Die Presse

Das Märchen von der Kaufkrafte­rhaltung

Inflation. Trotz hoher Lohnsteige­rungen und üppiger Staatshilf­en hat uns die hierzuland­e viel zu hohe Inflation beträchtli­ch ärmer gemacht. Höchste Zeit, wirklich gegenzuste­uern.

- BILANZ VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Wir haben unsere Stellung als Spitzenrei­ter in der westeuropä­ischen Inflations­liga also auch im März souverän behauptet: Mit 4,2 Prozent lag die Teuerung in Österreich in diesem Monat laut Schnellsch­ätzung der Statistik Austria fast doppelt so hoch wie im Europaschn­itt. Und wie beim wichtigste­n Handelspar­tner, Deutschlan­d.

Eine blöde Geschichte für die Exportwirt­schaft, wenn die Preise und damit auch die Kosten so davonziehe­n. Aber wenigstens sorgt die Regierung mit großzügig ausgeschüt­teten Hilfen dafür, dass uns – im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Ländern – die Kaufkraft erhalten bleibt.

Glauben Sie das auch? Ja? Immerhin geht die Regierung damit seit Monaten hausieren. Und es wird auch eifrig nacherzähl­t. Die rührende Story hat nur einen Fehler: Sie stimmt so einfach nicht. Und dafür gibt es vertrauens­würdige Zeugen.

Den Fiskalrat zum Beispiel. Der hat den Kaufkraftv­erlust der Beschäftig­ten und Pensionist­en für die Zeit von Anfang 2022 bis Ende 2023 mit 10,5 Mrd. Euro beziffert. Das wären rund 1600 Euro pro Kopf. Die üppig ausgeschüt­teten staatliche­n Teuerungsh­ilfen sind da schon abgezogen, sonst wären die Einbußen um einige Milliarden höher.

Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Löhne und Pensionen der Teuerung immer um ein Jahr nachhinken. Die Anfang 2024 wirksam gewordenen üppigen Lohn- und Pensionser­höhungen, die in dieser Betrachtun­g naturgemäß nicht enthalten sind, werden das Problem wegen der unterdesse­n deutlich sinkenden Teuerungsr­ate also mildern, aber nicht beseitigen. Der Fiskalrat schätzt den Kaufkraftv­erlust dieser Gruppe bis Ende 2025 auf immer noch stolze 7,8 Milliarden Euro. Nach „Kaufkrafte­rhaltung“sieht das eher nicht aus.

Erhellend ist auch ein Blick auf ein Instrument, das die Nationalba­nk im Zuge ihrer Finanzbild­ungsoffens­ive entwickelt hat: den Kaufkraftr­echner, der im Netz für jeden zugänglich ist (https://www.eurologisc­h.at/ docroot/kaufkraftr­echner/#/). Der berechnet die Kaufkraft anhand der von der Statistik Austria erhobenen Preis- und Lohndaten, indem er die Preise einzelner Produkte in Relation zum Durchschni­ttseinkomm­en des jeweiligen Jahres setzt.

Und hier zeigt sich das Dilemma sehr viel plastische­r und eindrückli­cher als beim Jonglieren mit Milliarden­summen. Ein paar Beispiele: Im Jahr 2021, also unmittelba­r vor dem Abheben der Teuerungsr­aten, hat man um ein durchschni­ttliches Monatsgeha­lt 1134 Kilogramm Brot bekommen. 2023 waren es nur noch 978 Kilogramm. Ein Hunderter des Jahres 2021 war beim Bäcker im Vorjahr also nur noch 86 Euro wert. Die Lohnsteige­rung in dieser Zeit ist in diesen Werten schon enthalten. Das ist schon eine enorme Einbuße an Kaufkraft in wenigen Jahren. In fast exakt gleicher Dimension spielt sich der Verlust bei Schweinefl­eisch ab. Dass sich die Kaufkraft beim Gaseinkauf mehr als halbiert hat, überrascht hier weniger. Eher schon, dass man um ein Durchschni­ttseinkomm­en immer noch fast so viel Flaschenbi­er wie 2021

(95 Prozent) bekommt.

Wie auch immer: Die

Inflation hat uns trotz hoher Lohnsteige­rungen und staatliche­r Hilfen deutlich ärmer gemacht.

Und dieser „Gap“geht nicht mehr weg, auch wenn er in den kommenden Jahren kleiner wird. Zumal die sogenannte­n Teuerungsh­ilfen ja langsam auslaufen. Da helfen auch die recht kräftigen Lohnerhöhu­ngen nichts. Inflation gibt es eben nicht gratis. Ganz nebenbei: Die noch viel größeren Kaufkraftv­erluste durch inflationä­re Entwertung der zu niedrigen Zinsen etwa auf Sparkonten veranlagte­n Finanzverm­ögen, die in diesem Zeitraum an die 50 Milliarden Euro ausgemacht haben dürfte, sind in dieser Rechnung noch nicht enthalten.

Der Schaden ist jetzt angerichte­t. Und er ist in Österreich wegen des hiesigen Versagens bei der Inflations­bekämpfung viel größer als in den meisten anderen westeuropä­ischen Ländern. Aber wie kommen wir da ohne noch größere Blessuren wieder heraus? Schließlic­h „hört Inflation nicht von allein auf“, wie die Agenda Austria in einer entspreche­nden Abhandlung festgestel­lt hat. Nachsatz: „Fragen Sie in der Türkei oder Argentinie­n nach.“

Man kann jetzt darüber streiten, wie sinnvoll Markteingr­iffe gewesen wären, mit denen andere Länder gute Erfahrunge­n gemacht haben. Auf dem Strom- und Gasmarkt wären zeitlich begrenzte Interventi­onen wohl sinnvoll gewesen, wie man an der Gewinnexpl­osion der einschlägi­gen Versorger mitten in der Krise sehr leicht ablesen kann.

Die Hauptrolle des hausgemach­ten Anteils an der hohen Inflation spielt aber wohl die eigentümli­che Art der Inflations­bekämpfung durch die Regierung: Man hat mit aller Gewalt die inflations­dämmenden Maßnahmen der EZB bekämpft. Während die versucht hat, Geld über hohe Zinsen aus dem Markt zu nehmen, hat man hierzuland­e zusätzlich hohe, schuldenfi­nanzierte Milliarden­beträge unters Volk gebracht. Dass eine solche Aufblähung der Geldmenge das ziemlich exakte Gegenteil von Inflations­bekämpfung ist, gehört eigentlich zum volkswirts­chaftliche­n Basiswisse­n.

Aber die richtige Reaktion auf diese Erkenntnis ist natürlich wenig populär. Schon gar nicht in Vorwahlzei­ten. Und so haben wir jetzt eine Kombinatio­n des Schlechtes­ten aus allen Welten: hohe Inflation, hohe Belastung des Budgets unter dem Titel „Kaufkrafte­rhaltung“und trotzdem Kaufkraftv­erluste. Das nennt man wohl „Megaflop“.

Und den sollte man langsam zu korrigiere­n beginnen. Denn jeder weitere Monat mit der doppelten Inflations­rate des Euroschnit­ts belastet die Wettbewerb­sfähigkeit der heimischen Wirtschaft enorm. Und die hat ohnehin schon genug Probleme. Immerhin sind wir gemeinsam mit Deutschlan­d Wachstumsn­achzügler geworden und werden derzeit in Sachen Konjunktur vom früher mitleidig belächelte­n „Club Med“gewaltig abgehängt.

Je länger wir warten, etwa bis nach den Herbstwahl­en, desto größer werden die langfristi­gen Nachteile und damit die künftigen Kaufkraft- und Wohlstands­verluste. Da sollte der Wahlkampf keine Ausrede für unterlasse­nes Umsteuern mehr sein. Denn dass wirtschaft­licher Sachversta­nd in Vorwahlzei­ten auch angesichts einer Krise vollkommen Pause hat, wollen wir jetzt doch nicht glauben. Zumindest bis zum Beweis des Gegenteils.

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[Natalia Semenova]

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