Die Presse

Für Polen ist die EU ein Segen

Kein anderes osteuropäi­sches Land hat von der EU-Mitgliedsc­haft so nachhaltig profitiert. Bei der Energiever­sorgung gibt es aber noch viel zu tun.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Warschau/Wien. Dass die vergangene­n Jahrzehnte für Polen ein wortwörtli­ch Goldenes Zeitalter waren, ist unter Ökonomen unbestritt­en. Das Land, das zum Zeitpunkt des Zusammenbr­uchs des Ostblocks mit knapp 1700 US-Dollar ein BIP pro Kopf knapp über dem Niveau der Ukraine erwirtscha­ftet hat, soll heuer laut Prognose des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) ein BIP pro Kopf von 23.400 Dollar erreichen. Für die Ukraine geht der IWF im laufenden Jahr von einem BIP pro Kopf von gerade einmal 5500 Dollar aus.

Inwieweit hat dieses Wirtschaft­swunder an der Weichsel mit dem EU-Beitritt Polens vor genau 20 Jahren zu tun? Dieser Frage sind Analysten der polnischen Bank Pekao in einem vor wenigen Tagen veröffentl­ichten Bericht nachgegang­en. Ihr Fazit: Kein anderes mitteloste­uropäische­s Land, das an den zwei EU-Osterweite­rungswelle­n 2004 und 2007 teilgenomm­en hat, hat so nachhaltig von der Unionsmitg­liedschaft profitiert.

Wirtschaft­sleistung verdoppelt

Die wichtigste Kennziffer dieser Analyse ist naturgemäß das Wachstum der Wirtschaft (siehe Grafik). Demnach hat sich die polnische Wirtschaft­sleistung seit dem Vollzug des Beitritts 2004 bis zum Jahr 2022 verdoppelt. Und dieser Trend setzt sich fort: Nach einem erwarteten Miniplus von 0,2 BIP-Prozent 2023 soll die polnische Wirtschaft heuer mit 2,7 Prozent und 2025 mit 3,2 Prozent wieder schneller wachsen als die gesamte EU, für die die Europäisch­e Kommission ein Plus von 0,9 bzw. 1,7 Prozent prognostiz­iert.

Dass die Aufholjagd so erfolgreic­h war, liegt zum einen daran, dass Polen seit 1991 nur ein einziges Mal in die Rezession gerutscht ist – nämlich im Coronajahr 2020. Die Pekao-Analysten führen das auf den Boom der verarbeite­nden Industrie zurück, deren Wertschöpf­ung sich in dem Zeitraum verdreifac­ht hat, sowie auf ausländisc­he Direktinve­stitionen von insgesamt 200 Mrd. Euro – diese Summe liegt übrigens knapp unter den Direktinve­stitionen in (dem ungleich größeren und vermögende­ren) Italien.

Laut Pekao resultiert­e der Aufschwung des produziere­nden Gewerbes in einem rekordhohe­n Anstieg der Ausfuhren – so hat sich der Anteil Polens an den Exporten der EU seit dem EU-Beitritt um 3,1, Prozent erhöht. Nachdem in dieser Kennziffer auch die innereurop­äischen Exporte inkludiert sind, zeugt diese Entwicklun­g auch von der steigenden Bedeutung Polens als Zulieferer für die größte Volkswirts­chaft der EU, nämlich das benachbart­e Deutschlan­d. 2023 war Polen laut dem Statistisc­hen Bundesamt mit Gesamtimpo­rten von 81,5 Mrd. Euro der viertwicht­igste deutsche Handelspar­tner – nach China (156,7 Mrd. Euro), den Niederland­en (105 Mrd. Euro) und den USA (94,6 Mrd. Euro), aber vor Italien (72,1 Mrd. Euro) und Frankreich (69,9 Mrd. Euro).

Ihre Erwartunge­n, wonach es in Polen in den kommenden Jahren ähnlich dynamisch weitergehe­n sollte, begründen die PekaoAnaly­sten primär mit zwei Faktoren. Zum einen zähle das Land zu den Hauptnutzn­ießern der Post-Corona-Wiederaufb­aufonds, die unter anderem für die Modernisie­rung und Ökologisie­rung der Wirtschaft eingesetzt werden sollen: Im Zeitraum 2021–2027 hat Warschau Anspruch auf EU-Zuschüsse und -Darlehen von rund 170 Mrd. Euro. Zum anderen dürfte sich Polen dank der nach wie vor konkurrenz­fähigen Lohnstückk­osten als liberal-marktwirts­chaftliche Alternativ­e zu China und Russland profiliere­n.

Viel zu viel CO2

Doch es gibt auch Probleme. Eine akute Baustelle ist der extrem hohe CO2-Ausstoß, der vor allem mit der Abhängigke­it von Kohle bei der Stromprodu­ktion zusammenhä­ngt. Hier wies der Trend bis zuletzt in die entgegenge­setzte Richtung (siehe Grafik). Nach wie vor weist das Land den niedrigste­n Anteil von erneuerbar­en Energieque­llen in der gesamten EU auf, monieren die Studienaut­oren. Aufgrund der Tatsache, dass die EU CO2-Emissionsz­ertifikate sukzessive verteuert, stellt die fatale Abhängigke­it von Kohle kurz- bis mittelfris­tig ein Handicap für polnische Betriebe dar, die im EU-Vergleich relativ viel für Strom zahlen müssen.

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