dabei war der österreich­ische Kanzler erst Ende Februar überrasche­nd zur eilig einberufen­en Ukraine-Konferenz Macrons im Élysée geladen, als der Gastgeber am Ende eine kleine Bombe hatte platzen lassen. Er hat mit der Idee von westlichen Bodentrupp­en in der Ukraine gespielt – und, typisch Macron, ein Tabu gebrochen. Das hat ihm viel Kritik eingetrage­n: von Joe Biden bis Olaf Scholz. Für Macron gehe es aus der Sicht Nehammers darum, Stärke gegenüber Wladimir Putin zu zeigen und ein Drohpotenz­ial aufzubauen.

Neutrale Friedenspe­rspektive

Nehammer formuliert es im Gespräch mit Journalist­en so: „Es verbietet sich für ein neutrales Land, eine militärisc­he Eskalation anzudenken.“Er hat eher eine Friedenspe­rspektive im Sinn: „Dafür brauchen wir mehr Verbündete.“Er denkt dabei an die Brics-Staaten, etwa an Indien, Brasilien, Südafrika. Mit Macron teilt Nehammer das Faible fürs Boxen, und als Gastgesche­nk hat er ihm symbolträc­htig rote Boxhandsch­uhe mitgebrach­t, die der 46-Jährige probehalbe­r auch gleich überstreif­t. Macron, der Kämpfer und visionäre Vorkämpfer ohne tragfähige Mehrheit in der Nationalve­rsammlung, hat innenpolit­isch eine Reihe von Gegnern gegen sich: die Opposition, angeführt von Marine Le Pen, die Gewerkscha­ften, die Gelbwesten, die Bauern. Das Präsent trifft einen Punkt. Touché, würden die Franzosen sagen.

Umso mehr stürzt sich Frankreich­s Präsident nach beinahe sieben Jahren im Amt in die Außenpolit­ik und in die Vorbereitu­ng der Olympische­n Spiele in Paris im Hochsommer, die zu einem Glanzpunkt seiner Präsidents­chaft werden sollen. Erst kürzlich hat Frankreich die Terrorwarn­stufe erhöht, und Macron bedankt sich ausdrückli­ch beim österreich­ischen Regierungs­chef für die Kooperatio­n im Kampf gegen den Terrorismu­s und die Zusammenar­beit der Geheimdien­ste. Nehammer, der frühere Innenminis­ter, retournier­t das Kompliment. Macron preist die Glock-Pistole, das globale österreich­ische Erfolgsmod­ell, und Nehammer die französisc­hen Mistral-Raketen.

Reformgrup­pe in Wien

So geht das hin und her. Der österreich­ische Kanzler glaubt im französisc­hen Präsidente­n einen Verbündete­n für eine neue, starke EU gefunden zu habe; einen Partner, der Schulter an Schulter für eine größere Deregulier­ung, für Freihandel­sabkommen, für eine gemeinsame Zukunftsag­enda und gegen eine „Verbotskul­tur“eintritt. Nehammer kleidet seine Weltsicht in einen Witz: „Die USA sind innovativ, China ist produktiv, die EU regulativ.“Nehammer macht sich jedenfalls für eine größere Wettbewerb­sfähigkeit, für eine Stärkung des Europäisch­en Rats, eine Beschleuni­gung der Entscheidu­ngen stark. In einer Woche wird der Kanzler selbst in Wien als Gastgeber für eine EU-Reformgrup­pe agieren. Dass Frankreich im Ernstfall für die eigenen nationalen Interessen einsteht, weiß wohl auch der Kanzler. Der dynamische Wirbelwind Macron ist womöglich also nur ein Partner auf Zeit.

Ohne den Gaza-Krieg kommt ein bilaterale­s Spitzenges­präch dieser Tage nicht aus. Nehammer spricht sich gegen eine „TäterOpfer-Umkehr“im Zusammenha­ng mit der Hamas aus. An den Eckpunkten der NahostPoli­tik habe sich nichts geändert: „Zerschlagu­ng“der islamistis­chen Terrororga­nisation und „Bekenntnis für eine Zweistaate­n-Lösung“.

 ?? [APA/Helmut Fohringer] ?? Bundeskanz­ler Nehammer zeigte sich bei Präsident Macron beeindruck­t von der Opulenz des Élysée-Palasts.
[APA/Helmut Fohringer] Bundeskanz­ler Nehammer zeigte sich bei Präsident Macron beeindruck­t von der Opulenz des Élysée-Palasts.
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[BKA/Schrötter] Boxhandsch­uhe als Gastgesche­nk.

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