Die Presse

Thomas Gangls neue Baustelle

Der Noch-Borealis-Chef wird ab Juli Europachef beim Stahlkonze­rn Liberty Steel. Die Europazent­rale kommt nach Wien. Probleme erwarten ihn auch dort mehr als genug.

- VON MATTHIAS AUER

Es gibt ziemlich viel, worüber Thomas Gangl gerade nicht sprechen will. Über die OMV zum Beispiel, oder über die heimische Politik und die bis heute unvollende­te Megafusion seines Noch-Arbeitgebe­rs Borealis mit Borouge. Schließlic­h ist der gebürtige Oberösterr­eicher bis Ende Juni noch Konzernbos­s des heimischen Kunststoff­unternehme­ns. Sagen will er trotzdem etwas. „Deshalb habe ich mir heute extra einen Urlaubstag genommen, um hier sein zu können“, erklärt der Manager am Donnerstag vor Journalist­en. Und erzählt dann, wohin es ihn ab Juli verschlage­n wird.

Nach Jahrzehnte­n in der Öl- und Kunststoff­branche wechselt Thomas Gangl in die Stahlindus­trie. Er soll als Europachef des britischen Stahlkonze­rns Liberty Steel die Geschäfte am Kontinent stabilisie­ren und eine emissionsf­reie Stahlprodu­ktion bis zum Jahr 2030 umsetzen.

Schwerer Stand in Europa

Das sind steile Vorgaben, bedenkt man, dass deutlich größere und erfahrener­e Mitbewerbe­r die Erzeugung von grünem Stahl frühestens ein Jahrzehnt später für möglich halten. Liberty Steel ist zudem noch ein relativ junges Unternehme­n in Europa. Sanjeev Gupta, ein britischer Milliardär mit indischen Wurzeln, hat erst 2019 damit begonnen, angeschlag­ene Stahlwerke in Europa aufzukaufe­n und im Familienko­nglomerat GFG Alliance zu versammeln. Heute beschäftig­t der Konzern über 30.000 Mitarbeite­r, besitzt eine Mine in Australien und über 200 Standorte weltweit. In Europa hält Liberty Steel vor allem vier größere Stahlwerke in Tschechien, Ungarn, Rumänien und Polen, beschäftig­t 17.000 Mitarbeite­r und macht rund vier Milliarden Euro Umsatz.

Das Hauptquart­ier für dieses Europagesc­häft will Thomas Gangl zu Amtsantrit­t aus Rumänien nach Wien holen. Aber das wird wohl seine leichteste Übung gewesen sein. „Es ist kein Geheimnis, dass viele Stahlwerke in Europa nicht voll ausgelaste­t sind“, sagt der Manager. Auch Liberty Steel kann bei Weitem nicht so viel Stahl erzeugen (und verkaufen), wie theoretisc­h möglich wären: zwölf Millionen Tonnen. In Polen ist zumindest schon ein Lichtbogen­ofen installier­t. Aber das Werk in Tschechien steht seit über einem Jahr still. Seine Zukunft ist weiterhin unklar, der Unmut vor Ort groß. Erst Ende Februar demonstrie­rten Tausende Arbeiter für den Fortbestan­d des Unternehme­ns. Auch am rumänische­n Standort wurde in den vergangene­n Monaten nur sporadisch Stahl produziert.

Finanziell­e Nachwehen

All das soll Thomas Gangl ändern – und dabei auch noch die Stahlerzeu­gung auf klimafreun­dlichere Lichtbogen­öfen und später auf Wasserstof­f umstellen. Das dürfte in Summe weit mehr als eine Milliarde Euro kosten, stellt er in Aussicht. Ob es wirklich einen ausreichen­d großen Markt für teureren, grünen Stahl geben wird, ist ebenso unklar wie die Frage, woher all der Ökostrom und der grüne Wasserstof­f kommen soll, die für die Umstellung der Werke notwendig sein werden. „Europa ist kein einfaches Pflaster“, sagt Gangl selbst dazu. „Aber Wachstum findet außerhalb der Komfortzon­e statt. Das gilt auch für mich.“

Eine Herkulesau­fgabe, die nicht einfacher wird, wenn man bedenkt, dass Liberty Steel seit einigen Jahren mit finanziell­en Schwierigk­eiten kämpft. Genaue Finanzzahl­en gibt das familienge­führte Unternehme­n nicht bekannt. Der Umsatz bewege sich im zweistelli­gen Milliarden­bereich, viel mehr ließ sich auch der Europachef in spe nicht entlocken. Die Schwierigk­eiten bei Liberty Steel begannen im März 2021, als sein Hauptgeldg­eber, Greensill Capital, kollabiert­e. Das Familienko­nglomerat GFC Alliance soll bei Greensill Capital mit rund fünf Milliarden US-Dollar in der Kreide gestanden sein und suchte nach frischen Kapitalgeb­ern. Erst vor wenigen Tagen konnte Liberty Steel seine Umschuldun­g zumindest für das britische Geschäft abschließe­n. Die Vereinbaru­ng mit den neuen Kapitalgeb­ern sieht eine Restruktur­ierung und eine Verdoppelu­ng der Produktion in den britischen Werken vor. Ein ähnlicher Deal sei auch für das Europagesc­häft kurz vor dem Abschluss, so Gangl.

Familie statt Republik

Aber warum wagt sich der Manager so weit aus der Komfortzon­e? Immerhin wurde Thomas Gangl nach dem Abgang von Rainer Seele als OMV-Konzernche­f selbst als aussichtsr­eicher Kandidat für den prestigetr­ächtigen Chefsessel des teilstaatl­ichen Energiekon­zerns gehandelt. Stattdesse­n wurde bekanntlic­h Alfred Stern, damals noch Chef bei Borealis, an die Spitze der OMV geholt und stand damit in der Konzernstr­uktur klar über Gangl, der zur Kunststoff­tochter ausweichen musste. Das Verhältnis zwischen den beiden beschreibe­n wohlmeinen­de Beobachter seither als „angespannt“. Bei den Verhandlun­gen über einen möglichen Zusammensc­hluss von Borealis mit Borouge aus Abu Dhabi soll Gangl ausgeschlo­ssen worden sein.

Thomas Gangl machte seine bisherige Karriere in staatsnahe­n Unternehme­n, in denen Zwischenru­fe aus Politik und Medien an der Tagesordnu­ng sind. „Wenn man diese Struktur gewohnt ist, sieht man manches als gegeben an“, sagt Gangl im Rückblick. Nun gebe es mit Liberty-Steel-Gründer Sanjeev Gupta nur einen einzigen Eigentümer, der noch dazu im selben Alter sei. „Hier passiert alles sehr unmittelba­r. Man kann sich zusammense­tzen, alles besprechen und dann umsetzen.“

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[Picturedes­k/Trend/Wolfgang Wolak] „Wachstum findet außerhalb der Komfortzon­e statt. Das gilt auch für mich“, sagt Thomas Gangl.

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