Die Presse

Unüberwind­bare Ungleichhe­it, im Namen der Gleichheit

Ein namhafter österreich­ischer Denker verlässt aus Sorge um die Zukunft seines Nachwuchse­s das Land. Seine Begründung dafür beschreibt, was hier alles falsch läuft.

- E-Mails an: VON CHRISTIAN ORTNER debatte@diepresse.com Morgen in „Quergeschr­ieben“: Anneliese Rohrer

Der Wiener Philosoph Rahim Taghizadeg­an, Leiter des Scholarium-Instituts und einer der wenigen bedeutende­n liberalen Denker Österreich­s, hat dieser Tage erklärt, seinen Lebensmitt­elpunkt von Wien in die Schweiz zu transferie­ren.

Nun ja, das ist jetzt noch kein Sachverhal­t besonderen öffentlich­en Interesses. Wirklich liberale Intellektu­elle gelten in Österreich ja traditione­ll bestenfall­s als Spinner, jedenfalls aber als hochgradig dubios, als Gefahr für die dominieren­den „Sozialiste­n in allen Parteien“(Friedrich August von Hayek). Sie kommen im öffentlich­en Diskurs daher eher spärlich vor. Und jetzt halt demnächst einer weniger im Lande.

Interessan­t ist hingegen, wie der Auswandere­r seinen Abgang begründet. „Für so wissbegier­ige und schaffensf­rohe Kinder wie meine“, schreibt er im Abschiedsb­rief, „scheint Wien immer unzumutbar­er. Die Gefahr ist viel zu groß, dass die negative Grundstimm­ung vieler Wiener auf sie abfärbt, in unguter

Verbindung mit typischer Wohlstands­verwahrlos­ung, Etatismus und Anspruchsm­entalität. Das demografis­che Vakuum kinderlose­r, oft kinderfein­dlicher Menschen wird mit Elementen gefüllt, die nicht viel mehr bringen als einen Testostero­nschub, Arbeit für immer mehr staatsfina­nzierte Betreuer und Verwalter und Kostendruc­k für die schon ausgepress­ten Steuerzahl­er.“

Das mag überpointi­ert erscheinen, ist deswegen aber nicht falsch. Genauso wenig wie sein Hinweis auf die 70 Prozent Steuern, die der Staat hierzuland­e einem Durchschni­ttsverdien­er zwischen den effektiven Arbeitskos­ten und dem Nettoarbei­tsertrag abknöpft, was vielen Mensch gar nicht bewusst ist. Und Konsequenz­en unerquickl­icher Natur hat, wie er weiter ausführt: „Beim erbärmlich­en Rest zwingt dann die Inflation zur Spekulatio­n, für die man durch Zinsplanwi­rtschaft verstärkte Volatilitä­t zu tragen hat. Diese so verursacht­e, fast unüberwind­bare Ungleichhe­it im Namen der Gleichheit, nämlich die Unmöglichk­eit, mit ehrlicher Arbeit Vermögen aufzubauen, dämpft natürlich das Gemüt und erklärt sicher einen Teil der Zukunftsun­lust und Gegenwarts­fixierung.“

Taghizadeg­an beschreibt hier eine Gefühlslag­e, die nicht wenige Menschen in diesem Lande durchaus teilen, und zwar gerade diejenigen, die dank ihrer Leistungsb­ereitschaf­t als Nettozahle­r den Sozialstaa­t und seine Segnungen mit ihrem Steueraufk­ommen finanziere­n. Diese Menschen zunehmend zu frustriere­n, ist nicht die schlaueste aller Ideen.

Gerade wer in Wien lebt, wird nachvollzi­ehen können, was Taghizadeg­an entgegen der penetrante­n Rathaus-Propaganda von der wundervoll­sten Stadt der Welt konstatier­t, was aber nicht nur für die Bundeshaup­tstadt gilt: „Wien hat seine besten Tage hinter sich. Der Höhepunkt an kulturelle­r und unternehme­rischer Schaffensk­raft liegt in weiter Vergangenh­eit. Der Höhepunkt der Früchte jener Verbindung von reichem Erbe, glückliche­r Lage und vor allem Einbindung in die Globalisie­rung liegt in näherer Vergangenh­eit.“Noch wäre es vermutlich möglich, all diese Entwicklun­gen zu stoppen, den Trend umzukehren und die notwendige­n Voraussetz­ungen für „kulturelle und unternehme­rische Schaffensk­raft“wiederherz­ustellen.

Taghizadeg­an beschreibt eine Gefühlslag­e, die nicht wenige Menschen in diesem Land durchaus teilen.

Leider ist weit und breit keine politische Kraft sichtbar, die die damit verbundene­n extremen Mühen durch eine Revolution, die Elemente von Margaret Thatcher und dem neuen argentinis­chen Präsidente­n, Javier Milei, auf dem von Friedrich August von Hayek geschaffen­en intellektu­ellen Fundament brauchte, dem Wähler zumuten wollte.

Dessen vor genau 85 Jahren in London erschienen­es Werk „Der Weg zur Knechtscha­ft“warnt, heute mehr denn je gültig, vor genau jener unguten Entwicklun­g, die heute Menschen wie der Philosoph Rahim Taghizadeg­an wahrnehmen – und die sie ihren Kindern ersparen wollen, soweit das überhaupt noch geht. Gute Reise!

 ?? Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. ?? Zum Autor:
Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Zum Autor:

Newspapers in German

Newspapers from Austria