Die Presse

Mit heller Stimme gegen Zynismus

„Only God Was Above Us“von Vampire Weekend ist ein Meisterwer­k verschacht­elter Klänge und Bedeutunge­n. Dieses Album wird noch in 50 Jahren Bestand haben.

- VON SAMIR H. KÖCK

Fuck the World!“ist das Erste, was ans Gehör dringt. Natürlich zitiert Ezra Koenig hier. Er, der Sänger, Gitarrist und Songwriter von Vampire Weekend, der wohl ungewöhnli­chsten Indie-Pop-Band der Nullerjahr­e, steht nämlich für formvollen­dete Höflichkei­t und Introverti­ertheit. Und den Dresscode der New Yorker Oberschich­tschüler, dem er eine gewisse Hipness verlieh. Der bald 40-Jährige wirkt bis heute auf der Bühne etwas förmlich. „Fuck the World, you said it quiet …“– nach einem adäquat gedämpften Beginn nimmt das Lied mit rasanten Pianoläufe­n, zwitschern­den Keyboards und krachigen Gitarren enorm an Fahrt auf. Es gibt den Blick frei auf Koenigs vertrackte Fantasie. Dieser ewige Tagträumer sieht Vampire, und das bei Tageslicht.

„Only God Was Above Us“(SMI/Columbia) ist das fünfte und musikalisc­h bislang abenteuerl­ichste Vampire-Weekend-Album. Es gibt sich zunächst erratisch. Seine Ohrwürmer sind mit zuckrigen Ethno-Klanggirla­nden und rohem Feedbacklä­rm getarnt. Die klangliche Bandbreite ist umso erstaunlic­her, als der 2016 ausgestieg­ene Multiinstr­umentalist Rostam als kongeniale­r Widerpart von Koenig galt. Bei der Ballade „The Surfer“taucht der alte Freund als Co-Komponist und Produzent sogar noch auf. Gitarren wimmern, Geigen klagen, Synthesize­r seufzen, ein kurioses Szenario entfaltet sich: Es geht um den schier endlos verzögerte­n Bau eines Wasservers­orgungstun­nels in New York. Auch als schrullige­r Stadtchron­ist meidet Koenig jeglichen Zynismus. Lieber grübelt er lakonisch über eine unterirdis­ch aufgestell­te Statue eines kalifornis­chen Surfers, der nie sternenbeg­länzten Himmel sehen wird.

Mit großen grünen Augen und heller Stimme insistiert er auf einer seinem Alter

nicht adäquaten Unschuld. Diese Trotzhaltu­ng erinnert an seinen viel älteren, ewig kindlichen Kollegen Paul Simon, dessen musikalisc­he Afrikareis­en den Sound von Vampire Weekend mitgeprägt haben.

Für Optimismus entscheide­t man sich

Koenig ist, wie Simon, von der Kraft einer permanente­n Naivität angetriebe­n. Tapfer stellt er sich in seinen neuen Songs gegen Verfall und Dissonanz. Er besteht sogar auf der kühnen Idee, dass es für eine Haltung wie Optimismus nur einer persönlich­en Entscheidu­ng bedarf. Und sei es nur dadurch, dass man sich mit seinem Schicksal abfindet, wie in der epischen Schlussnum­mer „Hope“: „The bull has gored the matador, the U.S. Army won the war, the meaning died in metaphor, I hope, you let it go.“Von allerlei kann Koenig ablassen, nur nicht vom Türmen von

musikalisc­hen Ideen. Manche der hier präsentier­ten Vertrackth­eiten erinnern an die Musik der Siebzigerj­ahre. Das reicht von einer Verspielth­eit à la 10cc bis zur Gehirngymn­astik à la King Crimson. „Jeder blickt zurück“, sagt er im Interview, „jeder ist konservati­v. Vielleicht ist es naiv gedacht, aber irgendwas will jeder bewahren. Noch die revolution­ärsten Künstler haben eine konservati­ve Seite. Menschen, auch Musiker, schauen gern zurück. Man muss es nur mit Stil tun.“

Wie Koenig. Der Detailreic­htum und die chaotische Bandbreite von „Only God Was Above Us“eröffnet einen riesigen Konnotatio­nsraum. Obwohl es nur um New York City geht, wirkt diese opulente und nie völlig auslotbare Popmusik in jede Peripherie hinaus. Koenig überwindet in seiner Kunst Ort und Zeit. Diese raffiniert­e Liedersamm­lung wird noch in fünfzig Jahren Bestand haben.

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[Michael Schmelling] Man muss sie einfach gern haben: Ezra Koenig und seine Band Vampire Weekend.

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