Für Polen ist die EU ein Segen
Kein anderes osteuropäisches Land hat von der EU-Mitgliedschaft so nachhaltig profitiert. Bei der Energieversorgung gibt es aber noch viel zu tun.
Warschau/Wien. Dass die vergangenen Jahrzehnte für Polen ein wortwörtlich Goldenes Zeitalter waren, ist unter Ökonomen unbestritten. Das Land, das zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Ostblocks mit knapp 1700 US-Dollar ein BIP pro Kopf knapp über dem Niveau der Ukraine erwirtschaftet hat, soll heuer laut Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein BIP pro Kopf von 23.400 Dollar erreichen. Für die Ukraine geht der IWF im laufenden Jahr von einem BIP pro Kopf von gerade einmal 5500 Dollar aus.
Inwieweit hat dieses Wirtschaftswunder an der Weichsel mit dem EU-Beitritt Polens vor genau 20 Jahren zu tun? Dieser Frage sind Analysten der polnischen Bank Pekao in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Bericht nachgegangen. Ihr Fazit: Kein anderes mittelosteuropäisches Land, das an den zwei EU-Osterweiterungswellen 2004 und 2007 teilgenommen hat, hat so nachhaltig von der Unionsmitgliedschaft profitiert.
Wirtschaftsleistung verdoppelt
Die wichtigste Kennziffer dieser Analyse ist naturgemäß das Wachstum der Wirtschaft (siehe Grafik). Demnach hat sich die polnische Wirtschaftsleistung seit dem Vollzug des Beitritts 2004 bis zum Jahr 2022 verdoppelt. Und dieser Trend setzt sich fort: Nach einem erwarteten Miniplus von 0,2 BIP-Prozent 2023 soll die polnische Wirtschaft heuer mit 2,7 Prozent und 2025 mit 3,2 Prozent wieder schneller wachsen als die gesamte EU, für die die Europäische Kommission ein Plus von 0,9 bzw. 1,7 Prozent prognostiziert.
Dass die Aufholjagd so erfolgreich war, liegt zum einen daran, dass Polen seit 1991 nur ein einziges Mal in die Rezession gerutscht ist – nämlich im Coronajahr 2020. Die Pekao-Analysten führen das auf den Boom der verarbeitenden Industrie zurück, deren Wertschöpfung sich in dem Zeitraum verdreifacht hat, sowie auf ausländische Direktinvestitionen von insgesamt 200 Mrd. Euro – diese Summe liegt übrigens knapp unter den Direktinvestitionen in (dem ungleich größeren und vermögenderen) Italien.
Laut Pekao resultierte der Aufschwung des produzierenden Gewerbes in einem rekordhohen Anstieg der Ausfuhren – so hat sich der Anteil Polens an den Exporten der EU seit dem EU-Beitritt um 3,1, Prozent erhöht. Nachdem in dieser Kennziffer auch die innereuropäischen Exporte inkludiert sind, zeugt diese Entwicklung auch von der steigenden Bedeutung Polens als Zulieferer für die größte Volkswirtschaft der EU, nämlich das benachbarte Deutschland. 2023 war Polen laut dem Statistischen Bundesamt mit Gesamtimporten von 81,5 Mrd. Euro der viertwichtigste deutsche Handelspartner – nach China (156,7 Mrd. Euro), den Niederlanden (105 Mrd. Euro) und den USA (94,6 Mrd. Euro), aber vor Italien (72,1 Mrd. Euro) und Frankreich (69,9 Mrd. Euro).
Ihre Erwartungen, wonach es in Polen in den kommenden Jahren ähnlich dynamisch weitergehen sollte, begründen die PekaoAnalysten primär mit zwei Faktoren. Zum einen zähle das Land zu den Hauptnutznießern der Post-Corona-Wiederaufbaufonds, die unter anderem für die Modernisierung und Ökologisierung der Wirtschaft eingesetzt werden sollen: Im Zeitraum 2021–2027 hat Warschau Anspruch auf EU-Zuschüsse und -Darlehen von rund 170 Mrd. Euro. Zum anderen dürfte sich Polen dank der nach wie vor konkurrenzfähigen Lohnstückkosten als liberal-marktwirtschaftliche Alternative zu China und Russland profilieren.
Viel zu viel CO2
Doch es gibt auch Probleme. Eine akute Baustelle ist der extrem hohe CO2-Ausstoß, der vor allem mit der Abhängigkeit von Kohle bei der Stromproduktion zusammenhängt. Hier wies der Trend bis zuletzt in die entgegengesetzte Richtung (siehe Grafik). Nach wie vor weist das Land den niedrigsten Anteil von erneuerbaren Energiequellen in der gesamten EU auf, monieren die Studienautoren. Aufgrund der Tatsache, dass die EU CO2-Emissionszertifikate sukzessive verteuert, stellt die fatale Abhängigkeit von Kohle kurz- bis mittelfristig ein Handicap für polnische Betriebe dar, die im EU-Vergleich relativ viel für Strom zahlen müssen.