Ist die Klima-Biennale klimagerecht?
Klimakunst ist ein fades Genre. Eine neue Wiener Großveranstaltung geht damit überraschend interessant um. Auch auf dem Festivalgelände Nordwestbahnhof.
Hören Sie auch zu lesen auf bei „Nachhaltigkeit“und „Klimakunst“? Kann man Ihnen nicht verübeln, die Begrifflichkeit ist inflationär geworden. „Klimakunst“hat sich als (natürlich divers) florierendes Genre der zeitgenössischen bildenden Kunstszene etabliert – meist pseudoaktivistisch, semiwissenschaftlich, ästhetisch unterwältigend und als politisches Feigenblatt hoch subventioniert.
Das alles könnte man auch der neuen Wiener „Klima-Biennale“unterstellen, die am Wochenende beginnt. Drei Stadträte (Kultur, Finanz, Klima) sprachen am Donnerstag bei der Pressekonferenz. Das Budget beträgt 1,5 Mio. Euro, bei Eintritt nach freiem Ermessen. Es gibt (auch) Kunst, die weder inhaltlich noch ästhetisch überzeugt, dafür aber im Hauptquartier der Wiener Festwochen im Volkskundemuseum ein „Aktivismus-Camp“, in dem sich über 20 Gruppen von Greenpeace bis Letzte Generation „vernetzen“sollen (ab Mitte Mai). Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky freut sich schon auf diesen „Stachel im Fleisch“.
Genug Gründe, um mit dem Zuhören aufzuhören. Aber nicht mit dem Schauen! Denn die Ausstellungen an den beiden Hauptorten dieser sich myzelartig durch die Stadt ziehenden Großveranstaltung, die aus Christoph Thun-Hohensteins „Vienna Biennale for Change“(2015–2021) hervorgegangen ist, sind überraschend schön geworden.
Aschenseife und Salz-Saliera
„Into the Woods“im Kunst-Haus Wien ist ein von Kuratorin Sophie Haslinger großzügig angelegter Parcours vorwiegend poetischer Werke zum Thema Wald geworden. Es gibt eine ganze Wand voll dunkler Seifen aus Waldbrandasche der südkoreanischen Künstlerin Jeewi Lee. Surreal wirkende Regenwaldfotos von Richard Mosse, die ganz real sind, aufgenommen von einer Drohne mit einer multispektralen Kamera, die Unsichtbares wie unterirdische Feuer sichtbar macht. Und vor allem: die Märchenszene, in der Rehe in einem Wald im Salzkammergut an Benvenuto Cellinis Saliera lecken. Also an einer Salzversion dieses Salzfasses, das einst aus dem KHM gestohlen und in einem Wald versteckt wurde. Wirr die Erklärung des Künstler-Duos Anca Benera und Arnold Estefán: Durch den Saliera-Leckstein wolle man ein Kulturgut an die Natur zurückgeben, um diese zu „(ent-)kolonialisieren“– also was jetzt? Vor allem: Durch diese „Rückgabe“passiert vor allem Zerstörung, Rehe werden unfreiwillig zu Tätern. Auch interessant.
Sehr interessant ist die kulturelle Erschließung des Nordwestbahnhof-Geländes, das die nächsten 100 Tage bespielt wird: ein riesiges Stadtentwicklungsareal, an dessen anderem Ende bereits die Bagger herrschen. Vor diesen rettete die Biennale gleich einmal die Pflanzen und topfte sie in wilde, in den Asphalt nahezu gesprengte Beete vor den einstigen Postbusgaragen um. Hier zeigt man mehrere Ausstellungen, vor allem die Gruppenschau „Songs for the Changing Seasons“, kuratiert von zwei internationalen Klimakunst-Kapazunderinnen, Lucia Pietroiusti und Filipa Ramos. Die beiden haben hier ein melancholisch-heiteres Wunderkabinett gezaubert, mit seltsamen Plastik-Amöben von Eva Fàbregas, die kriechen, hängen und stehen, schrillen Tier-Mensch-Gesängen von Sofia Jernberg, einem gezeichneten FischSchwarm von Joan Jonas und vielem mehr.
Etwa einem Altar mit kultischen Brotfigürchen. Ihn nehmen die aus Hamburg importierten Biennale-Chefs, Sithara Pathirana und Claudius Schulze, als Beispielfall, um die Frage zu beantworten: Ist eine derart aufwendige Klima-Biennale ökologisch überhaupt vertretbar? Erstens: Kunst sei mehr als ihr CO2-Verbrauch, sie könne neue Welten erschließen. (Was im besten Fall stimmen mag.) Zweitens: Man habe getan, was ging, um Sinn und Verbrauch in Relation zu halten. Etwa die junge Chilenin Natalia Montoya, Schöpferin des Altars, nicht nur zur Eröffnung einfliegen zu lassen, auch ihre Arbeiten nicht. Sondern sie gleich für drei Wochen einzuladen – so entstand erste Auslandserfahrung. Und ihre Brotmännchen entstanden in einer Ströck-Backstube.
Was Pathirana und Schulze leisteten, um die Biennale zum Prototyp zeitgemäßen Ausstellens zu machen, sollte in den Vordergrund rücken: Fast kein Müll fiel an, Transporte wurden vermieden. Und durch Einladung des Luma-Zentrums Arles wurde die erste Biofabrique in Wien eingerichtet: In ihr werden aus dem U-Bahn-Bau-Aushub neue Werkstoffe entwickelt. In den nächsten 100 Tagen. Klingt richtig nachhaltig.