Das Märchen von der Kaufkrafterhaltung
Inflation. Trotz hoher Lohnsteigerungen und üppiger Staatshilfen hat uns die hierzulande viel zu hohe Inflation beträchtlich ärmer gemacht. Höchste Zeit, wirklich gegenzusteuern.
Wir haben unsere Stellung als Spitzenreiter in der westeuropäischen Inflationsliga also auch im März souverän behauptet: Mit 4,2 Prozent lag die Teuerung in Österreich in diesem Monat laut Schnellschätzung der Statistik Austria fast doppelt so hoch wie im Europaschnitt. Und wie beim wichtigsten Handelspartner, Deutschland.
Eine blöde Geschichte für die Exportwirtschaft, wenn die Preise und damit auch die Kosten so davonziehen. Aber wenigstens sorgt die Regierung mit großzügig ausgeschütteten Hilfen dafür, dass uns – im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Ländern – die Kaufkraft erhalten bleibt.
Glauben Sie das auch? Ja? Immerhin geht die Regierung damit seit Monaten hausieren. Und es wird auch eifrig nacherzählt. Die rührende Story hat nur einen Fehler: Sie stimmt so einfach nicht. Und dafür gibt es vertrauenswürdige Zeugen.
Den Fiskalrat zum Beispiel. Der hat den Kaufkraftverlust der Beschäftigten und Pensionisten für die Zeit von Anfang 2022 bis Ende 2023 mit 10,5 Mrd. Euro beziffert. Das wären rund 1600 Euro pro Kopf. Die üppig ausgeschütteten staatlichen Teuerungshilfen sind da schon abgezogen, sonst wären die Einbußen um einige Milliarden höher.
Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Löhne und Pensionen der Teuerung immer um ein Jahr nachhinken. Die Anfang 2024 wirksam gewordenen üppigen Lohn- und Pensionserhöhungen, die in dieser Betrachtung naturgemäß nicht enthalten sind, werden das Problem wegen der unterdessen deutlich sinkenden Teuerungsrate also mildern, aber nicht beseitigen. Der Fiskalrat schätzt den Kaufkraftverlust dieser Gruppe bis Ende 2025 auf immer noch stolze 7,8 Milliarden Euro. Nach „Kaufkrafterhaltung“sieht das eher nicht aus.
Erhellend ist auch ein Blick auf ein Instrument, das die Nationalbank im Zuge ihrer Finanzbildungsoffensive entwickelt hat: den Kaufkraftrechner, der im Netz für jeden zugänglich ist (https://www.eurologisch.at/ docroot/kaufkraftrechner/#/). Der berechnet die Kaufkraft anhand der von der Statistik Austria erhobenen Preis- und Lohndaten, indem er die Preise einzelner Produkte in Relation zum Durchschnittseinkommen des jeweiligen Jahres setzt.
Und hier zeigt sich das Dilemma sehr viel plastischer und eindrücklicher als beim Jonglieren mit Milliardensummen. Ein paar Beispiele: Im Jahr 2021, also unmittelbar vor dem Abheben der Teuerungsraten, hat man um ein durchschnittliches Monatsgehalt 1134 Kilogramm Brot bekommen. 2023 waren es nur noch 978 Kilogramm. Ein Hunderter des Jahres 2021 war beim Bäcker im Vorjahr also nur noch 86 Euro wert. Die Lohnsteigerung in dieser Zeit ist in diesen Werten schon enthalten. Das ist schon eine enorme Einbuße an Kaufkraft in wenigen Jahren. In fast exakt gleicher Dimension spielt sich der Verlust bei Schweinefleisch ab. Dass sich die Kaufkraft beim Gaseinkauf mehr als halbiert hat, überrascht hier weniger. Eher schon, dass man um ein Durchschnittseinkommen immer noch fast so viel Flaschenbier wie 2021
(95 Prozent) bekommt.
Wie auch immer: Die
Inflation hat uns trotz hoher Lohnsteigerungen und staatlicher Hilfen deutlich ärmer gemacht.
Und dieser „Gap“geht nicht mehr weg, auch wenn er in den kommenden Jahren kleiner wird. Zumal die sogenannten Teuerungshilfen ja langsam auslaufen. Da helfen auch die recht kräftigen Lohnerhöhungen nichts. Inflation gibt es eben nicht gratis. Ganz nebenbei: Die noch viel größeren Kaufkraftverluste durch inflationäre Entwertung der zu niedrigen Zinsen etwa auf Sparkonten veranlagten Finanzvermögen, die in diesem Zeitraum an die 50 Milliarden Euro ausgemacht haben dürfte, sind in dieser Rechnung noch nicht enthalten.
Der Schaden ist jetzt angerichtet. Und er ist in Österreich wegen des hiesigen Versagens bei der Inflationsbekämpfung viel größer als in den meisten anderen westeuropäischen Ländern. Aber wie kommen wir da ohne noch größere Blessuren wieder heraus? Schließlich „hört Inflation nicht von allein auf“, wie die Agenda Austria in einer entsprechenden Abhandlung festgestellt hat. Nachsatz: „Fragen Sie in der Türkei oder Argentinien nach.“
Man kann jetzt darüber streiten, wie sinnvoll Markteingriffe gewesen wären, mit denen andere Länder gute Erfahrungen gemacht haben. Auf dem Strom- und Gasmarkt wären zeitlich begrenzte Interventionen wohl sinnvoll gewesen, wie man an der Gewinnexplosion der einschlägigen Versorger mitten in der Krise sehr leicht ablesen kann.
Die Hauptrolle des hausgemachten Anteils an der hohen Inflation spielt aber wohl die eigentümliche Art der Inflationsbekämpfung durch die Regierung: Man hat mit aller Gewalt die inflationsdämmenden Maßnahmen der EZB bekämpft. Während die versucht hat, Geld über hohe Zinsen aus dem Markt zu nehmen, hat man hierzulande zusätzlich hohe, schuldenfinanzierte Milliardenbeträge unters Volk gebracht. Dass eine solche Aufblähung der Geldmenge das ziemlich exakte Gegenteil von Inflationsbekämpfung ist, gehört eigentlich zum volkswirtschaftlichen Basiswissen.
Aber die richtige Reaktion auf diese Erkenntnis ist natürlich wenig populär. Schon gar nicht in Vorwahlzeiten. Und so haben wir jetzt eine Kombination des Schlechtesten aus allen Welten: hohe Inflation, hohe Belastung des Budgets unter dem Titel „Kaufkrafterhaltung“und trotzdem Kaufkraftverluste. Das nennt man wohl „Megaflop“.
Und den sollte man langsam zu korrigieren beginnen. Denn jeder weitere Monat mit der doppelten Inflationsrate des Euroschnitts belastet die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft enorm. Und die hat ohnehin schon genug Probleme. Immerhin sind wir gemeinsam mit Deutschland Wachstumsnachzügler geworden und werden derzeit in Sachen Konjunktur vom früher mitleidig belächelten „Club Med“gewaltig abgehängt.
Je länger wir warten, etwa bis nach den Herbstwahlen, desto größer werden die langfristigen Nachteile und damit die künftigen Kaufkraft- und Wohlstandsverluste. Da sollte der Wahlkampf keine Ausrede für unterlassenes Umsteuern mehr sein. Denn dass wirtschaftlicher Sachverstand in Vorwahlzeiten auch angesichts einer Krise vollkommen Pause hat, wollen wir jetzt doch nicht glauben. Zumindest bis zum Beweis des Gegenteils.